Paul Hille: An Herzversagen stirbt man nicht. Geschichten aus der Pathologie. Schwarzkopf und Schwarzkopf Verlag; 9,95 Euro.
Er mag noch so kompetent sein – zu spät kommt der Pathologe trotzdem immer. Aber was tut so jemand eigentlich Tag für Tag wirklich? Zahlreiche TV-Serien mit beachtlicher Quote scheinen uns die Antwort regelmäßig ins Wohnzimmer zu tragen. Und doch sieht diese Antwort in echt bisweilen ganz anders aus. Paul Hille, von Beruf medizinischer Sektions- und Präparationsassistent, kennt sie aus eigener Erfahrung.
Vorweg: Wer glaubt, an besagten Serien seine Nerven für dies Thema schon ausreichend gestählt zu haben, mag sich in einem gewaltigen Irrtum befinden. Es geht nicht, ohne etwas zu verbiegen. Mit Schmackes, den Gummihammer in der Rechten, schlage ich los, zwei, drei Mal. (…) Zwei beherzte Schnitte durchs Rückenmark, ein Handgriff noch und das Gehirn ist draußen. Sieben Minuten, länger nicht.
Nun sind grausliche Beschreibungen medizinischer Details kein Grund, ein Buch zur Lektüre zu empfehlen. Entscheidend ist aber, dass in der realen Pathologie weit mehr verlangt wird – Empathie, Kommunikationstalent, Nervenstärke, innere Ruhe, nicht nur bei der Arbeit am toten Menschen, sondern im Gespräch mit Bestatttern, Angehörigen, Krankenstationen und Seelsorgern. Nicht zuletzt ist Akribie gefragt, wenn zum Beispiel eine unklare Todesursache posthum ermittelt werden muss. Und manchmal werden in der Kommunikation auch dramatische Schicksale der Angehörigen sichtbar, wenn etwa eine Frau die Goldzähne des Verstorbenen haben möchte, um mit dem Erlös für das Edelmetall die Kosten für die Bestattung zu tragen. Hier war Paul Hille in besonderer Weise gefordert – und konnte die Fragende schließlich davon überzeugen, dass ihr dieser Wunsch nun wahrlich nicht zu erfüllen sei.
Im Nachhinein betrachtet war das Buch eine Sinnsuche für mich, bekennt der Autor selbst. Für den Leser kann es eine solche Sinnsuche auch sein – hinter allem, was nur auf den ersten Blick für die sensationsorientierte Schlagzeile taugt.
Übrigens: 2012 jährt sich zum 100. Mal das Erscheinen eines Gedichts mit ganz ähnlichem Tenor. 1912 schockierte der gerade 26-jährige Gottfried Benn mit Morgue seine Leserschaft. Umstritten blieb der Dichter, im Hauptberuf Hautarzt, jahrzehntelang. Seine Leistungen wurden erst später erkannt und gewürdigt. (Gottfried Benn: Morgue und andere Gedichte. Klett Cotta Verlag; 10 Euro).