Charlys PS-Geflüster

Liebe Leserinnen!
Liebe Leser!

Überfällt Sie auch bisweilen eine Arbeitswut im Sinne des Aufräumens, Putzens oder Wegwerfens? Ein Anfall, so gravierend, dass ein Nicht-Befolgen wahrscheinlich unweigerlich körperliche und seelische Schäden bei den Betroffenen zur Folge hätte. Also beugen wir uns in der Regel meist den unweigerlichen Anforderungen, die unser Unterbewusstsein da an uns stellt.

So ging es mir zum Wochenbeginn, sodass mich auch der Feiertag 1. Mai nicht davon abhalten konnte, meine Wohnung von Dingen zu befreien, die ich eigentlich schon am besten kurz nach Einsetzen der Pubertät hätte, wegwerfen sollen. Aber damals wohnte ich ja auch noch im wohl behüteten Elternhaus. Die meiste Zeit bei derlei Arbeiten verbringt man übrigens nicht beim Räumen selbst, sondern beim Betrachten und bei der Beschäftigung mit hervor gekramten Dingen, die man dann später unweigerlich entsorgt, weil man sie ohnehin nicht mehr braucht.

Mir jedenfalls fiel dabei ein kleines Stück Papier in die Hand, an das ich seit Jahren, oder besser gesagt Jahrzehnten, keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Es war die allererste Tankrechnung meines Lebens. Ich hatte ein paar Wochen vorher den Führerschein gemacht, mir für 700 Mark einen 12 Jahre alten gebrauchten VW Käfer gekauft und wartete nun darauf, den Lauf der Welt mit den Vorstellungen meiner persönlichen Mobilität in Einklang zu bringen. Als ich den inzwischen reichlich vergilbten und von etlichen „Eselsohren“ gezeichneten handschriftlichen Beleg vorsichtig in die Finger nahm, fiel mir wieder ein, dass ich mir damals geschworen hatte: „Deine erste Tankrechnung hebst Du Dir auf.“

Warum der Fetzen Papier nun auch über vier Jahrzehnte hinweg (Ausstellungsdatum war der Mai 1972) auch den einen oder anderen Umzug (ein Wasser- oder Sturmschaden ist mir nicht bekannt) unbeschadet überstanden hat, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, dass ich besonders darauf geachtet hätte, den historischen Beleg bloß nur ja nicht zu verlieren. Jedenfalls war er auf einmal da und als ich den mit Kopierstift geschriebenen Zettel betrachtete und langsam nach allen Seiten drehte, kam ich mir ungefähr so vor, als ich hätte ich beim Auktionshaus Sotheby’s einen verloren geglaubten Picasso erstanden.

Das, was mich dann aber am meisten erschütterte war eigentlich nicht die pure Existenz des Schriftstückes selbst, sondern der darauf vermerkte Preis. Der Liter „verbleit normal“ (für jüngere Leser: es gab damals wirklich noch verbleites und unverbleites Benzin) kostete sage und schreibe 56 Pfennige. Noch mal für die Jüngeren: Vor dem Euro gab es in unseren Breitengraden mal eine recht stabile Währungseinheit. Die nannte sich D-Mark und war wiederum in Pfennige unterteilt.

Auf heutige Verhältnisse übertragen wären das noch keine 30 Cent für den Liter Sprit. Okay: Zur Flower-Power-Zeit, als sich Günter Netzer seinen ersten schwarzen Ferrari leisten konnte, waren auch Heizöl, Tabakwaren, Milch, Fleisch, Käse und was weiß ich nicht alles noch billiger. Indes: Ich muss gestehen: So ein wenig Nostalgie und Wehmut überfielen mich schon, als ich den Preis sah und mir ausrechnete, dass ich damals meinen alten grünen Käfer (Baujahr 1959, drei Jahre nach dem letzten Brezel-Käfer) für umgerechnet 20 D-Mark hatte voll tanken können.

Vielleicht geht es Ihnen, je nach Jahrgang, ähnlich, wenn Sie an Ihre ersten Begegnungen mit einer Zapfsäule denken.

So. Und jetzt mache ich Schluss für heute. Ich muss nämlich noch tanken. Mit Kreditkarte. Auch so was hatte ich damals noch nicht.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Auch wenn Sie vielleicht trotzdem tanken müssen.

Ihr Jürgen C. Braun

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