Buchtipp der Woche

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Klaus Schäfer: Iss doch wenigstens das Fleisch! 100 Jahre Schulkochbuch – 100 Jahre Ernährungskultur. Dr. Oetker Verlag; 10 Euro.

Können Sie sich Biersuppe als Mittagsgericht für mindestens ein Mal pro Woche vorstellen? Vor genau 100 Jahren kam sie recht häufig auf den Tisch – wegen des Alkoholgehalts freilich nicht für Kinder. Aber das heiße Gericht aus Bier, Wasser, Kartoffelmehl, Eigelb, Zucker und Zimt sättigte und war preiswert. Weswegen es im allerersten Schulkochbuch von Dr. Oekter selbstverständlich seinen Platz hatte.

100 Jahre später finden sich im Kochbuch mit demselben Titel unter anderem Lachs-Wraps – dünne, fettfrei gebackene, aufgerollte Pfannkuchen mit einer leichten Füllung aus Lachs und Gemüse: Vieles, was früher Luxus war, ist heute im Lebensmittelmarkt selbstverständlich verfügbar. Aber schon die Vielzahl der Abmagerungskonzepte und der jährlich neu angepriesenen vermeintlichen Superkuren zeigt: Es ist nicht unbedingt leichter geworden, sich ausgewogen, gut und preiswert zu ernähren. Da hat ein Schulkochbuch auch heute noch seine Berechtigung.

Weswegen seine Geschichte nun in einem weiteren Büchlein ausgeleuchtet wird, das seinen Titel aus der Nachkriegszeit beschert – jenen Stoßseufzer, den Eltern von sich gaben, wenn der Nachwuchs partout nicht richtig essen wollte, schon gar nicht Gemüse oder Kartoffeln. Dann hieß es: Iss doch wenigstens das Fleisch! Das hatte einen speziellen Hintergrund. Nicht nur sollte das Kind doch wenigstens etwas im Magen haben – Fleisch war zum Statussymbol geworden. Nach entbehrungsreichen Kriegsjahren war es wieder zu haben und entsprechend der Stolz von Köchin und Koch.

Apropos Koch – wir begegnen hier auch dem Urahn von Lafer, Lichter, Wiener & Co: Clemens Wilmenrod hieß der erste Fernsehkoch aus deutschen Landen. Der konnte zwar nicht kochen, aber – als gelernter Schauspieler – immerhin charmant parlieren. Und machte zum Entzücken seiner Fangemeinde aus einer Frikadelle ein Arabisches Reiterfleisch und aus einem Wurst-Toast ein Torero-Frühstück. Clemens Wilmenrod ist schon 1967 gestorben, aber eine seiner Kreationen fehlt bis heute auf kaum einer Speisekarte hierzulande. Den Toast Hawaii hat kein sonnengebräunter Surfer von der Insel mitgebracht, sondern jener Schauspieler ersonnen, der eigentlich Clemens Maria Hahn hieß und den Namen seiner Geburtsstadt als Pseudonym wählte.

Immer hängen Essen und Trinken mit dem gesellschaftlichen Hintergrund zusammen, vor dem gegessen und getrunken wird. Bloß macht man sich das (logischerweise) eher selten im Alltag bewusst. Modegerichte, die Internationalisierung der Küche, zunehmende Vereinfachung (die erste Tiefkühlpizza erleichterte einem 1970 das Kochen – die Vorläuferin dessen, was heute als convenience einen lukrativen Markt aller möglicher Produkte ist) durch Technik, Freßwelle, Trimm-Dich-Welle … das alles ist hochspannend zu lesen. Und wiewohl natürlich Produkte von Oetker eine Rolle spielen, machen 100 Jahre Esskultur vor allem Lust darauf, (wieder?) mal selbst zu kochen. Zum Beispiel einen Lachs-Wrap. Fast ohne Convenience-Produkte, aber dafür mit echtem Lachs.

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