Tradition: 45 Jahre Fiat 124

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3
Foto 4

Fast alle Massenhersteller haben ihn schon geträumt, den Traum vom einheitlichen Auto für die ganze Welt. Realisieren konnte diese Vision aber bisher nur sehr wenige Automobilkonzerne. Dabei hätten sie vielleicht einfach dem Beispiel des Fiat 124 folgen sollen, der vor 45 Jahren als erster echter automobiler Weltbürger in Produktion ging. Fiat 124? Kaum jemand erinnert sich noch an die konservativ und kantig gezeichneten Mittelklasselimousinen, deren Schicksal ebenso wie bei vielen anderen Massenmodellen durch einen frühen Rosttod bestimmt wurde.

Einzigartig wurde der Millionseller aber durch Lizenz- und Nachbauten rund um den Globus, in denen der Titelträger der Wahl „Auto des Jahres 1966“ bis heute weiterlebt und Geschichte schreibt. Von den dynamischen Limousinen und Kombis produzierte Fiat während der achtjährigen Produktionszeit rund zwei Millionen Einheiten. Hinzu kamen das schnelle 124 Sport Coupé und der bis 1985 gefertigte 124 Sport Spider im zeitlos schönen Pininfarina-Design, vor allem aber über 1,5 Millionen Lizenzbauten der viertürigen 124-Typen, überwiegend in Spanien, Türkei, Korea und Indien. Bis heute in Produktion ist das russische Volksauto Lada 2107, der 2010 erneut Platz eins der russischen Zulassungscharts belegte. Seit dem Serienstart vor 41 Jahren liefen im von Fiat errichteten Werk Togliatti bereits über 17,5 Millionen Einheiten des preiswerten und dank dickerer Stahlbleche robusten Lada vom Band. Damit ist der Fiat 124 nach dem VW-Käfer das zweitmeistproduzierte Fahrzeug aller Zeiten mit weitgehend unverändertem Karosseriedesign. Zugleich aber verhinderte der noch immer präsente, rustikale Lada den Aufstieg des Fiat 124 zum gesuchten Klassiker, der einst zu den sportlichsten und schnellsten Mittelklassemodellen zählte.

Begründet wurde Fiats internationaler Ruf als Hersteller anspruchsvoller Sportlimousinen in der Mittelklasse durch die Modelle 1300 und 1500, die mit Trapezliniendesign und leistungsstarken Motoren ab 1961 zum erfüllbaren Traum der aufstrebenden Mittelschicht wurden. Dies nicht nur in Italien, sondern sogar in Deutschland, wo die schnellen Fiat mit Doppelscheinwerfer-Gesicht zur sportlichen Alternative von Opel Rekord und Ford 17 M wurden. Fortsetzen sollte diese Erfolgsgeschichte der Typ 124, der auf dem Genfer Salon 1966 Weltpremiere feierte. Selten hat ein Modellwechsel die Stammkunden mehr überrascht als die Einführung dieser nur knapp über vier Meter langen Stufenhecklimousine. Verabschiedete sich Fiat doch vom bereits damals vorherrschenden Trend, Modellnachfolger größer und repräsentativer zu gestalten, außerdem zog der bereits erwartete Frontantrieb nicht in die sachlich-klar gezeichnete Limousine ein.

Das alternativ entwickelte Frontantriebslayout wurde stattdessen der Fiat-Tochter Autobianchi überlassen, wo 1969 der Autobianchi A 111 zum allerdings wenig glücklichen Rivalen des Fiat 124 lanciert wurde. Der 124 dagegen sorgte von Anfang an für positive Schlagzeilen: Mit ihm sollte die Internationalisierung des italienischen Industriegiganten Fiat vorangetrieben werden – und dazu passten nur Linien und Technik, die zeitlos und schlicht waren. Schon im August 1966 schloss Fiat ein Kooperationsabkommen mit der sowjetischen Regierung über den Bau eines Automobilwerks mit einem Ausstoß von 600.000 Pkw jährlich: Die Geburtsstunde der noch heute produzierten Lada-Modelle vom Typ 2107 und damit der ersten internationalen Version des Fiat 124.

In Westeuropa wurde die neue Fiat-Mittelklasse zwar zunächst bisweilen nur als Nachfolger des kleineren Typs 1100 angesehen, das verhinderte aber nicht ihren Aufstieg zum Bestseller. Mit einem hochmodernen, fünffach gelagerten 1,2-Liter-Vierzylinder, großzügig gestaltetem Interieur und sportlichen Fahrleistungen waren die kompakten Viertürer so begehrenswert, dass die Tagesproduktion schon im Herbst 1966 auf 600 Einheiten stieg. Großer Beliebtheit erfreute sich auch der im Winter 1966/67 nachgeschobene Kombi 124 Familiare, damals der schnellste Kombi mit 1,2 Liter Hubraum. Hinzu kamen vergleichsweise günstige Preise für alle Versionen des 124 – sogar auf den Exportmärkten.

Schließlich machten die ebenso formschönen wie exklusiven Sport Coupés und Sport Spider die 124-Baureihe besonders beliebt in der immer dichter besetzteren europäischen Mittelklasse. Während die Linien des 124 Sport Coupé im hauseigenen Centro Stile gezeichnet wurden, entstand der 124 Sport Spider im Studio des Couturiers Pininfarina. Genau wie dem fast zeitgleich eingeführten Alfa Romeo Spider gelang auch dem Fiat Spider der Sprung nach Nordamerika. Kein Wunder, waren die beiden Pininfarina-Entwürfe doch perfekte Protagonisten von bella macchina und dolce vita. Zwei Autos für die Ewigkeit, zunächst als meistverkaufte italienische Spider aller Zeiten, dann mit einer Karriere als Klassiker.

So setzte der 124 Spider seine Erfolgsgeschichte auch nach der ab 1975 erfolgten Produktionseinstellung aller anderen 124-Typen fort. Von 1976 bis 1981 „überwinterte“ das Cabriolet auf dem amerikanischen Markt, um 1982 nach Europa zurückzukehren und als Pininfarina Spidereuropa die Cabrioszene wiederzubeleben. Der Abverkauf des Fiat 124 Sport Coupé begann dagegen bereits im Jahr 1976. Die Fachpresse zählte den exklusiven Zweitürer zwar immer wieder zu den Referenzmodellen unter den mittelgroßen Coupés, die recht hohen Verkaufspreise und neue Wettbewerber wie der Ford Capri verhinderten allerdings rekordverdächtige Stückzahlen.

Weit erschwinglicher und entsprechend populär waren die sportlich-scharfen Special-Versionen des Fiat 124. Den Anfang machte im November 1968 der 51 kW/70 PS starke 124 Special, der durch markante Doppelscheinwerfer ein ähnliches Überholprestige gewann wie der bereits im Vorjahr eingeführte geringfügig größere Fiat 125 mit 66 kW/90 PS. 1971 folgte die auf 59 kW/80 PS erstarkte Spitzenversion 124 Special T, die sogar flotter unterwegs war als ein BMW 1602. Den Leistungszenit erreichte die T-Version zwei Jahre später mit neuem 1,6-Liter-Triebwerk aus dem Fiat 132, der 70 kW/95 PS freisetzte. Damit konnte es der leichtgewichtige Fiat 124 im Temperament sogar mit dem legendären BMW 2002 aufnehmen. Auch die Alfa Romeo Giulia zählte zu den Rivalen der stärksten Fiat 124, denen es nur an einer entscheidenden Eigenschaft fehlte: Image. Der fehlende Prestigefaktor und massive Rostprobleme degradierten die potenten Viertürer außerhalb Italiens zu Nebendarstellern.

Ganz anders verlief die Erfolgskurve der vielen Abkömmlinge des Fiat 124, allen voran die der russischen Lada/Shiguli. Die Blechstärke der Karosserie wurde erhöht, das Fahrwerk mit mehr Bodenfreiheit ausgestattet, die Heizungsleistung verbessert und der Zylinderkopf auf qualtitativ schlechteres Benzin ausgelegt. Die Lebensdauer bis zur ersten Generalüberholung des Fiat-124-Ablegers sollte der Strecke entsprechen, die mit zehn Fahrten Moskau-Wladiwostok und zurück vergleichbar ist, also 200.000 Kilometer beträgt. Ein Ziel, dass das russische Volksauto zumindest in seiner Heimat erreichte.

Sogar in Deutschland war die Limousine aus Togliattigrad letztlich langlebiger als der Fiat 124 wie die Mängelquote bei Hauptuntersuchung zeigte. Was den Lada-Modellen 1200 bis 1600 dafür fast gänzlich fehlte, waren die dynamischen Qualitäten des Fiat. Mit diesen konnte dafür der schon 1968 vorgestellte spanische Sprössling mit Seat-Logo aufwarten. Nicht nur zahlreiche Rallyeeinsätze des Viertürers zeugten davon, der leistungsgestärkte Seat 1430 genoss schon bald ein sportliches Image wie ein Alfa. In Korea ging der Fiat 124 im Jahr 1970 bei Asia-Motors in Produktion und im türkischen Bursa startete ein Jahr später die Fertigung des Tofas-Murat 124. Im Jahr 1986, elf Jahre nach Einstellung des Ur-Fiat 124, eroberte dessen jüngster Sohn die indische Mittelklasse unter der Marke Premier 118. Bei Fiat hatte da schon längst der Nachfolger des Nachfolgers vom Fiat 124 die Rolle des Mittelklassebestsellers übernommen.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: SPS, Autodrom Archiv

Scroll to Top