Liebe Leserinnen!
Liebe Leser!

Wer am vergangenen Wochenende auf deutschem Boden noch einmal einem ganz persönlichen Laster, nämlich der Leidenschaft zum möglichst ungehemmten Sprit verbrennen auf abgesperrtem Terrain, frönen wollte, der konnte das im Südwesten Deutschlands innerhalb kürzester Frist und nur durch wenige Kilometer voneinander getrennt, tun. Doppel-Weltmeister Sebastian Vettel stattete seiner Heimatstadt Heppenheim stilgerecht mit seinem Dienstfahrzeug „Kinky Kylie“ einen Besuch vor mehreren zehntausend Fans ab und im nur wenige Kilometer entfernten Hockenheim traf sich die DTM-Familie zur abschließenden Partymeile mit Renncharakter.

Okay, Autorennen sind nicht jedermanns Sache. Aber dass sich die Szene in den vergangenen – sagen wir mal zehn bis 15 Jahren – erheblich gewandelt hat, wurde dieser Tage noch einmal bestätigt. Wo früher die Traditionsrennstrecken wie Silverstone, Paul Ricard oder Kyalami quasi ein Hort des Spektakels mit schnellen Autos, kessen Girls und Promi-Schaulaufen waren, geht der Motorsport heute zu den Leuten „auf die Gass“. Rennen in der Stadt ist angesagt. Längst bildet Monte Carlo nicht mehr die Ausnahme, sondern outet sich als Türöffner für Melbourne, Adelaide, Shanghai, oder ähnliche Millionen-Metropolen.

In dieser Woche hat der umtriebige Geldschein-Eintreiber Bernie Ecclestone dem Ganzen offenbar die Krone aufgesetzt. Seit Jahren träumt der Formel-1-Boss von einem Rennen in New York, dem Synonym für urbanen Gigantismus schlechthin. Offenbar geht sein Wunsch jetzt in Erfüllung. In zwei Jahren, also 2013, sollen Vettel und Co. vor der Skyline von Manhattan mit Tempo 300 paradieren. Entlang des Hudson River soll dann auf einem abgesperrten Straßenkurs im „Big Apple“ um Punkte in Fahrer- und Konstrukteurswertung gefahren werden.

Gut, mögen sich einige Zeitgenossen sagen. Warum nicht? Wenn in Düsseldorf an der Rheinpromenade auf Kunstschnee die Weltelite im Skilanglauf gegeneinander antritt, wenn in der Münchener City auf mobilen Kletterwänden halsbrecherische Möchtegern-Messners ihr Können demonstrieren, warum soll die Formel 1 das Ganze nicht auf die Spitze treiben und in den Schluchten der Beton-Riesen Gummi geben und das Geschäft ankurbeln.

Längst haben wir uns von dem Gedanken freimachen müssen, dass Motorsport etwas für unerschrockene Herrenfahrer ist, die uns mit verwegenen Fahrkünsten auf mörderischen Pisten einen Schauer über den Rücken jagen. Formel 1, aber auch Tourenwagenserien, GT-Rennen, das sind heute größtenteils sterile Technik-Schlachten, die Kollege Computer bei der Berechnung der Tankfüllung oder des Zeitfensters für den Boxenstopp entscheidet. Die modernen Helden in ihren rasenden High-Tech-Kisten werden auf dem Highway vor den Vitrinen von Banken und Global Playern geboren. Und nicht in engen Haarnadelkurven auf rutschigem Kopfsteinpflaster oder auf Rüttelpisten von Traditions-schwangeren Circuits.

Aus den letzten zarten Resten des schwindenden Erinnerungsvermögens krabbelt aus meinen Grauen Zellen ein Hexameter aus dem Latein-Unterricht meiner einstigen humanistischen Bildungsanstalt empor: „Tempora mutantur nos et mutamur in illis.“ – „Die Zeiten ändern sich – und wir uns mit ihnen.“

Was sich nicht geändert hat, und es auch nie tun wird, sind meine besten Wünsche für ein erholsames Wochenende Ihrerseits.

Ihr Jürgen C. Braun

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