Buchtipp der Woche (1)

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Heinz Bude: Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet.
Hanser Verlag; 14,90 Euro.

Nüchternen ausländischen Beobachtern erscheint Deutschland als Land hoher ökonomischer und geringer sozialer Produktivität. Man investiert vorrangig in Menschen und Management und nachrangig in Menschen und Mentalitäten.

Heinz Bude, Soziologe und Hochschullehrer an der Universität Kassel, redet nicht um den heißen Brei herum. Wie schon in seinem Buch Die Ausgeschlossenen macht er eine Spaltung der Gesellschaft aus, diesmal in puncto Bildung und Bildungschancen. Doch während unter anderem verzweifelt versucht wird, mit Studiengebühren zum Beispiel die Lehrqualität zu verbessern und in Talkshows über Pisa-Studien und Chancenungleichheit selbsternannte Experten entweder jammern oder wettern, stellt Heinz Bude schmerzhafte, zutreffende Diagnosen.

Dabei stellt er schon das dreigliedrige Schulsystem in Frage, das früher einmal den Begabungen gerecht geworden sein mag, heute aber allenfalls viel zu früh die Weichen stellt:

Und danach soll sich eigentlich nichts mehr bewegen: Die Gymnasiasten bleiben unter sich, lernen Gedichte von Hölderlin kennen, dürfen sich Gedanken über das Unentscheidbarkeitstheorem von Gödel machen und sollen selbständig ein Referat über das Schicksal chinesischer Wanderarbeiter erarbeiten; bei den Realschülern steht die Arbeitswelt mit einem Ideal des Lernens am Material im Vordergrund, womit sie vielleicht noch eine fachgebundene Hochschulreife erreichen können, und die Hauptschüler sollen sich schon mal damit anfreunden, dass sie sich als Frisörin oder als Koch in Mindestlohnbereichen durchschlagen müssen.

Heinz Bude nennt das einen brutalen selektiven Mechanismus und stellt fest: So ist die Hauptschule zur Restschule geworden, wo die von der Wirtschaft dringend benötigten Talente verplempert werden.

Damit nimmt er explizit die Politik in die Pflicht, die die Aufgabe von Bildung ernst nehmen muss – nicht nur durch das Einführen von Studiengebühren oder teuren Privatschulen, die die beschriebene Selektion des dreigliedrigen Schulsystems nur noch verschärfen. Er verweist mit Recht darauf, dass Bildungskatastrophen in Deutschland schon früher diagnostiziert wurden, etwa von Georg Picht 1964.

Sein Lösungsansatz ist zum Beispiel die Ganztagsschule, in der nicht schon der Zehnjährige seine berufliche Zukunft weitgehend vor sich hat, sondern in der möglichst lange miteinander und voneinander gelernt wird. Das hat nichts mit Gleichmacherei zu tun, der Soziologe Bude bekennt sich ausdrücklich zu Leistung, Anstrengung und Weiterbildung. Ein sympathischer Ansatz als Kern einer Streitschrift, der man die ernsthafte Sorge des Autors um die Gesellschaft tatsächlich glaubt. Zumal er Bildung und Ausbildung als Bedingung für den mündigen Bürger sieht, der sich zu helfen weiß und sich in der Gesellschaft zurechtfindet. Damit stellt er etwas, das dem Menschen nicht einfach zufliegt, sondern erarbeitet werden muss, als erstrebenswert dar, als etwas, das sogar Spaß macht. Und das in einer Gesellschaft, in der schon Frühpubertierende – unvermeidlich? – den Eindruck bekommen, mit einer Saison als Superstar und ein paar geschickt abgeschlossenen Werbeverträgen sei jedermann und jederfrau hierzulande eine schöne Zukunft möglich. Oder, um das noch deutlichere Beispiel des Autors zu zitieren: Eine schöne Braut, ein großes Auto und ein Auftritt im Club sind mehr wert als die Aussicht auf eine Lehrstelle, wo man Kaffee holen muss, auf einen Bus, der zu spät kommt, und einen Samstagabend, wo man rumhängt. Dem hält der Soziologe Bude ein deutliches NEIN entgegen.

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