Jürgen C. Braun: Mein Tagebuch der Tour de France (5)

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Liebe Leserinnen und Leser!

Vor 100 Jahren wurden bei der Tour de France zum ersten Mal Tagesabschnitte über die damals noch völlig unzugänglichen, und teilweise noch von wilden Bären bewohnten Pyrenäen gefahren. Quasi zum 100-jährigen Jubiläum führen in diesem Jahr insgesamt vier superschwere Tagesabschnitte über die steilen Anhänge und durch die schroffen Schluchten des französisch-spanischen Grenzgebirges. Bevor wir in diese feindliche und unwirtliche, ja geradezu abweisende Region kommen, haben wir noch einmal Gelegenheit, den Südwesten Frankreichs, der immer etwas abseits der großen Touristen-Regionen wie Cote d’Azur, Hochalpen, Atlantikküste oder Elsass gelegen ist, zu bewundern und regelrecht aufzusaugen.

Einer der mit Sicherheit atemberaubendsten Blicke, der uns auf dieser strapaziösen Reise gestattet wurde, ist die Begegnung mit dem Lac de Sainte-Croix. Dieses ruhige, majestätisch türkisfarben schimmernde Binnenmeer ist ein aufgestauter See an der Grenze der Departements Alpes-de-Haute-Provence und Var. Er ist in seiner ganzen stillen Erhabenheit, die ihn umgibt, ein wahrer Quell der Zurückgezogenheit, um etwas Ruhe und Sammlung zu finden. Leider konnten wir das kurz nach der Abreise von unserem Hotel nur ein paar Minuten genießen. Beim Aufstauen des Canyon de Verdon versanken vor etwa 30 Jahren nicht nur zwei Dörfer, von denen eines nur ein paar Kilometer weiter wieder aufgebaut wurde, sondern auch eine historische römische Brücke, die den See mit neun Bögen überspannte.

Alle unsere Sinnesorgane wurden inmitten der flirrenden Hitze von fast 40 Grad an diesem Tag in einer wahrhaft gigantischen Flut noch einmal betörend verwöhnt. Wir fuhren in unserem knallroten Peugeot 3008 durch lilafarbene Lavendelfelder, knallige, kilometerlange Felder mit leuchtend gelben Sonnenblumen und vorbei an saftig grünen Weiden, auf denen schon die weißen Pferde der Camargue friedlich die Halme zupften. Wenn wir wirklich einmal die Fenster unseres klimatisierten vierrädrigen Begleiters öffneten, dann tönte uns aus den Bäumen ein ohrenbetäubendes Konzert Tausender von zirpender Grillen entgegen, die uns musikalisch begrüßten. Am Rande der Straße verkauften Obstbauern „fruits et légumes“, Früchte und Gemüse. Und wenn wir nicht mehr als 1.000 Kilometer von zu Hause weg gewesen und nicht noch einige Tage an Fahrt vor uns gehabt hätten, dann hätten wir uns wohl mit den süßesten Früchten der von der Sonne gesegneten Provence eingedeckt.

Die Tour ist somit nicht nur ein gigantisches sportliches Spektakel, sondern auch ein Stück „paradis du vélo“, ein motorisierter Ritt durch den Garten Eden der „Grande Nation.“ In den kargen und feindlichen Gebirgszügen zwischen Aubisque und Peyresourde wird an den kahlen, unbewaldeten Hängen der Pyrenäen davon nichts mehr übrig sein.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

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