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Patty Moon: Lost In Your Head
(Traumton/Indigo)

Patty Moon (eigentlich: Judith Heusch) ist mitten in der Natur aufgewachsen mit Mühle, Bach und Wald. Eine glückliche Kindheit hat sie nach eigenem Bekunden trotzdem nicht unbedingt gehabt, wobei ihr die Natur und ihre Tiere immer Zuflucht waren. Das hat sich bis heute nicht grundlegend geändert. Auch heute noch fühle ich mich da einfach sicherer, da bin ich ich. Ich kann nur selten von einer so tiefen Liebe sprechen wie zur Natur. Ich bin Frühaufsteher und bin schon früh am Morgen mit meinen Hunden unterwegs. Ich liebe die Dämmerung, die Farben, die Gerüche, die Geräusche, einfach alles. Ich finde es sehr spannend und auch was die Ästhetik angeht, das Höchste, was es gibt. Da laufe und radel ich viel und dann bin ich bei mir, kann Dinge gut fassen, kann vor mich hin summen, kann mir klar werden, welchem Bild, welchem Gefühl, welcher Situation ich einen Song widmen kann.

Heute arbeitet die Sängerin, die mit 15 von zuhause auszog und mit 25 Jahren ihr Abitur auf der Abendschule absolvierte, als Buchillustratorin und als Zeichnerin für die Werbung. Sie gibt Klavierunterricht und schreibt Theaterstücke und Musicals für Kinder. Auch einige Romanentwürfe warten noch auf ihre endgültige Realisation. Patty Moon, deren Name eine Hommage an Peppermint Patty von den Peanuts ist und die auch einige Jahre in der Micky-Maus-Redaktion arbeitete, ist ein großer Comic-Fan, aber in ihren Songs tauchen ganz andere Phantasmen auf. Tobias lehrt an einer Musikschule und arbeitet ebenfalls viel mit Kindern und Jugendlichen. Als Arrangeur, Komponist und Musiker deckt das Multitalent ein denkbar weites Feld ab: Von Schwarzwälder Musikkabarett und Jazz-Combo über Musicals und experimentelle Electronica bis hin zu Progressive Metal und Blasorchester. Zuletzt hat er die Musik für zwei Kurzfilme des Fotografen und Regisseurs Telemach Wiesinger komponiert (der auch für die Videos von Patty Moon verantwortlich zeichnet). Wie experimentierfreudig Tobias ist, hört man bei der Produktion des neuen Albums.

Beide Musiker haben sich ihre Kindlichkeit bewahrt, was zweifellos ihrer guten Beziehung zu Kindern und deren Welt förderlich ist. Auf dem Album gelingt es ihnen ein ums andere Mal, dieser Kindlichkeit künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Der Sample einer Spieluhr, die dem Titelsong das Tempo vorgibt, das Spielzeugklavier, das dem dramatischen Your Murderer noch mehr Spannung verleiht, das Blechspielzeug, das auf dem jahrmarkthaften Hurt seinen Akzent setzt und selbst die Melodica in Straight Alone scheint wie geschaffen für ein Wiegenlied. Dabei ist gerade das letztgenannte Stück eines der am komplexesten arrangierten, bei dem Akkordeon und Bläser zum tangoähnlichen Rhythmus den Schulterschluss zwischen Balkanschwermut und Mariachi-Klängen wagen. Nicht selten faszinieren in den von Patty Moon somnambul getragenen Wehmutproben Details und Facetten, die Assoziationen freien Lauf lassen. Das sich sanft wiegende, elegische Flügelhorn im Titelsong, die Sehnsuchtsklarinette in Starving, die Westerntrompete in Golden Frame oder der wie eine Beatmungsmaschine klingende Rhythmus der stellar klaren Ballade Ready For The Smell Of Snow – es gibt eine Unmenge zu entdecken auf Lost In Your Head, diesem Songreigen, der ungemein viel Raum und Tiefe bietet und in den man lange eintauchen und sich schwerelos treiben lassen kann.

Lost In Your Head ist ein Album der spürbaren Gegensätze. All die innere Unruhe, die von den Songs ausgeht, wird vom ruhigen Fluss der Melodien besänftigt. Naiv und doch subversiv, luzide und doch ganz rätselhaft, gravitätisch und doch federleicht. Patty Moon inszenieren ihre ätherischen Songs mit Akribie, Liebe und Leidenschaft. Live weiß diese freigeistige Formation als Duo mit Gesang und Piano respektive Gitarre und Laptop ebenso zu begeistern wie als offenes Ensemble, je nach Gelegenheit und Gusto ergänzt um Cello, Schlagzeug und wenn möglich einem Streichquartett. Mit ihrem Album Lost In Your Head, das zur Tournee im Herbst erscheinen wird, stellen sich Patty Moon erneut der Öffentlichkeit. Es gilt, einen in allen Belangen sinnlichen Act mit einer faszinierenden Sängerin zu entdecken. Selten standen die Chancen besser, mondsüchtig zu werden.

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