Verkehrte Welt: Bei der ADAC Deutschland-Rallye, dem einzigen Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft in Mitteleuropa, wurden am dritten August-Wochenende sämtliche Zuschauerrekorde gebrochen. Dennoch muss die Veranstaltung rund um Trier, die seit 2002 zum WM-Kalender gehört, im nächsten Jahr eine Pause machen, weil sie eine Rotation des Weltmotorsportverbandes FIA zum Opfer fällt. Eine Entscheidung, die nicht nur Hermann Tomczyk, der Sportpräsident des ADAC und Vizepräsident der FIA, dessen World Council im Dezember des vergangenen Jahres einen neuen WM-Modus eingeführt hatte, nicht versteht.
270.000 Zuschauer (!) an drei Tagen vom 15. bis 17. August in den Weinbergen entlang des Moseltals und auf dem Militär-Übungsgelände in Baumholder/Hunsrück. Eine Steigerung um fast 60.000 Besucher aus ganz Europa gegenüber dem Vorjahr. Diese Zahlen nannte der veranstaltende ADAC am Sonntagnachmittag, nachdem Weltmeister Sébastien Loeb (Frankreich) im Citroën C4 World Rallye Car seine Veranstaltung zum siebten Mal in Folge gewonnen hatte. Der Franzose war nach insgesamt 19 Wertungsprüfungen an drei Tagen am Sonntag vor seinem spanischen Teamkollegen Dani Sordo, dem Belgier Francois Duval und dem bisherigen Spitzenreiter Mikko Hirvonen (Finnland / beide Ford Focus World Rallye Car) vor dem römischen Wahrzeichen von Deutschlands ältester Stadt, der Porta Nigra, comme d'habitude als Sieger geehrt worden
Neben der neuen Rekordzahl an Besuchern bot die Deutschland 2008 aber noch eine weitere Premiere. Erstmals wurde im frei empfangbaren deutschen Fernsehen Rallyesport live über den Äther geschickt. Der Nachrichtensender n-tv und der Spartensender Eurosport 2 übertrugen die letzte Prüfung, einen Innstadtkurs mit dem beziehungsreichen Namen Circus maximus live über mehr als eine Stunde. Das war das, worauf wir seit vielen Jahren gewartet haben. Das wird den Rallyesport auch bei potenziellen Sponsoren erheblich aufwerten, hatte Tomczyk vor Beginn der Veranstaltung erklärt, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon feststand, dass es im nächsten Jahr in und um Trier keine Deutschland-Rallye geben würde.
Der Hintergrund des neuen WM-Modus, nachdem sich 12 Veranstalter in einem Zweijahres-Rhythmus mit 12 Läufen per anno in der Ausrichtung der WM abwechseln ist das Bemühen aller Beteiligten um Kostensenkung. Der Rallyezirkus ist längst auf allen fünf Erdteilen vertreten. Die große Show der Quertreiber wird immer gigantischer und demzufolge auch immer teurer. Mit Citroën, Ford, Subaru und – erstmals in diesem Jahr – Suzuki sind nur vier Werksteams vertreten. Für Kundenteams, wie beispielsweise Stobart, das in diesem Jahr einen Ford Focus WRC 2007 einsetzt, ist eine komplette WM finanziell kaum noch zu stemmen. Daher soll die WM mit weniger Läufen und weniger finanziellem und personellem Aufwand abgespeckt werden, um auch relativ gut betuchten Privatteams mit nationalen und regionalen Sponsoren im Rücken Rallyesport auf höchstem Niveau zu ermöglichen.
Viele Hersteller sind an der Bühne Rallye-WM, die die Ausdauer und Leistungsfähigkeit ihrer Serien-Fahrzeuge unter Extrem-Bedingungen verdeutlicht, weiterhin interessiert. Doch anders als beispielsweise bei der DTM, wo Audi und Mercedes zusammen etwa 20 DTM-Boliden auf Rennstrecken in Deutschland und dem nahe gelegenen Ausland einsetzen, ist das im Rallyesport nicht machbar. Obwohl gerade Hersteller wie Subaru oder Suzuki ihre ganz bestimmte Kundenklientel auf einer Schotterprüfung im australischen Busch besser erreichen als bei Champagner und edlem Fingerfood im Vip-Raum. Erst die nächste Zukunft, wenn die FIA in der Lage ist, ein Fazit des neuen Modus zu ziehen, wird zeigen, ob der Motorsport des kleinen Mannes eine Zukunft auf höchstem Level haben wird. 270.000 Besucher an drei Tagen bei einer perfekt organisierten Veranstaltung sprechen eigentlich eine deutliche Sprache.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun