Knapp 500 Meter hinter meinem Elternhaus begann die Terra Incognita – Unbekanntes Land. Die Erinnerung ist in diesem Falle eine gütige Wohltäterin und gestattet mir einen Blick zurück zu jenen fremden Gestalten, ihrer nur schwer zu verstehenden Sprache und – vor allem – ihren recht seltsam anmutenden Fortbewegungsmitteln. Denn 500 Meter hinter der Wiege meiner ersten permanent benutzten Windeln (Pampers gab es damals noch nicht), war die schwarz-rot-goldene Bastion zu Ende. Der weithin sichtbare Schlagbaum signalisierte in den fünfziger Jahren: Hier beginnt das Saarland und damit eine andere Welt, die sich erst nach der Wiedereingliederung, dem Tag X, mit der Welt unserer Väter zu verbinden begann. Heutzutage würde man dazu sagen: Eigentlich sollte daraus eine beiderseitige Win-Win-Situtaion entstehen.
Die Leute, die dort wohnten, rauchten Pilot und Lasso, während bei unsereinem die Lungenbläschen vorzugsweise heimtückisch von HB und Ernte 23 torpediert wurden. Sie trugen Mützen mit elend langen Schirmen, die so ähnlich aussahen wie diejenigen, mit deren Hilfe auch Monsieur de Gaulle auf den Bildschirmen der ersten bundesdeutschen Schwarz-Weiß-Fernseher salutierte. Sie schmierten sich Landsieg-Margarine auf ihre Brote, tranken Saarfürst-Bier und arbeiteten lieber unter als über der Erde, was für uns Kinder damals schon gar nicht verständlich war.
Vor allen Dingen aber verfügten sie über eines: Über Autos, die hinten, vorne, links, rechts und oben (unten wahrscheinlich nicht, aber das konnte ich nicht sehen) aus Wellblech bestanden. Dazu stanken sie (die Autos) fürchterlich und zogen abscheuliche schwarze Rauchschwaden hinter sich her. Diese Autos hatten komische Namen, deren Prononcierung sich bis heute, 50 Jahre später, nicht verändert hat. Und so wird es dabei bleiben (für mich jedenfalls), dass diese Leute sich mit vierrädrigen, in sich etwas windschief anmutenden, Behältern aus Wellblech fort bewegten, die man bei uns zu Hause als katschwo (quatre chevaux) oder als Ränno, Päscho oder Zitröön bezeichnete.
Um den Kreis meiner Leser regional und lingual nicht noch mehr zu beschneiden als unbedingt nötig und dergestalt auch der Sicherung meiner Finanzen wegen, begann ich irgendwann damit, mir die Schreibweise Renault, Peugeot und Citroën an zu eignen. Was mir, wie ich leidgeprüft zugeben muss, in den ersten Jahren dieser journalistischen Praxis eine gewisse Herkunfts- und Identitätskrise nicht ersparte. Wellblech-Fahrzeuge finden sich heute – wenn überhaupt -bestenfalls noch in alten Scheunen und Schuppen jener Spezies Mensch, die ihr Leben dem Bewahren der Nostalgie gewidmet haben. Oder aber im Maßstab 1:43 auf dem Trödelmarkt.
Doch man kann sehr wohl mit Stolz auf die Erzeugnisse der Vergangenheit verweisen, ohne die Gegenwart außen vor zu lassen. So wie bei Zitröön, pardon Citroën, etwa. Denn es waren in erster Linie Fahrzeuge, die seinerzeit der Boulanger (Bäcker) oder Boucher (Metzger) zwischen Lille und Perpignan gefahren hat, die die Marke mit dem Doppelwinkel ab Mitte der Neunziger Jahre auch in Deutschland in den Zulassungszahlen wieder nach oben gespült hat. Wer etwa hätte geglaubt oder gar gewusst, dass der 1996 ins Programm aufgenommene Berlingo seit der Jahrhundertwende viermal der meistverkaufte Citroën als Personenwagen war.
Der Berlingo, ein Zwitter, mal Nutzfahrzeug, mal Personenwagen. Je nach Konfiguration. Ein Auto, das nicht nur als Nachfolger eines Xantia, Visa oder AX, sondern auch als Erbe der leichten und günstigen C15 und C25 herhalten musste. Jetzt schickt der double chevron (Doppelwinkel) eine neue Berlingo-Generation ins Rennen und rundet seine gesamte Nutzfahrzeug-Palette vom großen Jumper über Jumpy und Berlingo bis hinunter zum neuen Nemo nach unten ab. Produziert werden bis auf den Berlingo alle Nutzfahrzeuge in Kooperation des französischen PSA-Konzerns und Fiat in der Türkei. Die Geschwister des Nemo sind demzufolge Fiat Fiorino und Peugeot Bipper.
Der Nemo ist ein reiner Stadttransporter, einer der im Dickicht und Gewühl des urbanen Asphalt-Dschungels mit kleinem Wendekreis, geringen Ausmaßen, aber jede Menge Stau- und Nutzraum seine Besitzer vor allen Dingen in kleinen Handwerksbetrieben finden wird. Die Stärke des kompakten und dennoch geräumigen Nemo ist seine Länge von 3,86 m, die ihm im Stadtverkehr die Agilität und Wendigkeit eines C2 verleiht. Hinzu gesellt sich eine, gemessen an diesem Format, große Transportkapazität (2,5 m3 Ladevolumen und 610 kg Nutzlast, inklusive Fahrergewicht), die durch asymmetrische Flügeltüren am Heck und optional ein oder zwei große seitliche Schiebetüren gut genutzt werden kann. Je nach Personalaufwand nutzbar wird der variable Beifahrersitz Extenso, der sich nicht nur umklappen, sondern auch völlig im Boden versenken lässt, angewandt werden.
Im Motorenangebot wird der 1,4-Liter HDI mit 68 PS, der 4,5 Liter Dieselkraftstoff auf 100 Kilometer verbraucht, viele Freunde finden. Daneben gibt es noch einen etwas stärkeren 1,4-Liter Benziner mit 73 PS, der sich vielleicht besser verkaufen könnte als ursprünglich angenommen, da Diesel und Benzin mittlerweile fast auf dem gleichen Preisniveau liegen. Die Preisliste beginnt bei 11.840 Euro für den Benziner bis zu 13.209 Euro für den HDi. Spätestens im nächsten Jahr soll auch in Deutschland neben dem Kastenwagen eine Pkw-Version des Nemo eingeführt werden. Auch diese übrigens – davon gehen wir zumindest aus – nicht in einer optionalen Ausführung in Wellblech.
Text: Jürgen C. Braun