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Stacey Kent: Breakfast On The Morning Tram.
(Blue Note/EMI)

Die amerikanische Jazzsängerin Stacey Kent kann auf eine zehnjährige Karriere zurückblicken, die vor allem in Europa herangereift ist und Früchte getragen hat. Nun setzt die aparte Künstlerin, die sich bis dato vor allem als superbe Interpretin des Great American Songbook hervorgetan hat, ihren künstlerischen Weg unter neuen Prämissen fort. Ihr neues Studioalbum, Breakfast On The Morning Tram, ist zugleich ihr Debüt auf dem Jazzlabel Blue Note, dessen französische Dependance Stacey Kent exklusiv unter Vertrag genommen hat. Nach einer vier Jahre währenden Studiopause stellt die Sängerin mit dem Faible für romantische Songs auf ihrem jüngsten Werk zudem ihre neue Begleitband vor. Neben ihrem Ehemann, dem Tenorsaxophonisten Jim Tomlinson, der von Beginn an ihre Karriere begleitet und auch all ihre Alben produziert hat, unterstützen sie nun Graham Harvey (Piano, Fender Rhodes), John Parricelli (Gitarre), Dave Chamberlain (Bass) und Matt Skelton (Schlagzeug, Percussion) auf dem im Frühjahr dieses Jahres in England aufgenommenen Album.

Blue Note ist das Label, von dem ich schon als Kind geträumt habe, schwärmt Stacey Kent. Bei Blue Note zu unterschreiben, löst dasselbe Gefühl aus, das Steffi Graf empfunden haben muss, als sie das erste Mal den Court betrat, um gegen Martina Navratilova zu spielen. Ich hatte schon immer enormen Respekt vor Blue Note und den Künstlern auf diesem Label mit seinen ganzen Persönlichkeiten und den unterschiedlichen Weisen, Musik zum Ausdruck zu bringen, und das stets mit solcher Integrität und Seele. Ein Teil dieser Familie und Geschichte zu sein, ist ein Traum, der wahr geworden ist.

Traumhaft ist auch das neue Album von Stacey Kent, in dessen Titel Breakfast On The Morning Tram schon viel von der Aufbruchstimmung mitschwingt, die auf den zwölf vorliegenden Songs vorherrscht. Den Text des Titelsongs sowie die Lyrics zu drei weiteren Songs schrieb kein Geringerer als der englische Schriftsteller Kazuo Ishiguro, der mit seinen preisgekrönten Romanen wie Was vom Tage übrig blieb auch hierzulande bekannt geworden ist.

Die Verbindung zu Kazuo Ishiguro entstand vor fünf Jahren, als der Schriftsteller zu Gast in der BBC-Radioshow Desert Island Discs war und Stacey Kents Interpretation von They Can't Take That Away From Me auswählte. In der Folge schrieb Ishiguro die Linernotes für ihr Album In Love Again und das tiefe Verständnis für ihre Kunst, das in den Worten des berühmten Schriftstellers zum Ausdruck kam, gab der Sängerin die Idee, dass dieser auch der ideale Songtexter für sie wäre. So kam es dann, dass Jim Tomlinson als Komponist und Kazuo Ishiguro als Autor für ihr Blue-Note-Debüt zusammenarbeiteten. Nichts war jemals so aufregend wie Songs speziell für mich von zwei Menschen geschrieben zu bekommen, die ich beide so sehr bewundere. Jim und Kazuo scheinen mich so innig zu verstehen, dass ich das Gefühl habe, ihre Songs immer schon gekannt zu haben. Kazuos Lyrics sind wie Kurzgeschichten und folgen keinen konventionellen Songformen, während Jims Melodien die Stimmungen der Texte perfekt einfangen. Die musikalischen Welten, die sie erschaffen haben, hauen mich einfach um!

Die kristalline Schönheit von The Ice Hotel, die wunderbare Stimmung des Titelsongs Breakfast On The Morning Tram, das sanfte Fernweh in I Wish I Could Go Travelling Again und das amouröse So Romantic mögen die klingenden Beweise einer perfekten künstlerischen Liaison sein, bei der sich Literatur und Jazz zu hoher Poesie vereinen – es ist jedoch Stacey Kents einzigartiger Gesangsstil, der den Songs wahre Magie verleiht. Jay Livingston, mit drei Oscars ausgezeichneter Songwriter, der hier sein mit Ray Evans komponiertes Never Let Me Go beisteuert, bezeichnet Stacey Kent als Offenbarung: Sie hat den Stil solcher Größen wie Billie Holiday und Ella Fitzgerald. Und sie singt die Worte wie Nat Cole – sauber, klar und nahezu beiläufig mit perfekter Phrasierung. Besser geht es einfach nicht.

Die extravagante Auswahl der anderen Songbeiträge respektive deren atemberaubende Interpretationen bestätigen diese Einschätzung ein ums andere Mal. Landslide etwa, eine der schönsten Akustikballaden von Fleetwood Mac, klingt noch zärtlicher und beschaulicher als das Original. Der Song ist eine Hommage an die Berge von Colorado, in die sich Stacey Kent und ihr Mann gelegentlich zurückziehen, um ihre Batterien aufzuladen. Steve Nicks hatte Landslide damals in Aspen, Colorado geschrieben und auch die Kompositionen von Jim Tomlinson sind ebendort entstanden. Ein weiterer starker Bezugspunkt für Stacey Kent ist Paris, wo schon ihr Großvater studiert hatte und wo auch sie eine Zeit lang gelebt hat. Mit ihrem im Jahr 2003 veröffentlichten Album The Boy Next Door feierte Stacey Kent ihren bislang größten Erfolg in Frankreich und erzielte damit Gold. Der besonderen Beziehung zu ihren französischen Fans zollt sie nun Tribut, indem sie zwei ihrer liebsten Songs von Serge Gainsbourg, Ces petit riens und La saison des pluies, ihren eigenen Stempel aufdrückt.

Mit Samba Saravah, einem Song aus dem Claude-Lelouch-Film Un homme et une femme, hat Stacey Kent einen dritten Song in französischer Sprache in das Albumrepertoire aufgenommen. Damit hat sie − wie schon bei der Songauswahl in der Vergangenheit − ihrer Liebe zum Kino ein weiteres Mal Ausdruck verliehen. Das gilt auch für Hard Hearted Hannah, wo sich Stacey Kent von Ella Fitzgeralds berühmter Version aus dem Film Pete Kelly's Blues inspirieren ließ. Es sind gerade diese leichtfüßigen und verspielten Songs, in denen Stacey Kent ihren Sinn für Humor aufblitzen lässt, der mit ihren besonderen Charme ausmacht und auch ihre außergewöhnliche Qualität als Performerin definiert, da sie es versteht, noch in die melancholischsten Songs reinste Lebensfreude hineinzulegen.

Das spürt man besonders bei ihrer Interpretation des Klassikers What A Wonderful World, bei der sie der gravitätischen Schwere von Louis Armstrong elfenhafte Leichtigkeit entgegenstellt. Das hat Verve. Und das hat Witz. In Sergio Mendes' So Many Stars kommt ihre joie de vivre ebenfalls bestens zur Geltung. So wie Stacey Kent hier stets die perfekte Balance zwischen Freude und Schmerzen der Liebe ausbalanciert, so ausgewogen galant wird sie von ihren Musikern begleitet. Ich bin sehr stolz auf dieses erste Album mit meiner neuen Band. Das letzte Jahr war geprägt von fesselndem musikalischem Wachstum und ich denke, das haben wir auch auf das Album gebannt. Eine große Freude für mich ist, als Musikerin gemeinsam mit Jim zu reifen und zu reisen. Wir teilen unsere Lebenserfahrungen durch Musik. Reisen, sowohl im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne, Entscheidungen treffen und Erneuerung sind die drei großen immer wiederkehrenden Themen des Albums – und alle sind ausgesprochen persönlich. Sie sind weniger bewusst gewählt, als dass sie unbewusst immer da waren, als die Songs für dieses Album ausgewählt wurden. Der Titelsong 'Breakfast On The Morning Tram' repräsentiert diese Themen besser als jeder andere.

Die lange künstlerische Reise der Stacey Kent begann vor weit mehr als zehn Jahren. Die New Yorkerin war eigentlich als Sprachstudentin (Französisch, Italienisch und Deutsch) nach Europa gekommen, um hier ihren Master in vergleichender Literaturwissenschaft zu machen. Ihr Werdegang nahm jedoch eine schicksalhafte Wende, als sie in Oxford den Saxophonisten Jim Tomlinson kennenlernte, der ebenfalls im Begriff war, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Die beiden wurden, wie es für ein Hollywood-Drehbuch nicht besser hätte erfunden werden können, ein Liebespaar und beschlossen, aus ihrer Passion für Musik gemeinsame Sache zu machen. Nachdem Stacey ein Jahr lang an der Guildhall School of Music studiert hatte, ging sie in Begleitung von Jim Tomlinson, den sie in der Zwischenzeit geheiratet hatte, nach London, um in der dortigen Jazzszene an ihren Talenten zu feilen. Ein Demotape, verschickt an diverse Plattenfirmen und Sender, brachte ihr auf Anhieb eine Rolle in Ian McKellens Filmadaption von Richard III., landesweites Airplay in englischen Jazzsendern und schließlich auch einen Plattenvertrag ein. Seit ihrer ersten Albumveröffentlichung Close Your Eyes im Jahr 1997 ist es mit ihrer Karriere stets weiter bergaufgegangen und ihr Ruf als eine Sängerin, die neben Diana Krall und Norah Jones zu den besten zeitgenössischen ihrer Art gehört, ist auch in die USA vorgedrungen.

Im Laufe ihrer bis dato sechs veröffentlichten Alben, Bestseller allesamt, hat Stacey Kent eine beachtliche Reihe von Auszeichnungen erhalten. 2001 gewann sie den British Jazz Award und 2002 den BBC Jazz Award als beste Sängerin; 2004 erhielt sie den Backstage Bistro Award und im letzten Jahr wurde Jim Tomlinsons Album The Lyric. featuring Stacey Kent bei den BBC Jazz Awards zum Album des Jahres gekürt. Mit ihrem letzten eigenen Studioalbum, The Boy Next Door, das sich in den USA 35 Wochen lang in den Billboard-Charts hielt, war sie fast zwei Jahre lang auf weltweiter Tournee. Zu den Highlights dieser Konzertreise zählten ein umjubelter Auftritt in New Yorks Carnegie Hall, ein ausgebuchter Monat im renommierten Algonquin Hotel sowie ein ausverkauftes Hallenkonzert in Taipeh. Zu den besonderen Ehrbezeugungen gehört sicherlich auch die Einladung von Clint Eastwood, zu dessen 70. Geburtstag ein Ständchen zu geben. Die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Stacey Kent und ihr einnehmender Charme haben sich offensichtlich bis Hollywood herumgesprochen. Blue Note hat sich der Klasse einer Vollblutromantikerin versichert, die mit Breakfast On The Morning Tram zweifellos zur Bestform aufgelaufen ist. A great jazz diva of our age, um ihren literarischen Mentor Kazuo Ishiguro abschließend zu zitieren.

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