Winterreifen: Auf die Mischung kommt es an

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Dass die Öffentlichkeit, womit in diesem Falle beileibe nicht nur Juristen gemeint sind, mitunter auf neue Gesetze regelrecht zu warten scheint, um deren Haltbarkeit im Alltag erst einmal auf Herz und Nieren zu prüfen oder gleich ad absurdum zu führen, ist durchaus gängige Praxis. Eher ungewöhnlich ist es, wenn dagegen nach mehr als einem Jahr noch kein einziges Im Namen des Volkes vorliegt. So wie im Falle der im Mai 2006 eingeführten Novellierung von Paragraf 2, Absatz 3a der StVo, nach der bei Kraftfahrzeugen die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse angepasst werden muss.

Eine ziemlich schwammige Regelung, die den Autofahrer durchaus 20 Euro, oder sogar 40 Euro und einen Punkt in der Flensburger Verkehrssünder-Kartei kosten kann, dennoch aber keine explizite Winterreifenpflicht darstellt. Ich freue mich schon auf die ersten Urteile hatte im November vergangenen Jahres Wolfgang Büser, Fernseh-Rechtsexperte, erklärt, doch immer noch herrscht nur Vorfreude. Weil es einfach noch kein einziges Urteil gibt, das auf dieser StVo-Novellierung fußt. Was vielleicht auch am zu milden Winter des vergangenen Jahres liegen kann, wie Büser jetzt ein Jahr später bei einem Workshop des Reifen-Herstellers Dunlop zugab.

Immer noch sei es reine Ermessenssache des oder der Betroffenen, was man sich unter angepasster Ausrüstung vor zu stellen habe. Ob diese nur die Beschaffenheit der Reifen mit einbeziehe, oder auch das Mitführen von Decken, heißen Getränken, und/oder Mobiltelefonen, um Hilfe herbei zu holen: Alles noch ein richtig schöner rechtsfreier Raum.

Noch keine Auswirkung hat die neue Verordnung beim Versicherungsschutz. Immer noch gilt: Wer etwa bei winterlichen Verhältnissen mit Sommerreifen einen Unfall verursacht, dessen Versicherung zahlt dem Unfallopfer den Schaden. Beim Vollkaskoschutz dagegen ist die Sachlage etwas anders. Wer sich grob fahrlässig verhält und mit abgelutschten Winterreifen ins alpine Hochgelände oder auch nur in die verschneiten deutschen Mittelgebirge fährt, der muss bei einem selbstverschuldeten Unfall blechen. Der Jahreszeit angepasst heißt übrigens nicht nur Winterreifen im Winter, sondern gilt vom 1. Januar bis 31. Dezember, also auch für anständige Bereifung und adäquate Ausrüstung im Hochsommer. Was immer der Richter darunter versteht.

Die technische Entwicklung von Winterreifen ist im Lauf der vergangenen Jahrzehnte mit Siebenmeilen-Stiefeln voran geschritten. Wo in den Fünfzigern oder Sechzigern noch grobstollige und laute Ungetüme mit einem ziemlich kruden Mix aus Bodenhaftung, Traktion, Seitenführung oder Wirtschaftlichkeit die Felgen bedeckten, sorgen heute High-Tech-Produkte aus der Hexenküche der Reifenhersteller für ein völlig neues Fahrgefühl. Die Aufgabe der Entwickler beschreibt Dr. Ulrich Steinbrecht, Chef der Materialentwicklung von Dunlop: Wir stehen ständig im Konflikt, eine Eigenschaft des Reifens auf Kosten einer anderen zu verbessern. Steigert man beispielsweise die Fahrleistungen auf Schnee und Eis durch eine weichere Gummimischung, muss man darauf achten, dass sich der Rollwiderstand oder die Laufleistung des Pneus nicht verschlechtern.

Reifeningenieure können mittlerweile auch auf zahlreiche Techniken zurückgreifen, die es vor einigen Jahren noch nicht gab. Durch den Einsatz von Nano-Partikeln und Silika verbessern die Materialforscher die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte. In einem handelsüblichen Reifen stecken mittlerweile bis zu zwölf unterschiedliche Gummimischungen

Text: Jürgen C. Braun

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