Warum sich Michelin aus der Formel 1 zurückzieht – Wiederkehr nicht ausgeschlossen
Doppelter Abschied: Am Sonntag beendet nicht nur Rekord-Weltmeister Michael Schumacher nach 16 Jahren seine Formel-1-Karriere, auch der Reifenhersteller Michelin zieht sich nach fünf Jahren aus dem Geschäft zurück.
Sie waren Heilsbringer und Sündenböcke zugleich. Sie ließen ein Rennen, wie das in Indianapolis, zur Farce werden, sie kürten Weltmeister und schufen Verlierer: Die Reifen, das Schwarze Gold der Formel 1. Längst gehört das geflügelte Wort vom Reifenkrieg zum Standard-Repertoire rund um Siege und Niederlagen. Damit ist ab kommenden Sonntag vorerst einmal Schluss.
Der französische Hersteller Michelin zieht sich nach fünf Jahren aus dem Geschäft zurück. Nach der Rückkehr in die Formel 1 2001 geht für den Reifen-Produzenten die zweite Ära in der Formel 1 zu Ende. Im nächsten Jahr wird es – ein Jahr früher als geplant – für alle Beteiligten Einheitsreifen von Bridgestone geben. Die Japaner waren nach dem Ausstieg von Goodyear am Ende der Saison 1998 bereits 1999 und 2000 Einheitslieferant in der Königsklasse, ehe 2001 Michelin hinzukam.
Das Duell Michael Schumacher gegen Fernando Alonso, die Auseinandersetzung Ferrari gegen Renault, das war auch das Duell Japan gegen Frankreich, das war Bridgestone gegen Michelin. Einer der Gründe für den Rückzug der Strategen aus Clermont-Ferrand war die Entscheidung der FIA, die Formel-1-Teams ab 2008 mit Einheitsreifen auszustatten. Auf diesem Weg sollen in erster Linie die Kosten reduziert, aber auch die Aufrüstung konkurrierender Reifenhersteller beendet und die Geschwindigkeiten gesenkt werden.
Die Franzosen, die in diesem Jahr neben Renault auch die Teams von BAR-Honda, BMW-Sauber, Red Bull und McLaren-Mercedes beliefern, gaben erheblich Differenzen mit dem Welt-Automobilsportverband als Gründe für ihren Rücktritt bekannt. Die Entscheidung ist das Ergebnis profunder Differenzen zwischen Michelins langjähriger Sport-Philosophie und der Art und Weise, wie die Formel 1 von Behörden reguliert wird, die nicht mehr zu langfristigen Engagements ermutigen, ließ der Hersteller in einer offiziellen Erklärung verlauten. Die Formel 1, so Michelin, müsse ein intensiver technologischer Wettbewerb bleiben. Im vergangenen Jahr gehörten noch Williams und Toyota zu den Kunden der französischen Gummi-Kaderschmiede.
In Interlagos will sich Bibendum, die Werbe-Ikone des Hauses, natürlich mit einem Sieg und zwei Weltmeister-Titeln (Alonso und das Renault-Team in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft) aus dem weltweit bedeutendsten Motorsport-Wettbewerb zurückziehen Die Rüttelpiste in Brasilien, die vor zwei Jahren zwar etwas zivilisiert worden war, gilt aber immer noch als extreme Herausforderung für alle Beteiligten, also auch für die Riefen-Industrie.
Während der verstorbene Konzern-Chef Edouard Michelin als Hardliner galt, schließt Frédéric Henry-Biabaud, der seit Beginn dieses Jahres die Motorsport-Aktivitäten des Hauses leitet, eine Wiederkehr nicht kategorisch aus. Aber dann müsste sich am Reglement in Bezug auf die Reifen einiges ändern.
Text: Jürgen C. Braun