Ein Traum aus Blech zwischen Rudi Dutschke und den Beatles…
Rückblick: Auf den Top-Rankings der internationalen Hitlisten tummeln sich die Bee Gees mit Massachusetts und die Beatles mit Hey Jude. Auf dem deutschen Campus herrscht dank Rudi Dutschke und der APO Aufbruchstimmung oder das organisierte Chaos – je nach Sichtweise – und in der Höhenluft von Mexico City springt ein dunkelhäutiger Amerikaner namens Bob Beamon mit 8,90 Meter in die nächste Weitsprung-Galaxie. Es ist das Jahr, nach dem später eine ganze Generation benannt werden sollte: Die 68er.
Und was beschert uns seinerzeit die Auto-Welt? Fahrzeuge, die noch ohne den Rucksack des CW-Wertes durch ihr irdisches Dasein fahren dürfen, die noch mit unverbleit normal oder super über unsere Straßen rollen und teilweise noch von den Ressourcen einer 6-Volt-Batterie unter dem Rücksitz zehren. Doch Träume in Blech und Lack wurden auch damals schon wahr. Drei Jahre, nachdem auf der internationalen Automobilausstellung (IAA) 1965 in Frankfurt die Studie GT Experimental gezeigt wurde, präsentiert Opel das Ergebnis, ein Fahrzeug, das zum Klassiker wurde und einen Slogan kreierte, der noch heute Bestand hat: Nur Fliegen ist schöner. Der Opel GT wurde zum Kult-Sportwagen, der jetzt nicht nur seine Wiedergeburt, sondern auch eine große Hommage erfährt. In Genf zeigen die Rüsselsheimer derzeit den Nachfolger des rassigen Zweisitzers und im Adam-Opel-Haus des Stammwerkes wurde vor wenigen Tagen eine Ausstellung zum Thema eröffnet, die dort noch bis 29. März zu sehen ist und anschließend auf Europa-Tournee geht. Was gibt es Schöneres, als in den Träumen unserer Vergangenheit zu schwelgen und justament zur selben Zeit die Reinkarnation vollzogen zu wissen.
Der GT trug mit seiner langen Schnauze und dem kurzen Stummelheck die Wesensmerkmale einer Corvette und war doch ein urdeutsches Auto. Auf 60 PS brachte es der GT 110, der seinerzeit für 10.767 Deutsche Mark über den Ladentisch ging, die reinrassige Variante war der 90 PS starke GT 1900, der bei der Markteinführung 1968 1.100 Mark mehr kostete. Der Opel GT 1900 – ausgestattet mit knalligen und poppigen Farben – brauchte für Null auf 100 11,5 Sekunden und jagte die Tachonadel bis zur Marke von 185 km/h hoch. Im Frühjahr 1971 folgte der GT/J (Junior), eine abgespeckte Version für 10.499 DM. 103.463 GT's verließen insgesamt die Förderbänder des Hauses Opel. Der letzte seiner Zunft im August 1973 in Bochum. Der Zeitgeist damals war schon ein anderer geworden. Die Ölkrise vernichtete den schönen Glauben vom unbeschwerten Umgang unserer geliebten Blechkisten mit der Zapfpistole an der Tankstelle. Hippie und Flower-Power waren von den Auswirkungen des Vietnam-Krieges aus den Schlagzeilen gedrängt worden.
In Rüsselsheim (bis 29. März), danach auf der Techno Classica in Essen (6. bis 9. April) und dann in europäischen Metropolen wie Berlin, Mailand, oder Paris wird derzeit nicht nur die Vergangenheit lebendig, sondern auch der Brückenschlag zum neuen GT vollzogen. Im Atrium des Adam Opel Hauses sind nicht nur der Experimental-GT zu sehen, sondern beispielsweise auch der GT Aero, eine offene Version mit Targa-Dach, die nie realisiert wurde. Unikate wie der zu Versuchszwecken umgebaute GT mit Dieselmotor oder ein Elektro GT sind genau so Zuckerstückchen der Ausstellung wie die Studie Vauxhall VX Lightning. Zahlreiche Schautafeln mit Bezügen zum damaligen Weltgeschehen lassen den Besucher vollends in das GT-Zeitalter eintauchen.
Dass der neue GT, der kein Fahrzeug im Retro-Look, sondern ein offener Roadster für puren Fahrspaß ist, in diesem Ambiente nicht fehlen darf, ist selbstverständlich. Opel-Marketingchef Alain Visser bezeichnet den GT des neuen Jahrtausends denn auch als einen Opel, den wir noch konsequenter als Sportwagen konzipiert haben: knackig, rassig, mit Stoffverdeck und klassischem Heckantrieb. Eine Neuauflage, die dennoch mit dem markanten Design ihre Zugehörigkeit zur Opel-Modellfamilie betone. Beim optischen Brückenschlag über die Jahrzehnte hinweg überwiegen dennoch die Reminiszenzen an jene Zeiten, als sich beim männlichen Besucher damals der erste zarte Bartflaum zwischen den Clearasil-Tupfern offenbarte. Der Opel GT war seinerzeit auch für den Schreiber dieser Zeilen ein echtes Traumauto, was nicht nur allein auf das Fahrzeug zurück zu führen war, sondern auch auf den Umstand, dass eine markante GT-Besitzerin aus dem näheren persönlichen Umfeld das Attribut Traumfrau erfüllte. Dass es jedoch sowohl beim Auto wie auch der weiblichen Zugabe nie zu näherer persönlicher Bekanntschaft reichte, entpuppte sich nach Jahren jedoch zumindest in letzterem Fall als ausgesprochen barmherzige Fügung des Schicksals.
Text: Jürgen C. Braun