Autositze bieten beim Heckaufprall ungenügenden Schutz

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Über 60 Prozent aller getesteten Autositze schnitten mit mäßigen oder schlechten Ergebnissen ab. Jeder dritte Sitz fiel durch. Selbst Premium-Hersteller sind von den ernüchternden Testergebnissen betroffen. Das sind Ergebnisse, die vom Verkehrstechnischen Institut der Deutschen Versicherer in Berlin präsentiert wurden. Die aktuellen statischen und dynamischen Tests beweisen: Mit der Schutzwirkung für die Halswirbelsäule (HWS) ist es bei den meisten Frontsitzen aktueller Automodelle nicht gut bestellt.

Erstmals hatten sich die Versicherer in diesem Jahr weltweit auf einen Teststandard für Autositze geeinigt, um Verletzungen der Halswirbelsäule zu verringern. 111 Sitze von gängigen Fahrzeugen des aktuellen Modelljahres wurden dem neuen Testverfahren unterzogen.

Jährlich ereignen sich auf deutschen Straßen etwa 200.000 Heckauffahrunfälle. In vielen Fällen kommt es dabei zu einer Verletzung der Halswirbelsäule. Die oft auch als Schleudertrauma bezeichnete Verletzung führt bei den Betroffenen zu Nacken- oder Kopfschmerzen – in jedem zehnten Fall sogar zu länger andauernden Beschwerden. Der Kostenpunkt allein für die deutschen Versicherer liegt jährlich bei rund einer Milliarde Euro jährlich für medizinische Behandlung, Lohnfortzahlung und Schmerzensgeld, sagte Ulrich Greim-Kuczewski, Stellvertretender Vorsitzender des Kraftfahrt-Fachausschusses des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Mit guten Sitz-Kopfstützenkombinationen ließe sich mindestens jede dritte HWS-Verletzung nach leichten Auffahrunfällen vermeiden. Dafür muss sie so weit oben positioniert werden können, dass ihre Oberkante mit der Oberkante des Kopfes abschließt, und sie darf nicht zu weit vom Kopf entfernt sein. Obwohl verschiedene Forschungsinstitute die Geometrie der Sitze und Kopfstützen seit Jahren überprüfen, erfüllen selbst Fahrzeuge des aktuellen Modelljahres diese Basisvoraussetzungen in vielen Fällen nicht.

Grund genug für die International Insurance Whiplash Prevention Group (IIWPG) ein weltweit einheitliches Testverfahren zu entwickeln, um Fahrzeugsitze hinsichtlich ihrer Schutzwirkung gegen HWS-Verletzungen zu beurteilen. Neben der richtigen Kopfstützengeometrie spielt für die Sicherheitsbeurteilung ein standardisierter dynamischer Heckaufprall-Test eine wesentliche Rolle, betonte Axel Malczyk, Projektleiter im Verkehrstechnischen Institut der deutschen Versicherer.

Die Ergebnisse der Sitztests aktueller Fahrzeuge des europäischen Marktes zeigen erheblichen Verbesserungsbedarf: Während 89 (80 Prozent) der getesteten 111 Sitze die Geometrie-Bewertung gut oder akzeptabel erzielten, hatten 19 Sitze (17 Prozent) eine mäßige und drei (3 Prozent) sogar eine schlechte Geometrie. Diese Gruppe von Sitzen erhielt deshalb in der Gesamtbewertung ohne weiteren Schlittentest das Urteil schlecht. Von 89 Sitzen, die zusätzlich gecrasht wurden, erreichten beim dynamischen Test nur 19 (17 Prozent) die Note gut und 25 (23 Prozent) akzeptabel.

Die Gesamtbewertung aus Geometrie- und Dynamiktest fällt dementsprechend schlecht aus: Mehr als die Hälfte der untersuchten Sitze erhielt eine mäßige (28 Sitze/25 Prozent) oder eine schlechte Bewertung (39 Sitze/35 Prozent). 26 Sitze (23 Prozent) wurden insgesamt akzeptabel beurteilt und nur 18 (16 Prozent) erhielten das Prädikat gut. ´

Die deutschen Versicherer fordern vom Gesetzgeber, dass die gültige europäische ECE-Norm dringend erneuert werden muss. So ist es nicht mehr angemessen, dass die Höhenverstellmöglichkeit der Kopfstütze für große Fahrer nicht vorgeschrieben ist. Falls diese Überarbeitung in absehbarer Zeit nicht umgesetzt werden kann, muss über eine nationale Zwischenlösung nachgedacht werden. An die Automobilhersteller geht die Forderung, nur noch solche Sitze in Neufahrzeuge einzubauen, die den Teststandards der Versicherer genügen. Die Autofahrer schließlich sind gehalten, die Kopfstütze – sofern möglich – bei jeder Fahrt auf die richtige Höhe herauszuziehen.

Text und Foto: Erwin Halentz

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