100 Jahre Rolls Royce: Happy Birthday, Emily

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Wer sich mit dem Auto dem englischen Provinzstädtchen Crewe nähert, den grüßt, gleich aus welcher Richtung auch immer, ein großes Schild mit der Aufschrift: Die Stadtgemeinde von Crewe und Nantwich, Heimat des besten Autos der Welt. Vermessen, selbstverliebt oder einfach nur realistisch? Fest steht, in Crewe, lange Jahre Produktions-Standort des Hauses Rolls-Royce, wurden handverlesene Fahrzeuge gebaut, die im Laufe ihrer Geschichte alles übertrafen, was man sich an Lust und Luxus in einem Automobil überhaupt nur vorstellen konnte. Unzählige Geschichten und Anekdoten, triumphale und tragische Momente, ranken sich um die Kult-Karossen mit der legendären Kühlerfigur Emily, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiern dürfen. Es war der 4. Mai des Jahres 1904, als sich der Flugpionier Charles Rolls und der Techniker Henry Royce im Midland Hotel in Manchester zum ersten Mal trafen.

Dieser Tag war quasi die Geburtsstunde des Hauses Rolls-Royce, geschrieben von zwei Männern, deren Herkunft nicht unterschiedlicher sein konnte: Hier der Aristokraten-Sohn Rolls, und dort der Tüftler Royce, aufgewachsen als fünftes Kind einer nicht mit Reichtümern gesegneten Arbeiterfamilie, der bereits mit zehn Jahren als Telegramm-Bote mit zum Unterhalt der Familie beitragen musste. Beide aber verband eines: Die Liebe zum Automobil. Der 14 Jahre jüngere Rolls fuhr Rennen mit allem, was sich mit Verbrennungsmotor bewegte, und das technische Naturtalent Royce, der 1894 eine Fabrik für elektrische Kräne und Dynamos gebaut hatte, war mit seinem Dienstfahrzeug, einem Gebrauchtwagen, derart unzufrieden, dass er beschloss, ein Besseres zu bauen. Beide ergänzten sich auf geniale Weise und schon auf dem Pariser Automobilsalon im Dezember 1904 stellte sich die Firma Rolls-Royce Motorcars mit eigenen Modellen vor. Und vieles aus der Gründerzeit des Hauses wurde bis heute nicht geändert. So wurden die Kugelgelenke im Vergasergestänge des modernen Silver Spirit vor mehr als 70 Jahren von Henry Royce entwickelt. Bis jetzt war niemand in der Lage, sie besser zu fabrizieren. Also beließ man sie so.

Was daraus wurde, im Laufe eines Jahrhunderts, ist bekannt: Namen wie Silver Spur, Silver Ghost, oder Continental Phantom wurden zu Ikonen der Automobil-Geschichte. Und die Liste derer, die sich mit Fahrzeugen der Herren Rolls und Royce durchs Leben bewegten, ist mindestens genauso exklusiv wie die ihrer fahrbaren Untersätze. Gekrönte Häupter des ganzen Erdkreises, Staatsmänner, Ölscheichs, Schauspieler, Weltmeister oder Pop-Stars durften sich Besitzer eines der insgesamt 105.000 Fahrzeuge nennen, die in der nun 100-jährigen Firmengeschichte gebaut wurden. Zum Vergleich. Der US-Gigant General Motors produziert die gleiche Anzahl an Autos im Durchschnitt in drei Tagen! Zum Wahrzeichen der Marke mit den beiden verschlungenen R aber wurde The Spirit of Ecstasy, die Kühlerfigur Emily mit den ausgebreiteten Armen, die diese Fahrzeuge seit 1911 ziert. Modell dafür stand übrigens Eleanor Thornton, die Sekretärin eines englischen Industriellen. Diesen Moment allerdings erlebte Rolls nicht mehr. Er starb 32-jährig am 12. Juli 1910 bei einer Flugschau und errang damit einen traurigen Rekord: Er war der erste Brite, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Der Siegeszug der Rolls-Royce-Mobile und damit das Kaleidoskop der menschlichen Eitelkeiten war aber war nicht mehr aufzuhalten: Königin Elizabeth II., Generalissimo Franco, der Schah von Persien, John Lennon, Elvis Presley, Charlie Chaplin, Muhammad Ali, der Maharadscha von Haiderabad. Das ist nur eine verschwindend geringe Liste von Namen, die Besitzer eines oder mehrerer Rolls waren oder es immer noch sind. Das Symbol von Protz und Prunk machte aber auch vor den Türen des Sozialismus nicht halt. Egal, ob Lenin, Stalin oder Leonid Breschnew: Sie alle bevorzugten, in einem Rolls-Royce durch die Welt des Proletariats zu fahren, wenn sie wieder einmal den Untergang des Kapitalismus prophezeiten.

Was Wahrheit, was Erfindung ist an den vielen Anekdoten, die sich um diese Fahrzeuge und ihre Besitzer ranken, mag für immer ein Geheimnis bleiben. Ein Streifzug durch das Kuriositäten-Kabinett sei dennoch gestattet: Henry Ford, ebenfalls Owner eines Rolls-Royce, soll eines Tages mit eben diesem Gefährt bei einem Bekannten vorgefahren sein und als Entschuldigung angeführt haben: Mein Ford wird gerade überholt, deshalb habe ich die nächstbeste Karre genommen. Die verschwenderischsten Besitzer aber waren die gekrönten Häupter des indischen Subkontinents. Der Rolls-Royce des Maharadscha von Nadagoon besaß ein Lenkrad aus Elefantenzähnen, im Heck befand sich ein mit Damastseide bezogener Thron. Der Maharadscha von Bairatpur ließ seinen Rolls-Royce mit extrabreiten Trittbrettern für die Tigerjagd ausrüsten, auf den seine Jäger Platz nahmen und der Radscha von Bwalpur soll in einem Anflug von Größenwahn befohlen haben, dass ihm seine Untertanen den Rücken zukehren mussten, wenn er im Rolls an ihnen vorbeifuhr. Der Blick auf dieses königliche Gefährt war ihnen nicht gestattet. Den Überfluss in Reinkultur aber schuf wohl der Herrscher von Alwar, der sechs Silver Ghosts besaß. Als das Haus Rolls-Royce sich weigerte, dem Herrscher vorschwebende Änderungen an diesen Fahrzeugen vorzunehmen, erfasste ihn eine solche Wut, dass er die Karossen postwendend zu Müllautos umfunktionierte! Rolls-Royce-Fahrzeuge, die in den zwanziger Jahren nach Indien geliefert wurden, waren übrigens nicht mit Klaxon-Hörnern, sondern mit weitaus leiseren Bosch-Hupen ausgerüstet, um die heiligen Kühe auf indischen Straßen nicht zu erschrecken.

Egal ob Hochzeiten, Staatsbesuche oder andere weltbewegende Ereignisse: Die Emily war immer mit dabei. Als Rudolfo Valentino, der größte Herzensbrecher der Filmgeschichte, den Weg zu seiner letzten Ruhestätte antrat, folgten seine Freunde in 18 Rolls-Royce dem Sarg. Die Saga ließe sich mit zahlreichen wundersamen Ereignissen fortführen, aber ihr Geheimnis ist und bleibt nun einmal, dass sie ebenso unerforscht wie unergründlich bleibt. Die meisten dieser wundersamen Geschichten hat auch Henry Royce nicht mehr erlebt. Er verbrachte seine letzten Jahre meist an der französischen Riviera und starb, bereits lange Jahre kränklich, im Jahre 1933, ohne den Standort Crewe, wo die Produktion 1947 nach dem Kriege aufgenommen wurde, je gesehen zu haben. Und noch eines blieb ihm erspart, aber das hätte ihm wahrscheinlich ohnehin den Rest gegeben. Den Zeitpunkt nämlich, als aus Rolls-Royce ein BMW wurde. Aber wie so vieles im Leben war auch dies bekanntermaßen nicht von Dauer. Im Gegensatz zum Mythos seiner Fahrzeuge, der immer weiter leben wird.

(Text: Jürgen C. Braun, Fotos: Rolls Royce)

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