Nach der für die Konkurrenz fast schon erschreckenden Dominanz von Titelverteidiger Sebastian Vettel zum Saisonauftakt in Australien blickt die Formel-1-Welt nun mit Spannung auf das zweite Rennen am Sonntag, den „Großen Preis von Malaysia“, in Sepang (10.00 Uhr MESZ). Die bange Frage, die sich die übrigen hoch gewetteten Teams, aber auch viele Beobachter am Rande stellen, lautet: „Wird der Red-Bull-Pilot im neuen RB7, den er prosaisch „Kinky Kylie“ nennt, erneut eine Spazierfahrt zum Sieg an den Tag legen und damit eine Saison der Langeweile herauf beschwören?“ In Melbourne konnte sich die Red-Bull-Mannschaft sogar den Verzicht auf das Energie-Rückgewinnungs-System KERS leisten. In Malaysia soll die Technik aller Voraussicht nach eingesetzt werden. Das würde den Red-Bull-Fahrzeugen, also auch dem des Australiers Merk Webber, noch einmal drei bis vier Zehntel Sekunden Vorteil pro Runde bescheren.
Der 23-jährige Pilot aus dem Odenwald hat aber offensichtlich nicht nur die Rivalen wie Alonso, Hamilton oder Button derzeit fest im Griff, sondern beherrscht auch das neue Regelwerk und die daraus resultierenden Folgen für den Piloten fehlerfrei. Der Teufel liegt im Detail, und die Details selbst im Cockpit, dem Arbeitsplatz der tollkühnen Männer in ihren rasenden Kisten. Vettel und Co. müssen während des rund eineinhalbstündigen Rennens viel mehr erkennen, entscheiden und ausführen als nur lenken und schalten. Bis zu 25 Knöpfe, Regler, Schalter und Verstellmöglichkeiten beinhaltet das technische Wunderwerk mit dem irreführenden Namen „Lenkrad“. Die Rückkehr von KERS, die neuen verstellbaren Heckflügel, die Möglichkeit, das Benzin-Luft-Gemisch, die Bremsbalance oder die Differenzialsperre der angetriebenen Hinterräder aus dem Cockpit heraus zu justieren, verlangt den Piloten höchste Aufmerksamkeit in jeder Phase des Rennens ab.
Ein potenzieller Sieg- oder gar Titelkandidat muss heute viel mehr sein als nur ein angriffslustiger Fahrer mit Draufgängertum und einem „flotten Händchen.“ Nick Heidfeld, seit mittlerweile elf Jahren dabei und in diesem Jahr an Stelle des verunglückten Robert Kubica im Renault unterwegs, hatte sich vor Saisonbeginn äußerst kritisch zu diesem Thema geäußert: „Mit den Lenkrädern wird es immer schlimmer. Wir sind am Limit dessen, was wir beachten und bedienen sollen“, sagt der dreifache Familienvater, der im Mai 34 Jahre alt wird. Und Rubins Barrichello, ehemaliger Teamkamerad des siebenfachen Weltmeisters Michael Schumacher, stieß ins gleiche Horn: „Man kann sich kaum noch auf das Fahren konzentrieren. Es gibt einfach zu viele Knöpfe am Lenkrad. So macht das keinen Spaß mehr und produziert ständig neue Fehlerquellen.“
Weltmeister Sebastian Vettel hatte in dem neuen Wunderwerk der Technik aber auch frühzeitig eine Möglichkeit gesehen, neues Potenzial auszuschöpfen. „Wer sich daran gewöhnt, der wird einen Vorteil haben“, hatte der Heppenheimer schon lange vor den ersten Testfahrten prophezeit. Es geht also nicht nur um den berüchtigten „Bleifuß“, sondern um das, was man gemeinhin als antizipieren bezeichnet: Das frühzeitige Erkennen einer veränderten Rennsituation und das spontane, aber auch angemessene Reagieren auf den Moment. Und das bei 300 km/h und ab und zu auch ein bisschen mehr.
Sebastian Vettel hat seinen sündhaft teuren „Kommdostand“, der gerade mal 1,3 Kilo schwer ist, aber so viel kostet wie zwei Autos der Golf-Klasse, offenbar dergestalt im Griff, dass er daraus die richtigen Schlüsse ziehen kann. Obwohl auch er nach dem Melbourne-Rennen zugeben musste, dass „man in dieser Saison ab und zu mal irgendwo mit dem Finger Sensoren sucht und gleichzeitig KERS und den verstellbaren Flügel bedienen muss. Da kann man schon mal ein bisschen von der Linie abkommen, wenn man nicht aufpasst.“ Worauf der eine oder andere Konkurrent des Titelträgers sogar hoffen mag. Denn irgendwoher muss die Spannung ja kommen, die sich alle erhoffen.
Text: Jürgen C. Braun
Fotos: Ferrari F1 media, Mercedes GP