Heute scheinen sie eine aussterbende Spezies zu sein, vor 35 Jahren aber sollten staatstragende Limousinen von Peugeot und Renault die Grande Nation zurück zu altem Glanz führen. Mit den ersten französischen Sechszylinder-Motoren der Nachkriegszeit, aber vollkommen unterschiedlicher Designsprache, sollten sowohl der erzkonservative Peugeot 604 als auch der Fließheckrevolutionär Renault 30 als Präsidiallimousinen vor dem Elysée-Palast eine ebenso gute Figur machen, wie auf den bis dahin meist deutsch besetzten Direktionsparkplätzen.
Als Vorhut der französischen Sechszylinder-Offensive debütierte bereits fünf Jahre zuvor der avantgardistische Citroën SM, dies allerdings als viersitziger Grandtourisme und mit Maserati-Maschine. Dennoch avancierte der SM in der viertürigen Cabrioletversion Présidentielle schon bald zum vielleicht schönsten Repräsentationsfahrzeug aller Zeiten. Was dem teuren und majestätischen Citroën – SM soll der Legende nach für „Sa Majesté“ stehen – stets verwehrt blieb, war eine auflagenstarke Karriere jenseits der exklusiven Liebhabernische. Diesen Platz besetzte dafür der im Oktober 1974 lancierte Citroën CX mit profanen und preiswerten Vierzylindermotoren. Erschwingliche Antriebe in Kombination mit avantgardistischen Formen lautete also die Erfolgsformel. Eine Rezeptur, der weder der Renault 30 als erster moderner Sechszylinder mit Heckklappe entsprach noch der Peugeot 604 als französische Interpretation der schwäbischen S-Klasse. Eine ganz besondere Erfolgsgeschichte schrieben die beiden Baureihen jedoch mit sparsamen Selbstzündern. So sorgte das Peugeot-Flaggschiff 1979 für Schlagzeilen mit dem europaweit ersten schnelllaufenden Turbodiesel, der sogar Einzug hielt in eine vom Karossier Heuliez gebaute 604-Staatslimousine.
Überraschte Gesichter in den Chefetagen der deutschen Autokonzerne: Die Presseresonanz auf den Genfer Salon 1975 war gar nicht nach dem Geschmack der süddeutschen Premiumhersteller. Ausgerechnet den bürgerlichen französischen Marken war der Coup gelungen, mit großen Limousinen die absoluten Stars des Salons zu präsentieren und die Titelseiten der Medien zu erobern. Die Konkurrenten von jenseits des Rheins waren auf dem Weg zurück in die automobile Prestigeliga und erreichten mit den Sechszylindermodellen Peugeot 604 und Renault 30 bereits das äußere Format der großen BMW-Limousinen und kratzten an den Abmessungen der Mercedes S-Klasse. Imagenachteile versuchten die Gallier durch eine üppige Serienausstattung und Preise zu parieren, die um bis zu 35 Prozent unter den deutschen Platzhirschen lagen.
Vor allem aber waren die Botschafter dieses Aufbruchs in die prestigeträchtigen Automobilsegmente so verschieden wie Tag und Nacht. Der Renault 30 übertrug das erstmals beim Renault 16 von 1965 präsentierte Konzept einer eleganten, leichten Fließhecklimousine mit praktischer Heckklappe in die Oberklasse. Derweil strebte der von Altmeister Pininfarina gezeichnete Peugeot 604 als klassische, schwere Stufenhecklimousine in Ausstrahlung und Statur dorthin, wo die deutschen Oberklassemodelle fest verankert waren. Einst zeigten Bugatti, Delage, Delahaye oder auch Talbot Lago und Facel Vega auf formvollendete Weise wie edle Automobile französischer Provenienz aussehen konnten, jetzt sollten die Sechszylinder von Peugeot und Renault das Auto des besonderen Stils schaffen.
Vorboten der fast als nationales Großereignis gefeierten Rückkehr in die Sechzylinderklasse waren der bereits erwähnte, skulptural gezeichnete Grandtourisme Citroën SM von 1970 und das Peugeot 504 Coupé V6 von 1974. Hier wie dort war den Sechszylindern jedoch kein glänzender Start beschieden. Besonders enttäuschend war der im 504 Coupé präsentierte sogenannte „Europa-V6“, eine intern „PRV“ genannte Gemeinschaftsentwicklung von Peugeot, Renault und Volvo, die ursprünglich ein V8 werden sollte und den designierten Imageträgern Peugeot 604, Renault 30 und Volvo 264 zu besonderem Schwung verhelfen sollte. Angesichts der Ölkrise von 1973/74 entschieden sich die Kooperationspartner jedoch dazu, den V8 um zwei Zylinder zu verkürzen.
Der daraus hervorgegangene V6 gab sich mit außergewöhnlichem 90 Grad-Zylinderwinkel und Doppelvergaser weder besonders kultiviert, noch sparsam und mit 100 kW/136 PS nicht einmal leistungsstark. Die Verbrauchs- und Leistungsdaten verbesserten sich erst durch die ab 1977 erhältliche Bosch K-Jetronic. Da zeichnete sich bei Peugeot und Renault allerdings bereits ab, dass beide Baureihen eher Geheimtipps als ein Bestseller waren. Hätte der Achtzylinder den Franzosen mehr Glanz verschafft? Möglicherweise. Eine größere Stückzahl aber sicher nicht, denn derartige V8 wurden bereits damals steuerlich durch den französischen Fiskus bestraft.
Wichtiger für größere Volumen waren andere Maßnahmen: Bereits nach einem Jahr offerierte Renault sein Topmodell als deutlich preiswerteren Typ 20 mit einfacherer Ausstattung und Vierzylindertriebwerk. Peugeot präsentierte im Februar 1979 den 604 mit Turbodiesel, ein Aggregat, das in Sochaux entwickelt worden war. Der anfänglich 59 kW/80 PS freisetzende Selbstzünder war der weltweit zweite Turbodiesel in einem Pkw und der erste in Europa erhältliche. Mit diesem 2,3-Liter-Vierzylinder setzte sich Peugeot an die Spitze einer neuen Motorenphilosophie, die in den folgenden Jahren marktbeherrschend werden sollte. Renault folgte 1981 mit dem R 30 Turbo D, den ein 63 kW/86 PS starker 2,1-Liter-Vierzylinder antrieb.
Auf die vorderen Plätze der Zulassungsstatistik konnten die kräftigen Diesel die beiden französischen Spitzenmodelle aber nicht mehr führen, zumal die Preise weit oberhalb der deutschen Konkurrenz angesiedelt waren. So kostete der Peugeot 604 SRD turbo fast 20 Prozent mehr als ein Mercedes 300 D. Ganz anders die Strategie bei Citroën, wo der CX bereits im September 1975 mit konventionellem Diesel in Großserie ging. Und dies zu ebenso bürgerlichen Preisen wie die Vierzylinder-Benziner, eine der Voraussetzungen für Absatzerfolge. Peugeot und Renault folgten dieser Politik erst bei den Nachfolgern von 604 und R 30 – und wurden bei den Modellen 605 (ab 1989) und R 25 (ab 1984) mit entsprechend guten Verkaufsergebnissen belohnt.
Einen ersten Versuchsballon mit Vierzylinder-Benzinern in großen Limousinen startete Peugeot bereits 1980, als der Tagora neues Topmodell von Talbot wurde. Entwickelt worden war der Tagora zunächst von Chrysler Europa in Großbritannien. Nach der Übernahme der europäischen Chrysler-Division durch PSA Peugeot Citroën sollte der Tagora Flaggschiff der wiederbelebten, einst großen Marke Talbot werden. Obwohl in zahlreichen technischen Details mit dem Peugeot 604 verwandt, gab es den Tagora auch mit einem relativ preiswerten 2,2-Liter-Vierzylinderbenziner. Dennoch scheiterte die große Limousine ebenso rasch und gründlich wie das Talbot-Experiment. Nach knapp drei Jahren und desaströs schlechten Verkaufszahlen wurde der Tagora eingestellt.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: autodrom archiv, SPS