Frankfurter Buchmesse 2010: Eine Nach-Lese

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Exakt 279.325 Besucherinnen und Besucher waren da, und präsentiert wurde eine Vielzahl von Neuigkeiten, aus der man doch sehr genau auswählen musste, um die Zeit auf der Frankfurter Buchmesse 2010 nicht nur mit hektischem Hin- und Herlaufen zwischen den Gängen und Hallen zu verbringen. An dieser Stelle darf eine kritische Anmerkung nicht fehlen: 23 Euro für einen Messekatalog sind ein sehr mutiger Preis, und dieser Katalog ist für eine systematische Planung des Messebesuchs vielleicht nicht unverzichtbar, aber sehr sinnvoll.

Systematische Planung ist auch deshalb sinnvoll, weil längst nicht jedes Buch hält, was der Werbefeldzug oder die Aufmachung des Verlagsstands verspricht. Ohnehin ist zum Beispiel die Weichenstellung dafür, dass ein Land sich nicht abschaffen möge, sinnvoller als eine mit plakativen Mitteln geführte Endlosdiskussion darüber, ob dieses Land gerade im Begriff sei, sich abzuschaffen.

Florence Aubenas hat nicht diskutiert, sondern sich der Wirklichkeit gestellt: Die 49-jährige französische Journalistin berichtet in ihrem Buch Putze. Mein Leben im Dreck von den Erfahrungen, die sie – undercover – als Reinigungskraft machen (und manchmal darf man sagen: erleiden oder ertragen) musste. Ähnlich erschreckend, aber vor anderem Hintergrund, fällt die Analyse von Thomas Wieczorek aus, und die provokante Abwandlung der deutschen Nationalhymne ist nicht weniger deutlich als der Buchinhalt. Der Autor erweist sich einmal mehr als Meister der überspitzten Pointen, über die man sagen kann: Zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. Wobei Nachdenken und Verändern dem Weinen sicher vorzuziehen ist.

Besonders fallen während eines Messerundgangs Verlage auf, die dezent, aber pfiffig auf ihre Produkte aufmerksam machen. Die Bremer Edition Temmen gehört dazu, die zur Frankfurter Buchmesse 2010 ihren 20. Geburtstag feiert. Zum Ehrentag gibt es ein neues Buch von Axel Bruns, der seine Kindheit im Wilhelmshaven der 50er und 60er Jahre erzählt – ironisch und witzig, strikt am Alltag orientiert und nicht etwa chronologisch von der Geburt bis zum Amtsantritt von Willy Brandt als Bundeskanzler, sondern – in Form eines Lexikons von A-Z. Schon die Idee ist vergnüglich, und das Buch ist es nicht minder.

Es muss übrigens keineswegs immer neu oder gar erscheint demnächst heißen. Natürlich setzen Verlage auch ihre schon früher erschienenen Titel ins rechte (Messe-)Licht. Besonders fiel das auf bei dem Taschenbuch Bandscheibengeflüster. Die Berlinerin Sigrid Lehrke beschreibt darin sehr anschaulich und spannend, wie sie von dieser äußerst schmerzhaften (Volks)krankheit auch ohne Operation befreit wurde. Was Sigrid Lehrke erlebte, mag nicht auf alle Betroffenen zutreffen, sie vermittelt aber eine Erkenntnis glasklar, die sich jede(r) vor Augen halten mag: Ein chirurgischer Eingriff kann ein Segen, sollte aber gründlich überlegt werden – und ist vielleicht gar nicht so nötig, wie es zunächst scheint.

Durch Aufmachung und Inhalt gleichermaßen besticht der Prachtband Aus Schweizer Küchen von Marianne Kaltenbach. Verschiedene Ausgaben aus vergangenen Jahren sind vergriffen, nun gibt es das Standardwerk komplett und luxuriös aufgemacht. Die Rezepte sind nach Jahreszeiten geordnet, stammen aus allen Kantonen des Landes, sie werden mit einfachen, aber nur den besten Zutaten bereitet und schmecken keineswegs nur Schweizerinnen und Schweizern. Wer zu Weihnachten eine Hobbyköchin oder einen Hobbykoch beschenken möchte, sollte dieses Buch in die engere Wahl ziehen. 52 Euro sind ein selbstbewußter, aber eben auch ein angemessener Preis.

Und weil es bei der Frankfurter Buchmesse seit Jahren nicht nur ums Lesen, sondern auch ums Hören geht, sei auf eine Band verwiesen, die mit unglaublich origineller Musik einen beachtlichen Durchbruch in recht kurzer Zeit geschafft hat: So wie das Cover aussieht, stellt sich die Situation bei LaBrassBanda keineswegs dar – die Jungs stehen keineswegs im Regen… Aber das Foto macht Spaß, die Musik macht erst recht Freude. Nach zwei Studio-CD's gibt es jetzt die Aufnahme eines Live-Konzerts als DVD.

Die bibliographischen Angaben aller Titel:

Florence Aubenas: Putze. Mein Leben im Dreck. Pendo Verlag; 14,95 Euro.

Thomas Wieczorek: Einigkeit und Recht und Doofheit. Warum wir längst keine Dichter und Denker mehr sind.

Axel Bruns: Wilhelmshaven von A-Z. Die 50er und 60er Jahre. Edition Temmen; 24,90 Euro.

Sigrid Lehrke: Bandscheibengeflüster. Sensei Verlag; 9,90 Euro.

Marianne Kaltenbach: Aus Schweizer Küchen. Echtzeit Verlag; 52 Euro.

LaBrassBanda: Live im Circus Krone München. Trikont; ca. 15 Euro (nicht preisgebunden).

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