Er gilt als einer der führenden klugen Köpfe in der Formel 1, arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten für BMW, als dessen Motorsport-Direktor er nicht nur für das Formel-1-Engagement der Münchener zuständig ist. Doch nach dem angekündigten Rückzug von BMW-Sauber aus der Königsklasse des Motorsports ist auch die Zukunft von Dr. Mario Theissen weiter ungewiss. Der 57-jährige promovierte Diplom-Ingenieur und Honorarprofessor der Universität Dresden hat mehrere Optionen, gibt auch vor dem Rennen um den Großen Preis von Brasilien in Sao Paulo (Sonntag, 18 Uhr MESZ) keine genauen Wasserstandsmeldungen über seine persönliche Zukunft ab.
Eine Entscheidung will der ausgewiesene Motorenfachmann, der ein engagierter Befürworter und Verfechter der Einführung des Energierückgewinnungs-Systems KERS in der Formel 1 war, erst nach dem möglicherweise entscheidenden Saisonfinale in Abu Dhabi treffen: Ich habe das bewusst noch bis zum Saisonende hinausgeschoben. Danach aber, glaube ich, werde ich mich sehr bald entscheiden. Egal in welche Richtung.
Theissen war vor Saisonbeginn einer der maßgeblichsten Helfer des scheidenden FIA-Präsidenten Max Mosley in der Kampagne um eine grünere Formel 1 gewesen. Mosley hatte die Einführung des Energierückgewinnungs-System (KERS) in der Formel 1 zu Beginn dieser Saison durchgesetzt und seinerzeit mit dem promovierten Motoren-Spezialist Theissen einen engagierten Mitstreiter für diese technische Innovation gefunden.
Der gebürtige Eifeler, der auch als zukunftsorientierter Querdenker gilt, betonte stets den direkten Bezug zwischen KERS und der umweltfreundlichen Efficient-Dynamics-Strategie aus der BMW-Modellpalette. Schon zu Zeiten, als offensichtlich in München noch niemand an das vorzeitige Ende der hauseigenen Formel 1-Aktivitäten dachte, war Theissen gedanklich einen Schritt voraus. Er versuchte in weiser Voraussicht den Dingen, die da kommen könnten, vorzubeugen und dem Engagement seines Arbeitgebers in dem Geld- und Benzinverbrennungs-Wettbewerb Formel 1 eine ökologische Nische zu basteln. Dabei ging es wohl auch darum, nicht nur den eigenen, sondern auch den Arbeitsplatz der Fahrer und Team-Mitglieder auf Dauer zu erhalten. Ein letztendlich vergebliches Unterfangen, wie man heute weiß.
Doch das scheinbar idiotensichere System, per Knopfdruck 82 elektrisch gespeicherte zusätzliche PS für ein paar Sekunden pro Runde abzurufen, verschaffte den Boliden von BMW Sauber nicht den erhofften und auch errechneten Zeitvorteil. Schon der Verzicht auf das KERS-System zum Saisonauftakt in Melbourne war ein ziemlicher Schlag ins Kontor. Für den Motoren-Guru Theissen war KERS eine Chance, die Formel 1 als einen Technologie-Beschleuniger für die Serie zu nutzen. Elektrische Antriebssysteme und leistungsfähige Batteriekonzepte sind eine Hauptstoßrichtung in der Automobiltechnik, lautete sein Credo. Letztendlich aber endete der Feldversuch nach weiteren erfolglosen Einsätzen im endgültigen Abschied vom grünen Power-Knopf. Auch weil nach seiner Meinung das Formel-1-Testverbot gegen eine Weiterentwicklung des Systems sprach.
Ungeachtet aller Eventualitäten will der Eifeler in dem bayerisch-schweizerischen Rennstall in den beiden letzten Rennen eine enttäuschende Saison mit zwei Erfolgserlebnissen beenden. Das BMW Sauber F1-Team liegt derzeit nur an achter und damit an drittletzter Stelle der Konstrukteurswertung (24 Punkte). Nur Force India (13) und Toro Rosso (5) rangieren hinter dem deutsch-polnischen Duo Nick Heidfeld / Robert Kubica.
Es geht nicht nur um Punkte oder Geld, sondern einfach auch um die Grundstimmung im Team, sagt Theissen, der darauf verweist, dass die Regeln nächstes Jahr ähnlich sein werden wie dieses Jahr. Also kann man fast alles, was man jetzt lernt, auch auf das nächstjährige Auto übertragen. Ob Theissen selbst davon noch berührt sein wird, darüber muss er selbst entscheiden.
Text: Jürgen C. Braun / Fotos: BMW