BMW 760i – Spitzenleistung für wenige Kunden
Eigentlich passen Zwölfzylinder gar nicht mehr in die Zeit, könnte man meinen. Leistung im Überfluss wird doch allzu oft mit überflüssiger Leistung gleichgesetzt und die Verbrauchswerte liegen auch nicht auf dem Niveau eines Kleinwagens. Trotzdem bringt BMW mit dem neuen 760i erneut einen Zwölfzylindermotor als Spitzenmotorisierung der größten Baureihe auf den Markt und das ist auch gut so.
Die Bayrischen Motorenwerke machen einmal mehr ihrem Namen Ehre und zeigen beachtlichen technischen Fortschritt beim Motorenbau. Der neue Zwölfzylinder im 760i ist ein Twinturbo. Das heißt, auf jeder Seite der beiden Zylinderbänke agieren jeweils zwei kleine Turbolader und sorgen für mehr Luft und Leistung. Gegenüber dem Vorgängermotor im alten Siebener wuchs das Drehmoment um 25 Prozent auf 750 Newtonmeter. Die Leistung stieg um 22 Prozent auf 400 kW/544 PS. Gleichzeitig sank der Verbrauch um fünf Prozent auf 12,9 Liter. Die CO2-Emissionen verringern sich um 8,6 Prozent auf 299 Gramm. Das sind Spitzenwerte, die noch vor wenigen Jahren in einer Luxuslimousine nicht darstellbar gewesen sind. Und bevor die Kritiker mit erhobenem Zeigefinger auf den Abstand zum 120 Gramm CO2-Grenzwert hinweisen, sei erwähnt, dass in der Segment-Torte der Premiummodelle aller Hersteller, der Siebener ein kleines Tortenstück darstellt und die Zahl der Zwölfzylinder darunter nur die oberste Sahneschicht dieses Stückes ist. Die verkauften Einheiten sind überschaubar. Von rund 50.000 Kunden weltweit, die sich die große Limousine gönnen, entscheiden sich in den meisten Märkten nur zwei bis drei Prozent für den Zwölfzylinder. In Deutschland nehmen 15 Prozent das Topmodell, in den USA und China jeweils 23 Prozent. Warum baut BMW nun trotzdem einen Zwölfzylinder? Weil im obersten Segment nicht so spitz gerechnet werden muss und deshalb technische Neuerungen einfacher eingeführt werden können, erklärt BMW-Vorstand Klaus Draeger und weist auf die vielen technischen Novitäten hin, die in den mittlerweile vier Generationen Zwölfzylindermotoren seit 1987 eingeführt wurden. Im neuen Modell ist das neben der Benzindirekteinspritzung mit Turbolader ein neues Achtstufenautomatikgetriebe von ZF, das lediglich für den ersten Gang noch einen Wandler benötigt und sonst direkt verzahnt und damit ohne Schlupfverluste agiert. Um den erzielten technischen Fortschritt zu würdigen, braucht man nur den ersten Zwölfzylinder mit dem neuen zu vergleichen. 1987 kam der 750i auf 300 PS und verbrauchte 13,9 Liter. Heute ist die Leistung fast verdoppelt, der Verbrauch aber ein Liter gefallen. Nebenbei ist das Auto mit den heutigen Sicherheits- und Komfortansprüchen noch deutlich schwerer geworden.
Die Kunden, die sich den 760i leisten können, brauchen sich für ihre Wahl also nicht zu entschuldigen. Lohnt sich denn die Mehrleistung überhaupt? Schließlich ist auch der 750i Achtzylinder mit 407 PS kein schwächlich motorisiertes Gefährt. Nach ersten Testfahrten muss man diese Frage mit einem klaren ja beantworten. Wer Zwölfzylinder fährt, will den besten Antrieb, den samtigsten Motorlauf und die geringsten Geräusche, verbunden mit maximaler Leistung. Das gibt es hier. Während ähnlich potente Achtzylinder beim Beschleunigen schon mal ihre Stimme heben und durchaus wohltönend auf die Art ihrer Verbrennungsvorgänge aufmerksam machen, gibt der Zwölfender von BMW höchstens ein leises Säuseln von sich und sprintet nebenbei in nur 4,6 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Bis zur 200 km/h-Marke vergeht gefühlt nicht mehr Zeit. Die Übung absolviert er ebenso entspannt und souverän wie Sprinter Usain Bolt das 100 Meter Finale in Peking.
Natürlich legen die Kunden bei einem solchen Fahrzeug nicht nur Wert auf den Motor. Auch optisch darf das Top-Modell etwas mehr hermachen, aber bitte dezent. BMW hat deshalb hier und da eine Zierleiste mehr angebracht und im Interieur schönere Hölzer und hochwertigeres Leder verbaut als sonst im Siebener üblich. Die Serienausstattung des 134.900 Euro teuren Luxusliners ist weitgehend komplett, wenngleich man für sinnvolle Extras wie ein Headup-Display (1.300 Euro) noch immer zusätzlich zahlen muss. Die Langversion kommt auf 144.800 Euro. Schon alleine diese Preise dürften die klimaschädliche Massenverbreitung eines solchen Spitzenprodukts in überschaubaren Grenzen halten.
Text: Günter Weigel