Mein besonderes Spiel: Das unerwartete Halbfinale von Thomas Hörath

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichterinnen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jeder von ihnen hat in seiner Karriere bereits zahlreiche Spiele geleitet, doch jeder der knapp 300 Unparteiischen des Deutschen Handballbundes hat den einen Einsatz, den er oder sie nie vergessen wird. Dies ist die Geschichte vom besonderen Spiel von Thomas Hörath aus dem Bundesligakader des Deutschen Handballbundes.


Als an einem Dienstag im Februar das Telefon klingelte und Thomas Hörath den Namen von Schiedsrichterchefin Jutta Ehrmann-Wolf auf dem Display sah, war sein erster Gedanke ganz profan. „Ich habe mich einfach gefragt, bei welchem Mittwochsspiel in der Frauen-Bundesliga sie uns am nächsten Tag wohl braucht, weil jemand ausgefallen ist“, schmunzelt der 43-Jährige.

Doch diesmal meldete sich die Leiterin des Deutschen Schiedsrichterwesens bei ihrem erfahrensten Gespann aus dem Bundesligakader nicht wegen eines ‚Feuerwehreinsatzes‘. Stattdessen hatte Ehrmann-Wolf eine ganz besondere Partie in petto: Die Schiedsrichter-Chefin nominierte Hörath und seinen Gespannpartner Timo Hofmann für das Haushahn Final4 um den DHB-Pokal der Frauen.

Es ist eine bislang einmalige Auszeichnung: Noch nie war ein Team aus dem Bundesligakader für ein Finalturnier um den DHB-Pokal der Männer oder Frauen nominiert. Die Zugehörigkeit zum Elitekader, dem höchstem deutschen Kader, war eine ungeschriebene Regel für einen Einsatz in Köln oder Stuttgart. Entsprechend überrascht war das bayrische Duo von seiner Nominierung. „Wir hätten nie damit gerechnet“, betont Hörath.

Mit über 400 Spielen für den Deutschen Handballbund – darunter knapp 60 Einsätzen in der LIQUI MOLY HBL – in den vergangenen 18 Jahren haben Hörath/Hofmann viel Erfahrung gesammelt. „Jutta weiß, dass sie uns überall hinschicken kann“, sagte Hofmann schon vor zwei Jahren in einer Ausgabe von „Meine Geschichte“. „Es ist schön, dass man auf uns zählt“, unterstreicht auch Hörath.

Dreimal standen Hörath/Hofmann in den vergangenen Jahren im Elite-Anschlusskader, doch der Schritt in den höchsten Kader gelang nie. Nach dem dritten Abstieg in den Bundesligakader stand 2021 fest, dass ihr Traum vom Adler auf der Brust – den nur der Elitekader tragen darf – vorbei ist; noch einen Anlauf können sie gemäß der Regularien nicht mehr nehmen.

„Wir wussten, dass wir nicht mehr aufsteigen werden, aber wir wollten unsere Karriere auch noch nicht locker ausklingen lassen“, beschreibt Hörath die damalige Stimmungslage. So konzentrierten sich die beiden Schiedsrichter auf ihre Aufgabe im Bundesligakader – und erarbeiteten sich immer mehr Vertrauen bei Spieler:innen und Vereinen. Bereits vor der jetzigen Nominierung für das Haushahn Final4 spiegelte sich ihr Standing in den Ansetzungen wider: Alleine in den vergangenen zwölf Monaten leiteten sie unter anderem das entscheidende Spiel um den Aufstieg in die 1. Bundesliga zwischen dem ThSV Eisenach und dem HSC Coburg, das Final-Rückspiel in der Deutschen Meisterschaft der männlichen A-Jugend oder das Spitzenspiel Erster gegen Zweiten in der 3. Liga Süd der Männer.

„Es ist eine Anerkennung, für solch wichtige Spiele nominiert zu werden“, betont Hörath. „Die Bedeutung der Spiele ist eine Wertschätzung als Schiedsrichter.“ Das Halbfinale beim Haushahn Final4 war die Kirsche auf der Torte. „Dass Jutta uns für dieses Spiel nominiert, zeigt uns, dass sie zufrieden damit ist, was wir leisten“, freut sich Hörath. „Und es zeigt uns auch, dass sie uns zutraut, so ein Spiel zu leiten.“

Mitte März ging es für Hörath und Hofmann zum Finalturnier nach Stuttgart. „Es ist das erste Mal, dass ich in Hemd und Sakko zu einem Spiel gereist bin“, schmunzelt der 43-Jährige. Und während Gespannpartner Hofmann vorher bereits als Zuschauer Finalturniere im DHB-Pokal besucht hatte, war es für Hörath eine Final4-Premiere. „Ich hatte Tickets für das Final Four der Männer 2020, aber das hat wegen Corona ja leider nicht stattgefunden.“

In Stuttgart waren Hörath/Hofmann für das erste Halbfinale zwischen dem VfL Oldenburg und dem späteren Pokalsieger TuS Metzingen angesetzt – und absolvierten die Aufgabe bravourös. „Wir hatten direkt einen guten Einstieg“, erinnert sich Hörath, „aber zu einer guten Leistung gehört, so ehrlich muss man sein, auch immer Glück.“

In diesem Halbfinale war das Glück auf ihrer Seite. Nach zehn Minuten gab Hörath eine Zeitstrafe wegen eines Abstandsvergehens – bei einem Freiwurf im Handball müssen die Gegner drei Meter Abstand zum Ball einhalten – und die Teams akzeptierten den Pfiff. „Es war eine Entscheidung, die nicht immer so ruhig hingenommen wird, aber zu dem Spiel hat sie gepasst“, beschreibt Hörath. „Wir haben gespürt, dass wir im Spiel sind und das hat es natürlich leichter gemacht.“

Die gute Anfangsphase trug das Duo durch das Halbfinale – selbst eine direkte rote Karte sowie zwei Fifty-Fifty-Entscheidungen in den letzten anderthalb Minuten nahmen die Teams an. Da es nach 60 Minuten unentschieden stand, fiel die Entscheidung im Siebenmeterwerfen. Der Erinnerung von Hörath nach war das eine weitere Premiere. „Als Jugendlicher habe ich ein Siebenmeterwerfen als Spieler erlebt, aber als Schiedsrichter hatte ich das noch nie“, schmunzelt er.

Am Ende setzte sich Metzingen durch – und die beiden Unparteiischen waren kein Thema. „Ein schönes Spiel, eine schöne Stimmung“, fasst Hörath zusammen. „Beide Mannschaften haben gekämpft, aber es war nicht unfair.“ Entsprechend entspannt stand das Duo in einer Gesprächsrunde mit Basis-Schiedsrichtern Rede und Antwort, bevor sie das zweite Halbfinale von der Tribüne verfolgten. Ein rundum gelungener Tag – oder, wie Hörath es formuliert: „Dass unser Spiel ganz gut gelaufen ist, habe ich spätestens gemerkt, als ich danach mit einem Dauergrinsen durch die Halle gelaufen bin.“

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