Irgendwie ist sie in diesen Tagen, in dieser Woche, genauer gesagt, noch bis zum 7. Dezember, so eine Art Insel der Glückseligkeit in der Flut von Horror-Meldungen, die in diesem Jahr schon über die Welt des Automobils herein gebrochen sind. General Motors, einer der Giganten der globalen mobilen Welt, steht vor dem Kollaps und droht die europäische Tochter Opel mit hinein in den Strudel der wirtschaftlichen Vernichtung zu ziehen. Bei den großen Herstellern stehen die Bänder still, länger jedenfalls als sonst, und Tausende von Mitarbeitern bangen um ihren Arbeitsplatz. Fassungslosigkeit und Existenzangst machen sich breit. Die monatelang gepflegten Un-Wörter Klimawandel, Spritpreis-Spirale oder Finanzkrise sind längst zu einem dauerhaften Horror-Szenario geworden, das auf Jahre hinaus kaum Aussicht auf akzeptable Lösungen verspricht.
Aber hier, hier ist das alles kein Thema. Zumindest offiziell, eben öffentlich nicht. In den 17 Hallen der Messe Essen findet noch bis zum Samstag dieser Woche die größte Tuningshow des Kontinentes statt, die 41. Auflage der Essen Motor Show. Die durch heftige Turbulenzen ins Trudeln geratene heile Welt des grenzenlosen PS-Spektakels hat in den Gruga-Hallen ihr Refugium gefunden. Einen Platz des lärmenden, tösenden und glitzernden Verschnaufens, der das schadlose Überleben des Status Quo früherer, und damit auch besserer, Zeiten vorgaukelt. Viele Hersteller, wie etwa Mercedes-Benz, Opel oder Peugeot, die über durchaus adäquate Modelle für eine solche Show der Leistungs-Manie verfügen, haben sich zurückgezogen in Essen. Ob vorübergehend oder auf Dauer, das wird erst die Zukunft zeigen. Andere wiederum wie Audi, das seine Motorsport-Ambitionen des kommenden Jahres vorstellt, Volkswagen, Mitsubishi oder Fiat mit seiner sportlichen Tochter Alfa Romeo sind in Essen (Halle 3) vertreten und hoffen auf die Gunst des Käufers und die ungebremste Lust am Spaßfaktor Automobil.
Die Zutaten für den brodelnden Treibstoff-Cocktail, egal ob in den Hallen der Hersteller, oder bei Zubehör, Tuning-Fachleuten, Traumfabrik-Exponaten oder nicht ganz ernst zu nehmenden Spinnern und Bastlern sind die Gleichen wie in 41 Jahren Essen Motor Show zuvor. Wuchtige Spoiler, breite Reifen und aufgemotzte Motoren: wegen dieser Gigantismen, die oft zwischen Unsinn und Liebenswürdigkeit schwanken, kommen die Leute. 400.000 Besucher, darunter viele jugendliche Automobilfreaks, werden bis zum Show Down der Messe am kommenden Wochenende erwartet. Rund 550 Aussteller aus 19 Ländern zeigen in der Ruhrmetropole ihre Tuningprodukte.
Tuning, also Leistungssteigerung und optische oder akustische Individualisierung oder Verfeinerung, ist längst keine Frage des Klassenkampfes mehr. Hoch gezüchtet werden nicht nur ohnehin schon wuchtige Erzeugnisse aus München, Stuttgart oder Ingolstadt, sondern auch die lieben Kleinen. Fiat frönt der legendären Hinterlassenschaften des Carlo Abarth in den Kleinwagen-Serien Punto und 500 in der Version Esseesse mit forschen 160 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 211 km/h. VW präsentiert den neuen Wüstenwind Scirocco in einer Version, mit der man in China Motorsport betreiben will und Mitsubishi zeigt den außergewöhnlichen Lancer Ralliart mit 240 PS. Der Reiz scheinbar ungebremster Motorkraft, untermalt vom dröhnenden Staccato des Ventilspiels, ist offenbar vielfach immer noch unwiderstehlich.
Tuning der bisher unbekannten Art zeigt ein Unternehmen gleich um die Ecke. Der Top-Veredler Brabus aus Bottrop hat sich den kalifornischen Strom-Sportwagen Tesla Roadster vorgeknöpft und dabei neben Tuning-Teilen, wie Räder, Reifen, Felgen oder beleuchteten Einstegsleisten auch einen so genannten Space Sound Generator entwickelt. Er beschallt den ansonsten fast völlig lautlos dahin gleitenden Roadster mit irrem Motorensound. Zu wählen, lässt Brabus wissen, sei zwischen diversen akustischen Triebwerks-Charakteristika. Außerdem arbeite man bereits an einer Leistungssteigerung des Elektromotors.
Bei allem Willen und Wahn zum Protzgehabe ist es gut und wohltuend zu wissen, dass es auch Institutionen mit seriöser Bodenhaftung gibt, die den mitunter fragwürdigen Importeuren und sonstigen Scharfmachern auf die Finger schauen. In Halle 11, Stand 501, ist die Aktion Tune it Safe beheimatet, deren Partner auch diesem Jahr wieder mit Kompetenz und Sacherverstand die Überwachungs-Organisation KÜS ist. Die Prüfingenieure Thomas Schuster und Stefan Ehl waren vor Ort (Foto). Ein Besuch sei dringend ans Herz gelegt, um bei aller Freude und allem Spaß am schönen und schnellen Automobil auch den wichtigsten Aspekt nicht zu vergessen. Den der Sicherheit nämlich.
Text: Jürgen C. Braun / Fotos: Jürgen C. Braun / Michael Eiden / Bernhard Schoke