Im normalen Straßenverkehr kann man auf den Schienenraum ausweichen. Voraussetzung ist aber, dass sich die Straßenbahn noch in großer Entfernung befindet. Das Landgericht Freiburg hat am 24. Juni 2022 (AZ: 6 O 161/21) entschieden, dass es ausreicht, wenn man mindestens 20 Sekunden als Autofahrer auf dem Gleis stand. Bei einem Unfall haftet dann der Straßenbahnfahrer allein.
In dem von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall, kam es zu einem Unfall zwischen einer Straßenbahn und einem Auto.
Bei dichtem Verkehr war die Pkw-Fahrerin auf den Gleisen stehen geblieben, um abbiegen zu können. Als sich die Straßenbahn von hinten näherte, kam es zu der Kollision. Der Halter des Pkws verlangte rund 10.000 € Schadensersatz, die Beklagte wiederum machte insgesamt über 35.000 € geltend. Der Kläger meinte, die Straßenbahn hätte noch halten können, die Beklagte meinte, die Autofahrerin hätte das Gleis räumen können bzw. dort nicht stehenbleiben dürfen.
Beim Prozess wurde ein Zeuge vernommen und ein Sachverständiger gab ein Gutachten ab. Danach stand fest, dass das Auto bereits mindestens seit 20 Sekunden dort stand, als es zur Kollision gekommen war. Laut dem Sachverständigen wäre es mit einer einfachen Gefahrenbremsung dem Straßenbahnfahrer möglich gewesen, den Unfall zu vermeiden. Dabei hätte er die Fahrgäste auch nicht gefährdet.
Nach Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten war für das Landgericht in Freiburg klar, dass der Straßenbahnfahrer hier einen Fehler gemacht hatte. Er konnte sich auch nicht auf seinen Vorrang berufen. Es war klar erkennbar, dass das Auto bereits seit 20 Sekunden auf den Gleisen stand und nicht weiterfahren konnte. Im Zweifel hätte er hier eine Vollbremsung einleiten müssen. Dies wäre laut dem Sachverständigen auch möglich gewesen. Zudem berücksichtige das Gericht die erhöhte Betriebsgefahr einer Straßenbahn aufgrund ihrer Schwerfälligkeit. Daher wurde der Klage vollumfänglich entsprochen.