Erstliga-Schiedsrichter mit 19 Jahren in seinem Heimatland Belgien. Finalspiele in Meisterschaft und Pokal. Reisen quer durch Europa, von Island bis in den Kosovo, für Ansetzungen im Europapokal und bei Länderspielen. Immer wieder Rückschläge durch Partnerwechsel. Der Schritt vom belgischen zum deutschen Verband. Der Aufstieg in den Bundesligakader. Und nun die erste Nominierung für die LIQUI MOLY HBL: Mit gerade einmal 34 Jahren hat Tobias Schmack an der Pfeife schon so viel erlebt, dass es eigentlich für mindestens drei Schiedsrichter-Karrieren gereicht hätte.
Dabei fing alles ganz unspektakulär an: Als Jugendspieler wurde Schmack beim Training die Pfeife in die Hand gedrückt. „Ich hatte meine Emotionen damals relativ schlecht im Griff“, erinnert er sich. „Im Umgang mit den Schiedsrichtern war ich ein schwieriger Spieler und habe auch mal eine rote Karte wegen Meckerns kassiert. Also hat man mich als erzieherische Maßnahme selber pfeifen lassen.“
Die neue Perspektive faszinierte den Jugendlichen, im Alter von 16 Jahren absolvierte Schmack den Schiedsrichterlehrgang und pfiff fortan gemeinsam mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder; die Mutter fuhr ihre Söhne zu den Spielen. Trotz einer immer wieder aufflackernden Geschwisterrivalität abseits des Spielfeldes funktionierte es auf dem Parkett „extrem gut“, wie sich Schmack erinnert.
Die neue Perspektive faszinierte den Jugendlichen, im Alter von 16 Jahren absolvierte Schmack den Schiedsrichterlehrgang und pfiff fortan gemeinsam mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder; die Mutter fuhr ihre Söhne zu den Spielen. Trotz einer immer wieder aufflackernden Geschwisterrivalität abseits des Spielfeldes funktionierte es auf dem Parkett „extrem gut“, wie Schmack rückblickend zugibt.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Klaus-Dieter Convents, der heutige belgische Schiedsrichterchef, nahm das junge Gespann unter seine Fittiche. „Er hat uns nicht nur bei unseren Spielen begleitet, sondern ist viel mit uns durch die Hallen gefahren“, sagt Schmack. Ein beliebtes Ziel: Die Heimspiele des VfL Gummersbach in der 1. Bundesliga. „Durch ihn haben wir die Methe-Brüder kennenlernen dürfen, sie waren unsere größten Idole“, erinnert sich der Belgier. „Ich bin ihm extrem dankbar für alles, was er für uns getan hat.“
Unter Anleitung von Convents legten die Gebrüder Schmack einen rasanten Aufstieg hin – drei Jahre nach dem Anwärterlehrgang klopften sie an die Tür des belgischen Elitekaders. Bei seinem ersten Erstligaspiel war Schmack gerade einmal 19 Jahre alt. Parallel erfolgte die Aufnahme ins EHF Young Referee Project des europäischen Verbandes.
Zu diesem Zeitpunkt beendete Schmack für die Schiedsrichterei seine Spielerkarriere – aufgrund einer kuriosen Konstellation: Altersmäßig hätte der damals 19-Jährige als Spieler in den Erwachsenenbereich aufsteigen müssen. Die erste Mannschaft seines Heimatvereins spielte jedoch in der 1. Liga, sodass Schmack die eigene Konkurrenz gepfiffen hätte. „Spielen und Pfeifen war bereits vorher ein zeitlicher Spagat“, sagt Schmack rückblickend. „Jetzt wurde uns klipp und klar gesagt: Das geht nicht mehr – ihr müsst euch entscheiden.“
Schmack überredete seinen Bruder, sich für das Pfeifen zu entscheiden, doch dieser haderte immer wieder mit dem Schritt („Er hat stark an seiner Mannschaft gehangen.“) – und zwei Jahre später zog es ihn wieder aufs Feld. „Wir hatten gerade eine Nominierung für die Champions-League-Qualifikation bekommen und mein Bruder sagte plötzlich: Nein, ich mache das nicht mehr“, erinnert sich Schmack an das Ende der gemeinsamen Schiedsrichter-Karriere. „Das war ein ganz harter Cut.“ Nicht nur der damals 21 Jahre alte Schmack litt, auch Förderer Klaus-Dieter Convents traf die Entscheidung hart.
Während sich sein Bruder komplett vom Pfeifen abwandte, blieb Schmack der Schiedsrichterei treu, doch die Suche nach einem neuen Gespannpartner gestaltet sich schwierig. Bei den potenziellen Kandidaten fehlte die Ernsthaftigkeit; es kam nicht nur einmal vor, dass Schmack nach kurzfristigen Absagen Spiele alleine pfeifen musste. „Ich hatte trotz meines Alters schon das Standing dafür“, sagt er heute, „aber es war natürlich nicht das, was ich wollte.“
Als ihn der EHF-Schiedsrichter Sigurd Thomassen auf der Suche nach einem neuen Gespannpartner anrief, sagte Schmack daher sofort zu – und es begann eine erfolgreiche Zeit: Das Duo Schmack/Thomassen avancierte schnell zum belgischen Top-Gespann, das regelmäßig die Meisterschaftsendspiele und Pokalfinals bei Männern und Frauen leitete. Auch auf die europäische Ebene kehrte Schmack mit seinem neuen Partner zurück, pfiff Länderspiele und Europapokal. Bei einem U18-Turnier in Bulgarien erhielten die beiden Belgier das Finale. Als Delegierte saß damals Jutta Ehrmann-Wolf, die heutige Leiterin des DHB-Schiedsrichterwesens, am Tisch.
Diese Begegnung sollte später noch wichtig werden, denn 2017 entschied sich Schmack für den Wechsel zum Deutschen Handballbund. „Ich war beruflich bereits seit drei Jahren in Deutschland“, erläutert er. „Ich bin nach Belgien zum Pfeifen gependelt, doch das hat unheimlich viel meiner Zeit beansprucht.“
Der Schritt zu den deutschen Automobilriesen war jedoch ein Kindheitstraum von Schmack, den er selbst für die Schiedsrichterei nicht opfern wollte. „Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, wo wir mehr Kühe als Einwohner hatten“, beschreibt er. „Jeder, der in so einem Umfeld aufgewachsen ist, weiß, wie wichtig das erste Moped oder das erste Auto für einen waren, um dem Bus zu entkommen.“
Entsprechend fasziniert war Schmack bereits früh von der Technik der verschiedensten Fahrzeuge. Während sich seine Freunde Fahrräder wünschten, bettelte Schmack als Achtjähriger bei seinem Vater nach einem Aufsitzrasenmäher. „Ich habe Rasenmähen geliebt und den Nachbarn immer bei ihrer Gartenpflege geholfen“, schmunzelt er.
Der Vater erfüllte seinem Sohn den Wunsch – und Schmack hatte erstmals ein Fahrzeug, an dem er selbst herumschrauben konnte. Wenig später bastelte er mit Kumpels in den Scheunen des Heimatdorfes auch an Mopeds herum. „Die Endstufe des Schraubens ist das Auto – ich wollte jedoch nicht nur schrauben, sondern entwickeln“, erinnert er sich. Auf den Rat seines Vaters hin hängte er sich daher in der Schule – und gerade im Mathematik-Unterricht – besonders rein, um ein Studium der Fahrzeugtechnik in Aachen beginnen zu können.
Nach dem Bachelor zog es ihn 2014 nach Neckarsulm, wo er nach seiner Masterarbeit promovierte. Der Titel seiner Doktorarbeit: Entwicklung einer ganzheitlichen Methode zur Bestimmung des dehnratenabhängigen Verhaltens faserverstärkter Kunststoffe . Simpel ausgedrückt: Schmack untersuchte, wie sich das Material des Autos bei einem Unfall verhält. Im Februar 2019 verteidigte er seine Doktorarbeit, inzwischen arbeitet er bei Porsche im Bereich des Elektro-Sportwagens Taycan.
Parallel zu seiner beruflichen Entwicklung und der Doktorarbeit suchte er – diesmal in seiner Wahlheimat Baden-Württemberg – nach einem passenden Gespannpartner. 2017 durfte er gemeinsam mit einem Drittligaschiedsrichter wieder einsteigen, doch für den auf internationalem Parkett erfahrenen Referee war es ein Rückschritt. „Daran hatte ich schon zu knabbern“, gibt er heute zu. „Ich liebe das Kribbeln vor anspruchsvollen Spielen, diese Herausforderung, die Spannung. Wenn du aber plötzlich in einer tieferen Liga pfeifst, wo dir die Spiele vermeintlich nicht mehr alles abverlangen, ist es schwierig, den Fokus zu behalten.“
Zudem hatte sein neuer Partner bereits die Altersgrenze erreicht, die einen Aufstieg unmöglich machte. „Ich hatte aber immer das Ziel, noch einmal nach ganz oben zu kommen“, erinnert sich Schmack. Als Elitekader-Referee Philipp Dinges nach einem neuen Gespannpartner suchte, fiel Ehrmann-Wolf der ambitionierte Belgier ein, den sie einige Jahre zuvor kennen gelernt hatte. Mit den Worten „Ich habe einen Belgier für dich“ vermittelte sie Dinges den Kontakt zu Schmack.
„Jutta hat sich gedacht, dass es mit Philipp und mir passen könnte“, erinnert sich Schmack – und sie sollte recht behalten. Die beiden gingen zum Kennenlernen ein Bier trinken und pfiffen im August 2019 ihr erstes gemeinsames Spiel. Den vorläufigen Höhepunkt ihres gemeinsamen Weges erreichte das Duo in diesem Sommer: Das Gespann Dinges/Schmack stieg aus dem Bundesligakader in den Eliteanschlusskader auf – und bekommt damit die Chance, sich in der LIQUI MOLY HBL zu beweisen.
Ende September wird das Gespann Dinges/Schmack ihr erstes Spiel in der deutschen Beletage pfeifen. „Die Vorfreude ist riesig – gerade, weil mir das nie jemand zugetraut hat“, betont Schmack. Als er vor fünf Jahren mit dem Gedanken an einen Verbandswechsel spielte, sei er ausdrücklich gewarnt worden. „Mir wurde von mehreren Seiten abgeraten, nach Deutschland zu gehen. Es hieß immer wieder: Im DHB wirst du nichts, du wirst immer nur der Belgier bleiben“, erinnert er sich.
Auch, wenn der zweite Teil der Prophezeiung zutraf („den Spitznamen werde ich wohl nicht mehr los.“), erwies sich der erste Teil als unwahr: Schmack wird als erster belgischer Schiedsrichter in der LIQUI MOLY HBL Geschichte schreiben. Und vielleicht geht ja auch der letzte Traum für seine Schiedsrichterkarriere noch in Erfüllung: Die Ansetzung für ein Spiel um einen Titel – ob Pokal oder (Jugend-)Meisterschaft – in Deutschland. Es wäre das nächste Kapitel in seiner abwechslungsreichen Laufbahn.
Steckbrief Tobias Schmack
Alter: 34
Beruf: Fahrzeugtechnik-Ingenieur
Familienstand: verheiratet, ein Kind
Schiedsrichter seit: 2003
Gespannpartner: Philipp Dinges
Kader: Eliteanschlusskader
Karriere-Highlight: Für mich ist jedes Spiel ein Highlightspiel, bei dem die Halle voll ist und es beim Einlaufen kribbelt – ob das Finale beim Partille-Cup in Schweden, das erste Zweitliga-Spiel mit Zuschauern seit Beginn der Corona-Pandemie oder unser anstehendes Erstliga-Debüt.
Ein Traum, der in der Schiedsrichterkarriere (noch) offen ist: Eine Nominierung für ein „Titelspiel“ in Deutschland, in dem es sportlich um alles geht.
Fotocredit: Marco Wolf, privat