Mit Citroens Fließband-Fahrzeugen begann in Europa die Ära bezahlbarer Massenmotorisierung. Andrés kreative Marketingideen wie die Citroen-Leuchtschrift auf dem Eiffelturm wurden Kult und seine revolutionären Konstruktionen wie der Typ „Traction Avant“ mit Frontantrieb beeinflussten die ganze Branche. Daran änderten auch gelegentliche Bruchlandungen nichts, etwa der Konkurs des Unternehmens im Jahr 1934. Visionäre Fahrzeuge von Citroen sind bis heute Weltanschauung – und Vorlage für Kopien.
Das erlebten die Franzosen erstmals in Deutschland, wo Opel den anfangs stets gelb lackierten Citroen Typ C von 1922 als grünen „Laubfrosch“ nachbaute. Citroen und die Deutschen, das war von Beginn an eine besondere Freundschaft. Gab es vor dem Zweiten Weltkrieg eine erfolgreiche Citroen-Produktion in Köln-Poll, waren es später deutsche Künstler, die den Legendenstatus des 1955 lancierten futuristischen Citroen DS steigerten. Die automobile Weltanschauung Citroen 2 CV fand hierzulande zeitweise sogar mehr Fans als in ihrer Heimat. Zum 100. Markenjubiläum wechselt die deutsche Citroen-Repräsentanz in die Opel-Stadt Rüsselsheim. Das hätte André amüsiert, war doch Opel lange sein härtester Konkurrent im Kampf um die Pole Position als größter Autobauer Europas.
Tatsächlich zählte auch Opel zu den Pionieren bezahlbarer Kleinwagen, aber André Citroen hatte bereits 1912 das Ford-Model-T-Fließband in Detroit besichtigt und diese moderne Fertigungsart als erster auf europäische Verhältnisse übertragen. Direkt nach dem Ersten Weltkrieg präsentierte André Citroen deshalb den Typ A mit dem bis heute charakteristischen Doppelwinkel auf dem Kühlergrill. Ein Logo, das an Citroens unternehmerische Anfänge als Zahnradproduzent erinnert. Seinen Traum von der Massenmotorisierung realisierte André jedoch mit einem Bündel brillanter Ideen, die weder die Deutschen noch die Amerikaner hatten.
So rekrutierte André Citroen in Europa das erste flächendeckende Netz von über 5.000 Handels- und Servicepartnern, er führte die ersten Fahrzeugfinanzierungen ein und 1921 sogar ein Mietwagensystem. Leistungen, die es zwei Jahre später auch beim ersten deutschen Citroen-Händler in Köln gab. Dort stand der zitrusgelbe Kleinwagen Typ C 5 HP im Schaufenster, den Opel sofort als Blaupause für seinen grünen Laubfrosch nutzte. Mit insgesamt über 80.000 verkauften Exemplaren avancierte Citroens Zitrone dennoch zu einem Topseller in Europa. Wenig später war Citroen tatsächlich europäischer Marktführer vor Opel und im Markenranking der Weltwirtschaftskrise kurzzeitig sogar die Nummer zwei in der Welt. Alles anders zu machen, um anderen voraus zu sein, war die Lebensmaxime von Citroen und so gründete er Werke in allen wichtigen Märkten.
Damit ließen sich etwa in Deutschland nicht nur Zollhindernisse umgehen, die Fahrzeuge wurden 1927 sogar als „deutsches Produkt“ beworben und markante Citroen-Typen wie der B14 waren im Taxi-Einsatz rheinischer Städte teils populärer als deutsche Fabrikate. Als Citroen 1934 das sensationelle Hightechmodell Traction Avant mit Frontantrieb und crashgetesteter Sicherheitskarosserie auch in Köln vom Band rollen ließ, konnte André sein deutsches Werk zum letzten Mal besuchen.
Nicht nur, dass nun die Nationalsozialisten die Arbeit der vermeintlichen französischen Erbfeinde behinderten, die leeren Kassen des Konzerns führten 1934 in Paris zum Konkurs und zur Übernahme durch den Reifenhersteller Michelin. Die Genialität aller weiteren Citroen-Modelle beschränkte der neue Eigner jedoch nicht, das änderte sich erst mit dem 1976 erfolgten Weiterverkauf von Citroen an Peugeot. Denn nun gab es Perioden des Badge-Engineerings mit Modellen wie LN und Saxo.
Patriarch André Citroen selbst erlebte das alles nicht mehr. Er verstarb im Jahr 1935, kurz bevor die Entwicklung des mit 5,1 Millionen Einheiten bis heute meistgebauten Citroen-Modells Fahrt aufnahm. Vorgestellt wurde dieser fröhlich schnatternde viertürige Zweizylinder – ja, es ist die Ente alias 2CV – im Jahr 1948. Damals lagen Europas Städte noch in den Trümmern des Kriegs und auch die Kölner Citroen-Dependenz war untergegangen. Staatlicher Wirtschaftsdirigismus bestimmte die französische Industriefertigung. So kam es, dass die ob ihrer Konturen im Vorkriegslook und einer flatterig wirkenden Qualität polarisierende Ente erst Ende der 1950er Jahre in Deutschland eintraf. Trotzdem wurde der 2CV zum Inbegriff des revolutionären Galliers, dann zum Liebling der Studentenbewegung, um am Ende seines langen Lebens mit „Atomkraft? Nein Danke“-Aufklebern die Öko-Bewegung bleifrei zu Demos zu chauffieren. Das Konzept des Komforts zum kleinen Preis machte den 2 CV zum Ideengeber für individuelle Kleinwagen wie Dyane und Pluriel bis hin zum aktuellen Cactus.
Familienfahrzeuge. Auch diese Fahrzeuggattung beflügelten die Gallier durch charmanten Chic. Waren es im wirtschaftswunderlichen Deutschland anfangs vornehmlich nutzwertige Kombis à la Opel Caravan und Ford Turnier, demonstrierte ab 1960 der visionäre Citroen ID/DS Break wie sich riesiges Raumangebot und der sonst Staatskarossen vorbehaltene hydropneumatische Fahrkomfort familienfreundlich vereinen ließen. Geht es um clevere Familien-Fahrzeuge ist Citroen bis heute Vorbild, gezeigt 1996 durch den Berlingo als Entdecker des Hochdachkombis. Erst Jahre später folgten VW Caddy und Co. Zur Jahrtausendwende bewies der originelle Citroen Picasso wie beliebt Vans sein können. Allein den Zug zum SUV verschliefen die Franzosen fast, erst spät suchten sie mit C3 und C5 Aircross Anschluss.
Vor allem waren es Modelle wie die göttliche DS (ab 1955), das Strandauto Méhari (ab 1968), der majestätische SM mit Maserati-Motor (ab 1970), der GS Birotor mit Kreiskolbenmotor (ab 1973) als Äquivalent zum deutschen Wankelwagen NSU Ro 80 und die flammend-futuristischen Limousinen CX (ab 1974) und XM (ab 1989) die Citroen in Deutschland als Teil des gesellschaftlichen Lebens verankerten. Sogar in die DDR wurden Citroen GSA und für die Staatsführung CX geliefert.
Im Westen Deutschlands war die Marke in Kunstausstellungen ebenso zu erleben wie als automobiles Accessoire von Literaten und Filmstars. Alexander Spoerl schrieb schon 1957 über den „Umgang mit einer Göttin“, Nobelpreisträger Heinrich Böll machte die DS für die Intellektuellen zum Kultauto, Künstler Friedensreich Hundertwasser zeigte sich mit einem Citroen und Filmstar Götz George vertraute als Tatort-Schimanski auf den Citroen CX. Die Doppelwinkel-Verbindung zwischen Deutschen und Franzosen war stets so eng, dass die Übernahme von Opel durch den Citroen-Mutterkonzern PSA im Jahr 2017 fast als folgerichtiger Schritt schien. Spannend bleibt allein, ob Andrés Esprit im zweiten Citroen-Jahrhundert den elektrischen Funken überspringen lässt und die Marke visionär bleibt.