125 Jahre Motorsport bei Mercedes

Der erste Rennwagen hatte nur den Motor von Mercedes – und trotzdem gleich gewonnen. Und das war nur der Anfang. Denn seit 125 Jahren strahlt der Stern auch im Motorsport. In dieser Zeit haben die Schwaben manchen Helden geboren und viele Tragödien erlebt. Diese Mischung zieht bis heute, selbst wenn gerade mal wieder ein großer Kurswechsel ansteht.

Der Boden bebt, vom Geschirr auf den fein gedeckten Tischen hört man ein zartes Zittern und die Luft vibriert so stark, dass es die Perlen noch schneller aus dem Champagner treibt. Denn das Bankett steht im Start-Ziel-Gebäude der Formel-1-Strecke von Silverstone, und während in der ersten Etage über ein Dutzend Formel-1-Autos und eine stolze Flotte historischer Rennwagen parken, laufen sich in den Boxen darunter noch einmal ein paar Dutzend Boliden warm für ein spektakuläres Schaulaufen.

Aber es sind nicht nur bald hundert Zylinder, die hier die Luft vibrieren und den Hallenboden beben lassen – es ist vor allem die Dichte der Geschichte, die vielen Gästen an diesem Abend eine Gänsehaut über den Körper treibt. Denn selten hat ein Hersteller so viele Rennwagen und so viel PS-Prominenz aus einer so langen Zeit auf so kleinem Raum versammelt. Aber es ist ja auch nicht irgendein Hersteller, der hier nach Silverstone gebeten hat, und es ist kein gewöhnlicher Anlass. Gastgeber ist kein geringerer als der Erfinder des Automobils und gefeiert werden 125 Jahre Mercedes im Motorsport – da kann man schon mal groß auffahren.

Begonnen hat die Raserei allerdings ziemlich bescheiden – mit dem von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach 1888 entwickelt Zweizylinder-V-Motor. Bi zu 3,75 PS stark ist er montiert in den Autos von Peugeot und Panhard & Levassor, die im Juli 1884 beim ersten Motorsport-Wettbewerb der Geschichte das Rennen Paris-Rouen gewinnen – genauso übrigens wie elf Monate später im Juni 1985 das Rennen von Paris nach Bordeaux und zurück, bei dem zum ersten Mal die Geschwindigkeit gemessen wird.

Der erste selbst gebaute Rennwagen von Mercedes ist der Simplex, mit dem Engländer E. T. Stead 1904 das Bergrennen Nizza – La Turbie gewinnt und mit dem 40 PS starken Erstling Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h erreicht.

Danach geht es allerdings noch viel schneller. Denn in den späten 1920ern beginnt die große Zeit der Kompressor-Sportwagen. Wegen ihrer schieren Dimensionen und ihrer gewaltigen Motoren vom Volksmund ehrfürchtig „weiße Elefanten“ genannt, gehen vor allem die Fahrzeuge der legendären S-Reihe in die Motorsportgeschichte ein. Die Krönung folgt 1931 bei der strapaziösen Mille Miglia, die Rudolf Caracciola am Steuer der Kurzversion SSK mit einem spektakulären Sieg gewinnt.

Es folgt die Ära der Silberpfeile, die unterbrochen vom Zweiten Weltkrieg von den 1930er-Jahren bis 1955 reicht. Unter diesem Namen fassen die Markenhistoriker eine ganze Familie von Rennwagen, Rekordfahrzeugen und Rennsportwagen zusammen, die mit ihren silberfarbenen Karosserien, ihrer überragenden Technik und den historischen Siegen zum Mythos werden. Vor dem Krieg dominiert Mercedes-Benz mit den Silberpfeilen die europäischen Grand Prix, 1952 folgt der Wiedereinstieg mit dem 300 SL Rennsportwagen (W 194) und schließlich die zweifache Weltmeisterschaft der Formel 1 in den Jahren 1954 und 1955 mit dem W 196 R sowie der Sieg in der Sportwagen-Weltmeisterschaft mit dem 300 SLR (W 196 S) im Jahr 1955.

Danach allerdings zieht sich Mercedes nach schweren Unfällen aus dem Motorsport zurück und begründet den Schritt vor allem damit, das Geld in die Entwicklung neuer Serienfahrzeuge zu stecken. Doch es ist kein Abschied für immer. Denn erstens sind zahlreiche private Teams weiter auf Mercedes unterwegs und lassen den Stern auf Rennstrecken und Rallyepisten rund um die Welt erstrahlen. Und zweitens erkennen die Schwaben ein paar Jahrzehnte später, wie wichtig der Sport als Entwicklungsspielwiese und als Marketingbühne ist.

Deshalb kehren sie in den späten 1980er-Jahren in den Rundstrecken-Motorsport zurück und gewinnen mit Gruppe-C-Rennsportwagen gleich zwei Weltmeisterschaften. Parallel dazu treten die Stuttgarter in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) und später in der International Touring Car Championship (ITC) an. Insgesamt erringt Mercedes-Benz zwischen 1986 und 1996 drei Meister- und vier Vizemeistertitel. Seit 2000 fährt die Marke dann wieder in der neu organisierten DTM (Deutsche Tourenwagen Masters), mit Markensiegen in den Jahren 2000 bis 2003, 2005 und 2006, 2008 bis 2010 sowie 2018 und Fahrertiteln in den Jahren 2000, 2001, 2003 (jeweils Bernd Schneider), 2005 (Gary Paffett), 2006 (Bernd Schneider), 2010 (Paul di Resta), 2015 (Pascal Wehrlein) und 2018 (Gary Paffett).

Nachdem die Stuttgarter in der Gruppe C und der DTM seit Ende der 1980er-Jahre große Erfolge gefeiert haben, steigt Mercedes-Benz in der Saison 1994 auch wieder in die Königsklasse des Motorsports ein, die Formel 1 – zunächst über die Teams Sauber-Mercedes und McLaren-Mercedes (von der Saison 1995 an). In dieser Zeit gewinnen Mika Häkkinen zwei (1998 und 1999) und Lewis Hamilton einen Weltmeistertitel (2008) und das Team West-McLaren-Mercedes wird 1998 Konstrukteursmeister.

Eine neue Ära bricht im Jahr 2010 an: Mercedes-Benz kehrt mit einem eigenen Werksteam in die Formel 1 zurück und verpflichtet als Spitzenfahrer Michael Schumacher, der in der Saison 2013 von Lewis Hamilton ersetzt wird. Hamilton ist 2008 mit 23 Jahren der damals jüngste Weltmeister in der Formel-1-Geschichte und hat von 2007 bis 2012 insgesamt 21 Mal bei einem Grand Prix ganz oben auf dem Siegerpodest gestanden. Nico Rosberg feiert 2012 beim Rennen in Shanghai seinen ersten GP-Sieg mit einem Silberpfeil.

Mit der Saison 2014 beginnt eine weitere Glanzzeit der Silberpfeile. Sie holen fünf Doppelsiege in Folge: Mercedes AMG Petronas wird von 2014 bis 2018 jeweils Konstrukteursweltmeister der Formel 1. Die Fahrertitel gehen viermal an Lewis Hamilton (2014, 2015, 2017 und 2018) und einmal an Nico Rosberg (2016).

Wenn sich Formel1-Weltmeister Lewis Hamilton heute mit Mercedes-Legende Hans Herrmann unterhält, schwingt da eine große Bewunderung mit. Nicht nur für die Lebensleistung des mittlerweile 91-jährigen PS-Veteranen, der bei der Mille ebenso brillierte wie in Le Mans. Sondern auch für den Mut, den die Männer damals bewiesen haben. Denn gemessen an den Risiken dieser Zeiten ist die Formel 1 ein besserer Kindergeburtstag. „Damals wusste beim Start niemand, ob er lebend das Ziel erreicht“, erinnert sich Herrmann auf dem Podium. Doch obwohl sich so vieles zwischen dem allerersten Rennen vor 125 Jahren, den großen Zeiten eines Hans Herrmann und der Formel 1 des Lewis Hamilton geändert hat, ist eines gleichgeblieben, sagt der Formel-1-Weltmeister, der sich sichtlich an den Oldtimern erfreut und mit Begeisterung in all den alten Silberpfeilen über die Strecke schießt: „Der unbändige Siegeswillen der Rennfahrer: Egal welches Auto wir fahren, wir wollen immer der Schnellste sein.“

Das gilt allerdings nicht nur für die Rennwagen aus den letzten 125 Jahren, sondern offenbar auch für den einzigen Boliden in der imposanten Ausstellung, der seinen ersten Start noch vor sich hat: Den EQ Silver Arrow 01. Er steht schwarz und noch ohne die üblichen Sponsoren-Sticker ganz am Ende der eindrucksvollen Formel-1-Reihe und markiert den Aufbruch in eine neue Ära des Motorsports bei Mercedes. Denn vom nächsten Jahr an wollen die Schwaben damit in der Formel E mitmischen.

Zwar räumen die Werksfahrer nach den ersten paar Trainings ein, dass man die Strategie umstellen muss und es plötzlich nicht mehr nur noch ums schnelle sondern auch ums sparsame Fahren geht. Doch die Lust an der Leistung und den Rausch des Rasens spüren sie auch am Steuer des Elektro-Renners – und selbst ihr aktuell größter Star kann sich deshalb einen Wechsel vorstellen: „Noch gehört man Herz der Formel 1“, sagt Lewis Hamilton. „Doch wenn ich da mal nicht mehr ins Cockpit steigen sollte, werde ich ganz sicher massive Entzugserscheinungen haben, die sich vielleicht in einem Cockpit der Formel E kurieren lassen.“

Fotos: Daimler

Nach oben scrollen