Erstmals sorgte der Gurt im 1958 neu vorgestellten Volvo PV 544 für Furore, fast zeitgleich übrigens im Volvo Amazon. Was damals keiner ahnte: Der Dreipunkt-Gurt sollte zur bis heute wohl wichtigsten Sicherheitsausstattung in der Geschichte des Automobils werden. Unfallforscher schätzen, dass diese Erfindung schon mehr als einer Million Menschen das Leben gerettet hat – und dennoch war sie anfangs höchst umstritten.
Bedenken, die Volvo bei spektakulären Events widerlegte, meist mit dem robusten und sogar im Motorsport erfolgreichen PV 544 als Superstar. So gingen etwa die Bilder von einer Sicherheitskonferenz am Frankfurter Messegelände 1961 um die Welt: Ein Volvo PV 544 fährt auf eine Rampe, hebt ab, überschlägt sich nach einer Flugeinlage viermal und dennoch kletterte der Stuntfahrer vollkommen unverletzt aus der verformten Sicherheitsfahrgastzelle. Exakt so, wie er es schon 30 Mal zuvor praktiziert hatte. Nicht ganz so dramatisch war der weltweit demonstrierte Werbegag von Volvo-Fahrzeugen, die über einem Abgrund an Sicherheitsgurten aufgehängt wurden. Natürlich hatte Volvo das geniale Konzept des Dreipunkt-Sicherheitsgurtes zum Patent angemeldet, gab dieses aber bald zur Nutzung für alle Hersteller frei. Dennoch sollte es in Deutschland bis 1974 dauern, ehe es zu einer Einbaupflicht für Neuwagen kam. Der Gedanke, sich im Auto mit einem Band zu fesseln, löste sogar bei Fachleuten lange zu viele irrationale Ängste aus.
Kultstatus erlangte der Volvo PV 544 mit seinen nicht integrierten Kotflügeln und einem runden Rücken im Stil amerikanischer Fließheckmodelle der 1930er und -40er allerdings durch andere Eigenschaften. Das als „Family-Sportscar“ beworbene erste schwedische Volksauto für den Weltmarkt beeindruckte durch formidable Fahrleistungen, den Volvo P 210 Duett als Kombiableger und eine legendäre Langlebigkeit. Vor allem die Nehmerqualitäten und Laufleistungen wurde zum Kennzeichen des buckligen Wikingers, der in dieser Disziplin sogar seinen buckligen Wolfsburger Konkurrenten übertraf. Mit 100.000 Meilen (160.000 Kilometer) erreichten die Volvo PV (= Personvagn also Personenwagen) angeblich erst den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, während die Volumenmodelle vieler anderer Marken dann bereits die vierte reguläre Motorenrevision absolvierten. Weshalb der bis 1965 gebaute PV 544 tatsächlich bis heute vereinzelt im skandinavischen Straßenbild auftaucht und als Duett noch immer gerne die automobile Hauptrolle in sonntäglichen deutschen TV-Schmonzetten zum Thema Schweden ausfüllt.
Wahrscheinlich liegt letzteres aber vor allem daran, dass dieser einst in überraschend vielen fröhlichen Sommerfarben lieferbare Oldtimer viele Facetten einer romantisch-verklärten, sorgenfreien Schwedenwelt verkörpert: Kultige, rundum sichere Volvo-Kombis vor roten oder gelben Holzhäusern und blauen Seen wecken bei Deutschen offenbar Sehnsüchte nach Bullerbü oder Schloss Gripsholm. Ein Oldie war der Volvo PV 544 übrigens schon bei seiner Vorstellung, handelte es sich bei ihm doch nur um die Weiterentwicklung des schon 1944 vorgestellten viersitzigen Vierzylinder-Modells Volvo PV 444. Trotz des 1956 lancierten Volvo Amazon in moderner Pontonform hielten die Käufer dem PV 444 mit eigentlich längst überlebtem amerikanischen Aero-Design weiterhin die Treue. Was auch daran lag, dass der Buckel über die damals geschätzten dualen Fähigkeiten verfügte als zuverlässiges Familienauto in der Woche und siegfähiger Rundkurs-Racer fürs Weekend, der sogar Porsche und MG zusetzen konnte. Gerade die Amerikaner liebten den kompakten Volvo dafür und so schenkten ihm die Schweden ein zweites Leben unter der Modellbezeichnung PV 544.
Ausgerechnet in jenem Jahr als die Heckflossen in den Himmel wuchsen und die Karosserien der Straßenkreuzer der Sechs-Meter-Marke entgegenstrebten, lancierte Volvo in Nordamerika mit dem 4,45 Meter kleinen Buckel einen Bestseller, dem damals sogar ein eigener Rock ’n‘ Roll Song gewidmet wurde: In „59 Volvo“ setzten „The Medaillons“ den sportlichen Qualitäten des PV 544 ein musikalisches Denkmal. Optisch differenzierte sich der PV 544 von seinem Vorgänger fast nur durch die um knapp ein Viertel größere Frontscheibe und das um knapp 20 Prozent gewachsene Heckfenster. Unter dem Blechkleid waren es die neue Rückbank – Nummer 544 wurde als Fünfsitzer ausgewiesen – und der nun auch in Europa verfügbare, sogenannte 85-PS-Amerika-Motor, die Schlagzeilen bewirkten. Damit lagen laut Fachpresse 160 km/h im Bereich des Möglichen. Genug Tempo, um auf Autobahnen V8-BMW und Sechszylinder-Mercedes zu scheuchen. Dies ab 1959 mit serienmäßigen Dreipunktgurten.
Noch flotter wurde der Volvo PV 544 mit ab 1961 installiertem 1,8-Liter-Vierzylinder und bis zu 70 kW/95 PS Leistung. Auch auf den Rallyepisten demonstrierte der Buckel seine Durchsetzungsfähigkeit bis ins letzte Jahr: Erst 1965 krönte der Schwede seine Motorsportkarriere mit einem Sieg beim härtesten Rallye-Raid der Welt, der East African Safari Rallye. Was Volvo aber im Herbst desselben Jahres nicht davon abhielt, den in Schweden, Kanada und sogar Argentinien gebauten Buckel sterben zu lassen. „Farewell, old Friend“, lautete eine wehmütige Anzeigenkampagne, die verschwieg, dass die Produktionskapazitäten für den kommenden Volvo 140 benötigt wurden. Aus diesem Grund wurde auch ein bereits geplanter PV 644 als finale Ausbaustufe der buckligen Verwandtschaft nicht mehr realisiert. Erstmals Sicherheitsgurte für Fondpassagiere gab es deshalb mit dem Volvo 140.
Noch bis 1969 in Szene setzen konnte sich jedoch die Kombiversion P 210 Duett. Dieser Transporter löste 1960 den PV 445 Duett ab und wartete neben der markanten Panoramascheibe mit einem riesigen Raumangebot für Familie, Freizeit und Handwerk auf. In seiner Strapazierfähigkeit übertraf der Duett alle Konkurrenten, konnte er doch problemlos Lasten von bis zu einer Tonne bewältigen (auch wenn die offizielle Zuladung darunter lag). In den Ruhestand geschickt wurde der Duett erst, als neue schwedische Zulassungsbestimmungen einen Produktionsstopp unausweichlich machten.
Fotos: Volvo