Kante zeigen in der Mittelklasse

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3

Audis neuer Technikvorstand Ferdinand Piëch verfolgte ehrgeizige Ziele. Vor 40 Jahren wollte der Enkel des legendären Ferdinand Porsche die Marke mit den vier Ringen ganz allmählich auf Augenhöhe mit Mercedes und BMW bringen, dorthin also, wo Audi vor dem Zweiten Weltkrieg als Aushängeschild technischer Avantgarde gefeiert worden war. Zu diesem Zweck hatte Piëch dem gerade erneuerten Audi 100 damals noch außergewöhnliche Fünfzylinder-Motoren spendiert, leistungsstarke Triebwerke mit markantem Sound, die fortan auch der zweiten Generation des Audi 80 (B2) und der davon abgeleiteten neuen Nobel-Mittelklasse Audi 90 (B2) sportive Dynamik verleihen sollten.

Im Herbst 1978 präsentierten die Ingolstädter ihre komplett überarbeiteten zwei- und viertürigen Mittelklasselimousinen, die gegenüber dem filigran proportionierten Vorgänger in allen Dimensionen deutlich gewachsen waren. Gleich 16 Zentimeter Längenzuwachs auf insgesamt 4,38 Meter und ein Plus von sieben Zentimetern beim Radstand auf 2,54 Meter waren eine klare Ansage. Denn damit war die Klasse von BMW 3er oder Saab 99 erreicht und der bisher eng verwandte – weil vom Audi 80 (B1) abgeleitete – Konzernkollege VW Passat blieb auf Distanz. Von dem 1982 eingeführten Allradantrieb quattro ahnten anfangs weder Medien noch Erstbesteller etwas, dafür punktete der Audi 80 sofort mit neuen Sicherheitstechniken wie optimierten Knautschzonen. Hinzu kamen die kantigen und dennoch überraschend aerodynamischen Formen der agilen bayerischen Limousinen, die bei nicht wenigen Betrachtern positive Assoziationen zu flotten Turbo-Schweden im Backsteindesign bewirkten.

Tatsächlich gelang den Designern des Audi 80 durch eine Sechs-Fenster-Seitenlinie nicht nur eine verblüffende optische Verwandtschaft zu den größeren Modellen Audi 100 und 200, der repräsentative Auftritt als klassische Stufenhecklimousine passte auch perfekt in die 1970er Jahre. Ein Jahrzehnt, in dem automobile Größe noch als gesellschaftliches Statussymbol genutzt wurde. Allerdings waren die Designer des Audi 80 so weitsichtig, dass sie bereits die Entwicklungen der 1980er Jahre antizipierten. Jener Dekade, die von technischen Revolutionen im Automobilbau bestimmt wurde und in der „Hightech“ zum Modewort avancierte. Leistungsstarke Antriebe und neue Technik in kompakter Form begeisterten damals die Yuppies, diese erfolgreichen jungen Geschäftsleute, die sich mit automobilen Symbolen wie BMW 3er und Mercedes 190 schmückten.

Tatsächlich fügte sich auch der Audi gut in diese Ära, zumal es ihn ab Sommer 1981 als extravagant ausgestatteten 80 CD gab. Besondere Sensationen waren natürlich das im März 1980 vorgestellte Audi Coupé quattro – die konstruktive Basis lieferte der Audi 80 (B2) – sowie der im November 1982 erschienene Audi 80 quattro 5E als zweiter Audi überhaupt mit permanentem Allradantrieb und starkem 2,1-Liter-Fünfzylinder-Einspritzer. Ein Triebwerk, das damals bereits Kultstatus genoss. Absoluter Höhepunkt der Evolutionsgeschichte der Audi-80-Limousinen wurde schließlich 1984 der Audi 90 als kompakter Luxusliner im Tarnkleid, verriet sich doch seine üppige Ausstattung vor allem durch voluminöse Leuchteinheiten vorne wie hinten. Klar, gegen BMW 3er und den Mercedes 190 erzielten die derart aufgewerteten Ingolstädter nur Achtungserfolge, aber der Anfang war gemacht. Und mit avantgardistischem Aerodesign sollte es die 1986 lancierte, dritte Generation des Audi 80 (B3) dann endgültig richten.

Dafür mischte der Audi 80 (B2) die Mittelklasse aus Opel Ascona, Ford Taunus und VW Passat mit Verkaufszahlen auf, die ihn unter die Top drei der deutschen Zulassungsstatistik beschleunigten. Insgesamt wurden fast 1,6 Millionen Einheiten der Ingolstädter Baureihe verkauft, darunter über 1,2 Millionen viertürige Limousinen. Tatsächlich ging in den 1980er Jahren die Zeit der zweitürigen Mittelklassemodelle zu Ende, weshalb es den Audi 90 bereits nur noch als Viertürer gab.

Wer waren die Designer, die Piëchs Audi 80 so genial in Form brachten? Das Grundkonzept der Karosserie wurde noch von Claus Luthe entwickelt, der zuvor als Couturier des NSU Ro 80 weltweiten Ruhm geerntet hatte, ehe er in den 1970er Jahren zu BMW wechselte, um dort den künftigen Konkurrenten des Audi 80, den BMW 3er (E30) zu zeichnen. Entscheidend für die endgültige Form des Audi 80 (B2) war jedoch die Gestaltungsarbeit des italienischen Stardesigners Giorgetto Giugiaro, der seit dem Erfolgsmodell Golf vom VW-Konzern regelmäßig gebucht wurde.

Geschickt integrierte Giugiaro sogar die Wünsche der Ingolstädter Sicherheitsforscher, die den neuen Audi 80 so aufrüsteten, dass er sich schwedischen Standards näherte. So erforderten verlängerte Knautschzonen einen größeren Vorderwagen, während die Türen dank massiven Seitenaufprallschutzes mehr Insassensicherheit gewährten. Zudem verhinderte ein neuartiges Ausklinkelement das Eindringen der Lenksäule in den Innenraum.

Noch mehr hatte sich unter der Motorhaube getan: Während der Fünfzylinder bei jedem Spurt ein Fest für Soundfans zelebrierte und der Vierradantrieb – er stammte ursprünglich aus dem bei Audi gebauten Geländegänger VW Iltis – zuerst den Ur-Quattro zum unbezwingbaren Rallyechampion beförderte und dann die Typen 80 und 90 als Schneekönige inthronisierte, wurde ein neu entwickelter Vierzylinder-Benziner als schadstoffarmer „Audi-Zukunftsmotor“ gepriesen. An diesem 1,8-Liter-Triebwerk sollten sich laut Audi „Autos dieser Klasse zukünftig messen müssen“. In der heutigen Zeit mit einer Multimillionen schweren Bußgeldauflage für Audi wegen Abgasmanipulationen mag man es kaum glauben, aber früher setzte die „Vorsprung durch Technik“-Marke tatsächlich Emissions-Standards.

So präsentierte sich der 66 kW/90 PS starke Audi 80 C schon Anfang 1984 mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator, fünf Jahre bevor die Technik obligatorisch wurde. Der Zeit viel zu weit voraus war der Audi 80 „Formel E“. Dieser 1981 eingeführte 63 kW/85 PS-Benziner vertraute auf eine Start-Stopp-Automatik und einen lang übersetzten fünften Gang. Beim Anhalten genügte es, einen Knopf zu drücken, damit sich der Motor ausschaltete. Um ein unbeabsichtigtes Starten zu verhindern, musste aber beim Anfahren die Kupplung betätigt und gleichzeitig das Gaspedal berührt werden. Offenbar zu kompliziert für die Kunden, die den nur 910 Kilogramm wiegenden Knauser-Audi selten orderten. Knapp 30 Prozent sparte das Formel-E-Fahrzeug im Stadtzyklus gegenüber dem konventionellen Audi 80, bei einem Verbrauch von 8,5 Litern bedeutete dies bereits Kleinstwagenniveau á la Fiat Panda.

Ein Facelift genügte, um Ferdinand Piëchs Aufstiegsmodell acht Jahre frisch zu halten. Als der Audi 80 (B2) 1986 das Feld seinem gleichnamigen Nachfolger überließ, konnte es sich kaum noch ein Premiumhersteller erlauben, auf Allradversionen zu verzichten. Der Audi 80 und die verwandten Coupés hatten die Allradwelle ins Rollen gebracht.

Fotos: Audi

Nach oben scrollen