Ausfahrten sind manchmal täuschend ähnlich zu Kreuzungen ausgebaut. Dann fällt die Einschätzung schwer, ob rechts vor links gilt. Auch Grundstückausfahrten können wie Straßenkreuzungen ausgestaltet sein. Bei der Einordnung einer Verkehrsfläche als Grundstücksausfahrt oder als Einmündung einer Straße kommt es auf deren Verkehrsbedeutung an. Im Zweifel kann der eigentlich Vorfahrtsberechtigte bei einem Unfall mithaften. Darauf weist das Oberlandesgericht Hamm am 5. Februar 2018 (AZ: 9 U 51/17) hin, wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.
Die beiden Autofahrer stellten ihre Fahrzeuge in der Nähe einer Turnhalle ab. Der Mann auf einem Parkplatz neben einer Straße, die Frau auf dem Parkplatz unmittelbar vor der Turnhalle. Der Weg zum Parkplatz ist die Zufahrt zur Turnhalle. Nach Verlassen seines Parkplatzes fuhr der Mann dann auf der Straße und passierte die wie eine Straßenkreuzung ausgestaltete, unbeschilderte Zufahrt zur Turnhalle. Auf dieser näherte sich die Autofahrerin. Sie hielt sich nach der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ für vorfahrtsberechtigt. Ebenso ging der Mann davon aus, Vorfahrt zu haben, da er die Frau als eine sich aus einer Grundstücksausfahrt nähernde Verkehrsteilnehmerin wahrnahm.
So räumten beide Fahrer dem jeweils anderen keine Vorfahrt ein, und es kam im Einmündungsbereich zum Unfall. Der Mann klagte und verlangte seinen Schaden in Höhe von insgesamt rund 13.000 Euro von der Frau und deren Haftpflichtversicherung zurück.
Die Klage war in erster Instanz beim Landgericht Dortmund am 8. März 2017 (AZ: 21 O 361/17) zu zwei Drittel erfolgreich. Das Landgericht sprach dem Kläger rund 8.600 Euro Schadensersatz zu. Dieser forderte jedoch 100 Prozent und ging in Berufung.
Das Oberlandesgericht wies die Parteien darauf hin, dass es den Fall ebenfalls so bewerten würde wie die erste Instanz. Daraufhin nahmen diese ihre Berufungen zurück.
Es komme nicht auf Ausbau und Gestaltung der „Kreuzung“ allein an, so das Gericht. Entscheidend sei die eigentliche Bedeutung, also darauf, ob es sich tatsächlich um eine Parkplatzzufahrt handele. Könne man nicht leicht erkennen, welche Bedeutung die Verkehrsfläche habe, müssten die Beteiligten besonders sorgfältig sein. Das sei in diesem Fall bei der Mithaftung des Klägers berücksichtigt.
Die Frau sei nicht vorfahrtsberechtigt gewesen. Die von ihr befahrene Abzweigung mit einer Länge von etwa zehn Metern führe allein zu der nur wenige Meter zurückliegenden Sporthalle. Daher sei sie aus einem Grundstück auf eine öffentliche Straße gefahren. Dem anderen Fahrzeug gegenüber sei sie daher wartepflichtig gewesen. Insoweit trage sie das Risiko einer falschen Einschätzung der Vorfahrtsituation.
Trotzdem müsse der Kläger mithaften, auch wenn ein Vorfahrtverstoß eigentlich zur Alleinhaftung führe. Die örtlichen Gegebenheiten ließen den Einmündungsbereich wie eine Kreuzung erscheinen. Daher habe der vorfahrtsberechtigte Mann damit rechnen müssen, dass die Frau sein Vorfahrtsrecht nicht erkenne. Deswegen hätte er seine Fahrweise auf eine mögliche Missachtung des Vorfahrtsrechts ausrichten müssen. Dies geschehe durch Blickkontakt. Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen und rechtfertige die Mithaftung des Klägers.
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