An Brexit dachte vor 50 Jahren noch niemand. Im Gegenteil, die Briten begehrten die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und Ford diente als Vorbild. Wurden doch damals gerade die verschiedenen europäischen Ford-Töchter unter dem Dach von Ford of Europe vereinigt und der passgenau serienreife Escort als erstes paneuropäisches Pkw-Modell vorgestellt. Gerechnet hatten die Konstrukteure der kompakten Baureihe damit nicht, denn der in Großbritannien entwickelte Escort sollte ursprünglich als Nachfolger des Ford Anglia reüssieren, eines skurrilen Kleinwagens, der außerhalb Englands nur als Harry Potters Zauberauto Bekanntheit erlangte. Entsprechend überrascht war 1967 vor allem die Kölner Ford-Dependenz, die den 4,05 Meter langen Escort als Einstiegsbaureihe erhielt, um damit Erfolge gegen die Millionseller Opel Kadett und VW Käfer einzufahren.
Tatsächlich hatte der angelsächsische Ford in Deutschland keinen leichten Start, denn mit hinterer Starrachse und Trommelbremsen waren die Limousinen und Kombis alles andere als fortschrittlich, zumal im Vergleich mit dem frontangetriebenen Taunus 12 M. Richtig in Fahrt kam die Karriere des Kleinen mit dem Kühlergrill in Hundeknochenform hierzulande erst, als der Escort 1970 aus dem neuen Werk in Saarlouis rollte und die in England von Beginn an populären Sportversionen nachgelegt wurden. „Freche Schnauze und innere Werte“, freute sich nun die deutsche Ford-Werbung.
Für Emotionen sorgte der Escort durch freches Coke-Bottle-Design mit Hüftschwung und feurige Lotus-Twin-Cam- und Cosworth-Racer. Über 200 km/h schnelle Brandstifter, die bei Rallyes und Rundstrecken so oft triumphierten, dass sie sogar die biederen Basis-Escort mit Sport-Appeal aufluden und vergessen ließen, dass diese 29 kW/40 PS-Knauserer im Alltag kaum einem Käfer oder kleinen Austin davonfahren konnten. Wohl wissend, dass es auf die potentiellen Rallyechamps ankommt, hatten die Briten zur Pressepräsentation des ersten europäischen Ford-Pkw-Modells eigens zwei 80 kW/109 PS starke Escort Twin Cam vorbereitet. Diese Renner sollten den europäischen Journalisten auf neutralem marokkanischen Boden Lust auf den heißen Hundeknochen machen. Ein Coup, der aufging, gaben sich die 1,6-Liter-Twin Cam doch sogar rasanter als die Sportwagen-Ikonen MGB und Triumph TR5 und gewannen so auf Anhieb die tempohungrigen Herzen der versammelten Journaille. „A Winner for Britain“ und „A Winner for Ford of Europe“ lauteten denn auch die Schlagzeilen.
Allein die deutschen Medien blieben reserviert. Sie wurden nach Berlin eingeladen, wo das bis dahin kleinste Einstiegsmodell ins Kölner Ford-Programm seine Qualitäten im Großstadtverkehr zeigen sollte. Was dem Escort durchaus gelang, war er doch beachtliche 34 Zentimeter kürzer als der Ford 12 M und auch handlicher als ein Opel Kadett, dazu mit Preisen ab 5.395 Mark billiger als vergleichbare VW Käfer. Mehr noch, der Ford unterbot im Kostenkapitel sogar Zweizylinder-Zwerge wie Daf 44 und Citroën Ami. Andererseits konnte, wer wollte, seinen Spar-Escort auch zum sportlich angehauchten 1300 GT mit 47 kW/64 PS aufrüsten. Mehr Power gab es auf dem Kontinent anfangs nicht, denn hier konzentrierte sich die sportive Aufmerksamkeit vorläufig auf das Familiencoupé Capri, das kurz nach dem Escort startete und Ford in eine neue Umlaufbahn schoss.
Der „Renner vom Rhein“, wie die Medien den Capri nannten, trieb den Marktanteil von Ford Deutschland im Jahr 1969 auf sensationelle 15,7 Prozent. Gewinner tragen Rallyestreifen, lautete nun das Branchencredo und Ford adaptierte den Escort für ganz Europa entsprechend. Passend zum Produktionsanlauf im neuen Werk Saarlouis gab es 1970 einen Escort-Markenpokal und RS-Versionen für die Straße. Schließlich hatte Ford eine Motorsportabteilung eingerichtet, die beschäftigt werden wollte. So beflügelte der ursprünglich für den Capri konstruierte Cosworth-BDA-Motor nun auch den neuen Escort RS 1600, erst bei 180 km/h verhinderte der Drehzahlbegrenzer weitere Beschleunigung dieser Rallye-Homologationsversion. Die internationale Rallye-Meisterschaft für Marken hatte der Escort bereits gewonnen, aber Ford wollte noch eins draufsetzen und auch Fußballfans für sich begeistern. So schickte der damals drittgrößte europäische Autobauer 1970 den Torschützenkönig Jimmy Greaves in einem Escort auf die 26.000-Kilometer lange World-Cup-Rallye von London nach Mexiko.
Startpunkt für alle Teams in dieser damals härtesten Langstreckenrallye war das Londoner Wembley Stadion, der Zieleinlauf erfolgte fünf Wochen später in Mexico City, passgenau zum Beginn der neunten Fußball-Weltmeisterschaft – für den Escort ein genialer Marketingcoup. Nicht nur weil ein von Rallyechampion Hannu Mikkola pilotierter Escort den Gesamtsieg errang und sich Fußballer Jimmy Greaves wider Erwarten bis auf Platz sechs vorkämpfte. Sondern auch, weil sich der Escort Mexico so als bis heute unvergessene Rallye-Ikone etablierte. In Deutschland kam die Straßenversion des Escort Mexico zwar nicht in den Handel, dafür legte Ford nun noch mehr Wert darauf, die Wettbewerbsstärke seines Einsteigermodells zu betonen. „Prädikat: besonders siegreich“, „Deutschlands sportlichste Familie“ und „Sieger, Sieger, Sieger… Escort“ lauteten die Kölner Kampagnen, bevor 1973 der Ford Escort RS 2000 „Das Erbe der großen Rallye-Sieger“ auf die Überholspur brachte.
Dieser kompakte Kracher kam gerade recht, um den inzwischen sechs Jahre alten Escort gegen den brandneuen Opel Kadett C nachzuschärfen. Mit 74 kW/100 PS leistete der ausschließlich zweitürig lieferbare „Rallye-Sport 2000“ satte 40 PS mehr als das damals stärkste Kadett Coupé. Und im Tempo-100-Sprintduell ließ der 915 Kilogramm leichte Hundeknochen mit markanter weiß-blauer Kriegsbemalung nicht einmal dem Porsche 911 T eine Chance. Gut 5.200 Einheiten verkaufte Ford von diesem Vorläufer aller GTI und GTE, eine stolze Stückzahl, die nur durch die erste Ölkrise eingebremst wurde.
Der Escort war nun in ganz Europa etabliert und erreichte als erster außerhalb Amerikas gebauter Ford eine Zwei-Millionen-Auflage. Darunter waren neben den konventionellen Stufenhecklimousinen auch exzentrisch gestaltete zweitürige „Turnier“-Kombis, die mit überlangen hinteren Seitenfenstern an exklusive Shooting-Brakes erinnerten. Für Furore sorgte der Escort überdies als Kunstinstallation des Aktionskünstlers HA Schult. Im Herbst 1971 platzierte HA Schult drei bunte Viertürer mitten in Köln als „Blutorangefarbene Signale in städtischer Landschaft“ mit steckendem Zündschlüssel. Neugierige Passanten konnten mit den Escort losfahren und sich mit dem Künstler via Funkgerät unterhalten. Eine Art-Car-Aktion, die Ford nachhaltig ins Gespräch brachte.
Insgesamt erzielte die erste Escort-Generation 2,14 Millionen Einheiten, von denen nur 234.000 deutsche Käufer fanden. Vielleicht ein Grund, warum Ford Köln bei der Entwicklung des 1975 vorgestellten Escort MK II die entscheidende Rolle übernommen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Ford/SP-X