Erfunden wurde das Auto durch die Deutschen, richtig ins Rollen kam es aber erst durch die Franzosen. Revolutionäre Pioniere wie Louis Renault machten das Automobil gesellschaftsfähig und die Grande Nation vorläufig zum größten Autobauer der Welt. Gleich zwölf Kaufverträge nach der ersten Demonstrationsfahrt seines Ur-Modells „Voiturette am Heiligen Abend 1898 weckten bei Louis Renault den Ehrgeiz, zu den Innovationstreibern der motorisierten Mobilité zu zählen.
So wagte Renault als erster französischer Fahrzeughersteller vor 110 Jahren den Schritt über den Rhein ins Herz des deutschen Kaiserreichs. In Berlin gründete der Gallier eine Importzentrale für die kapitalkräftige High Society, damit diese mit imposanten Hubraumboliden wie dem 9,5-Liter-Typ Renault AR 50 CV „Unter den Linden“ promenieren konnte. Es war der glamouröse Beginn einer Geschichte, die später vor allem durch kreative Kleinwagen und avantgardistische Familienfahrzeuge zum Erfolg geführt werden sollte.
Größter Importeur in der jungen Bundesrepublik wurde Renault nämlich durch Typen wie den R4 als Kultauto einer ganzen Generation, den R16 als frühen Vertreter frontgetriebener Modelle im Fastbackdesign und durch den stylischen Cityflitzer R5. Auch die Idee des Vans realisierte Renault mit Modellen wie Espace und Scénic. Grandiose Flops wie die Flaggschiffe Vel Satis und Avantime gehören zwar auch dazu, aber den Status der Nummer eins auf bundesdeutschen Straßen sichert Renault sich heute über die Billigtochter Dacia.
Nicht immer waren die Zeiten geeignet für geniale Autos visionärer Techniker. Diese bittere Erfahrung musste auch Louis Renault machen. Der leidenschaftliche Tüftler stand von 1898 bis 1944 an der Spitze seines Unternehmens, nachdem ihm die patentierte Erfindung des Direktantriebs via Kardanwelle in der kleinen Voiturette den Durchbruch gebracht hatte. Eine frühzeitige, große Typenvielfalt und die ersten Taxiflotten in europäischen Metropolen beschleunigten den Aufstieg seiner Marke zu einem der weltweit größten Automobilbauer. Die größte Selbstbestätigung als Techniker und Industrieller fand Louis Renault dabei stets in raffinierten Flaggschiffen der Luxusklasse wie den Typen 40 CV und Nervastella, die sich sogar in Deutschland bei Concours D'Elégance mit Mercedes oder Maybach maßen. Am anderen Ende waren es frühe erschwingliche Fließbandfahrzeuge wie die Typen 10 CV (ab 1919) und Juvaquatre (ab 1937), die genug Geld in die Kasse spülten.
Dennoch fehlte es nicht an tragischen Momenten. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endeten nicht nur die Exporte über den Rhein, die auch hierzulande für ihre Zuverlässigkeit gerühmten Renault Taxis fuhren nun französische Truppen an die Front. Trotz der für Importeure schwierigen Situation im Deutschland der Zwischenkriegsjahre gelingt Renault ein Neustart. Als deutsche Besatzungstruppen dann 1940 das Renault Werk okkupieren, entscheidet sich Louis Renault dafür, die Produktion aufrecht zu erhalten – und fertigt Lkw für die Wehrmacht. Die Folge: 1944, nach Abzug der Besatzer, wird Louis Renault als Collaborateur verhaftet und stirbt nach schwerer Krankheit. Sein Unternehmen wird verstaatlicht.
In Deutschland erfolgte der Renault-Relaunch schon 1949 im Gründungsjahr der Bundesrepublik mit dem Modell 4 CV, einem knuffigen, viertürigen Heckmotor-Kleinwagen, der sich als Alternative zum VW Käfer positionierte. Unterstützung erhielt der von seinen Fans liebevoll „Cremeschnittchen“ genannte 17-PS-Vierzylinder ab 1956 durch die etwas größere Dauphine. Eine hübsche Heckmotor-Limousine, die sich mit einem vergleichsweise günstigen Preis von 4.750 Mark erst in die Herzen, dann in die Garagen aller Deutschen schmeichelte, die keinen VW oder Fiat – damals Importeur Nummer eins – wollten. Revolutionär wurde Renault erst wieder in den 1960er Jahren. Während die Modelle R8 und R10 damals das Heckmotorkonzept zu Grabe trugen – nur die schnellen Alpine A110 hatten ihr Herz weiterhin hinten – setzte der unkonventionelle Renault 4 mit Frontantrieb und Heckklappe jene Zeichen, die in die Zukunft deuteten.
Eine Modernität, die der R16 auf die komfortable Mittelklasse übertrug, die jedoch von den Deutschen erst nach den gesellschaftlichen Umbrüchen der Jahre 1967/1968 begeistert aufgenommen wurde. Danach erlebte Renault – auch mit den ähnlich konzeptionierten Modelle R6 und R5 einen Boom, der die Franzosen in 1970er Jahren ganz nach oben trug – sogar vor Fiat. Allein die Verkaufszahlen des R4 explodierten von 16.540 Einheiten im Jahr 1965 auf 84.900 Stück im Jahr 1970. Ein Rekord, der bis 1993 halten sollte und dann vom Renault 19 gebrochen wurde. Jenem VW-Golf-Herausforderer, der genau den Nerv der wiedervereinigten Deutschen traf mit einem Kleid von Giugiaro (der Italiener entwarf zuvor den ersten Golf) und einer Cabriolet-Version, die bei Karmann gebaut wurde.
Renault hatte die Gunst der Stunde besser als andere genutzt und direkt nach dem Mauerfall noch in der Endphase der DDR ein Vertriebsnetz aufgebaut. Flankiert wurde der Erfolg des R19 durch den neuen Kleinwagen Clio und ab 1994 durch die Mittelklasse-Reihe Laguna. Hinzu kam 1997 der puristische Kangoo als Hochdachkombi im Stil des R4. Modelle, die Renaults Position als vorübergehend unangefochtene Nummer eins in Deutschland absicherten.
Inzwischen goutierten die Deutschen auch die gallische Idee, dass großer Raum gleichbedeutend mit großem Luxus ist und Renault diese Form des Luxus bezahlbar macht. Letzteres in Form der Monospace-Modelle Espace, Scénic und Twingo. Erst als die Franzosen übertrieben und mit exzentrischen Raumgleitern wie dem Van-Coupé Avantime und dem skurrilen Vel Satis in die konservative Oberklasse vorstoßen wollten, kam es zur Bruchlandung. Dort, wo Noblesse oblige gilt, fehlt es der Marke Renault bis heute an Prestige. Weshalb der Mégane nie zum Rivalen des Audi A3 wurde, wie es einige Renault Manager noch um die Jahrtausendwende andachten. Stattdessen gelang es der Marke mit dem Rhombus, die rumänische Tochter Dacia mit Renault-Signets zu schmücken und zur beliebtesten Billigmarke zu machen. Auf diese Art können sogar Erfolge eingefahren werden gegenüber der tschechischen VW-Tochter Škoda, die sonst heute in Deutschland größter Importeur wäre.
Aber Renault wusste auch sonst schon immer, seine Zukunft gut zu gestalten. Waren Modelle erfolglos wie etwa in den 1970er Jahren der Sechszylinder-Fünftürer R30 oder der kompakte R14 mit Birnenform, kam aus Boulogne-Billancourt eine neue kreative Idee, die oft genug zündete. Im 21. Jahrhundert verpasste Renault den Aufsprung auf den SUV-Zug, um dann mit neuen Modellen aus Allianzen wie Koleos (Samsung) und Kadjar (Nissan) sowie dem Captur auf Clio-Basis den Anschluss zu finden. Das sportliche Image schärften Formel-1-Erfolge sowie nun passgenau zum 110. Jubiläum des Renault-Deutschlandstarts das Revival der Tochter Alpine. Fast lautlos verläuft derweil die zweite automobile Revolution, an deren Spitze Renault stromert: liberté und égalité durch é-mobilité.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Foto: Renault/SP-X