30 Jahre schnelle Business-Liner

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Die Briten nennen sie Q-cars nach den waffenstrotzenden Kampfschiffen im Tarnkleid ziviler Handelsschiffe. Auch die Amerikaner haben mit Sleeper (schlafende Agenten) frühzeitig einen eigenen Terminus für muskelstrotzende Vmax-Modelle in unscheinbarem Outfit geprägt. Vielleicht, weil deren Geschichte in den 1950er-Jahren mit Autos wie dem Chrysler 300 C ihren Anfang nahm. In den Folgejahrzehnten waren es dann auch äußerlich harmlose Europäer wie BMW 2002 tii, Mercedes 300 SEL 6.3 oder Triumph Dolomite Sprint, die überraschende Tempo-Akzente setzten. Was sich jedoch vor 30 Jahren – mitten in den Diskussionen um Katalysator und Umweltschutz – ereignete, hatte niemand erwartet. Hochgerüstete Modelle der Businessclass aller europäischen Nationen erlebten einen nie gekannten Hype. Hier das heiße Startfeld der unverdächtigen, aber schnellen Großserienlimousinen: Aus Deutschland Audi 200 turbo, BMW M 535i, BMW M5 sowie Mercedes-Benz 300 E, aus Frankreich Citroën CX 25 IE GTi Turbo und Renault 25 V6 Turbo, aus Großbritannien Rover Vitesse, aus Italien Lancia Thema 8.32 und aus Schweden Saab 9000 Turbo 16 und Volvo 760 Turbo.

Zugegeben, die Leistungsspreizung bei den Limousinen ist groß, reicht sie doch von 122 kW/168 PS beim Citroën bis 210 kW/286 PS beim BMW M5, aber jeder der großen Vier- oder Fünftürer war Teilnehmer im Vmax-Championat – zumindest in seinem eigenen Land. Weshalb wenig später etwa Mercedes gegen BMW nachrüstete und den 300 E toppte durch 400 E und 500 E mit V8-Power. So viel Platz wie nötig, so viel Power wie möglich, das war die Formel für anspruchsvolle Familien-Limousinen, die vor 30 Jahren Viertürer mit der Performance eines Porsche hervorbrachte. Die meisten europäischen Hersteller der oberen Mittelklasse schickten nun neue Sturm-Spitzen ins Rennen, die erstmals deutlich schneller als 200 km/h waren und vereinzelt sogar die 250-km/h-Marke ins Visier nahmen. Möglich machten das nicht nur stärkere Motoren, sondern auch signifikant bessere cw-Werte, die zudem als willkommenen Nebeneffekt wesentlich niedrigere Verbrauchswerte mitbrachten.

Keine Rolle spielte bei all dem, dass legales Tempobolzen 1985 europaweit vor dem Aus schien. Mehrere europäische Länder verschärften in jenem Jahr ihre Geschwindigkeitsbegrenzungen und in Deutschland lief seit Januar auf ausgewählten Autobahnstrecken ein Tempo-100-Großversuch. Es sollte getestet werden, wie sich dadurch der Schadstoffausstoß verändert. Vor den Toren der Frankfurter IAA warnten Spruchbänder vor einem „ökologischen Hiroshima“ und ein alternativer Automobilclub warb am Messeparkplatz um Mitglieder mit der Parole „Mehr Spaß, weg vom Gas“. Was die begeisterten IAA-Besucher wenig beeindruckte und ungetrübt die bis dahin schnellsten Limousinen aller Zeiten feiern ließ. Überdies bevorzugten die tempogierigen Käufer vorläufig weiterhin Modelle ohne Katalysator. Kostete dieser doch nicht nur Aufpreis, sondern auch bis zu 20 Prozent Leistung. Und diese durfte in Deutschland weiterhin ausgefahren werden, entschied doch das Bundeskabinett am 19. November, kein generelles Tempolimit einzuführen.

Die Antriebs-Welt der reißenden Wölfe in automobiler Unschuldstracht war so unterschiedlich wie ihre Abstammung. Da war zunächst einmal ein Bayern-Bomber, der zum Entsetzen von Porsche-911- und Ferrari-400i-Piloten noch in jenen Sphären an Speed nachlegte, wo sich die Supercar-Piloten bis dahin unter sich wähnten. 250 km/h waren für den BMW M5 mit 210 kW/286 PS starkem Vierventil-Sechszylinder-Motor (aus dem legendären M1) laut zeitgenössischen Testberichten kein Problem. Immerhin brachte der 4,62 Meter lange Businessjet nur 1.430 Kilogramm auf die Waage – so viel wiegt heute ein BMW 3er. Von vorn wirkte der M5 (Baureihe E28S) fast so unauffällig wie der Diesel 524 td mit bescheidenen 85 kW/115 PS, zumal beide BMW einen Ölkühler benötigten. Mit Preisen jenseits von 86.000 Mark kostete dieser in Handarbeit bei der BMW M GmbH aufgerüstete 5er mehr als drei BMW 518i. Dennoch waren die bis Ende 1987 ausgelieferten 2.145 Einheiten von finanzstarken Fans so heiß begehrt, dass schon 1988 die zweite M5-Generation (Baureihe E34S) aufgelegt wurde.

Wer M-Power in gezähmter Form wollte, für den gab es noch den 35.000 Mark billigeren BMW M535i, dessen 160 kW/218 PS gut für Tempo 230 waren. Mit Katalysator schaffte der saubere, aber um 33 PS geschwächte Sechszylinder nur noch 205 km/h. 230 km/h schnell war auch ein anderer Bayer, der Audi 200 Turbo. Dafür reichten dem bei Marktstart amtierenden cw-Weltmeister 134 kW/182 PS aus einem Fünfzylinder-Kraftwerk. Das äußerlich kaum von einem 55 kW/75 PS leistenden Audi 100 zu differenzierende Ingolstädter Flaggschiff setzte aber noch einen Rekord: Als 200 Quattro Turbo war er schnellster Allradler mit vier Türen. Der dritte Deutsche im Bunde kam aus Stuttgart und war ebenfalls 230 km/h schnell. Auch der Mercedes-Benz 300 E mit 140 kW/190 PS verdankte sein Tempo der aerodynamisch geglätteten Formensprache der Baureihe W124, war sein ähnlich starker Vorgänger doch noch 30 km/h langsamer. Zu einem der fulminantesten Business-Boliden wurde der W124 erst später durch Upsizing und V8-Kraft unter der Haube, aber das ist eine andere Geschichte.

Bollernde Ferrari-V8 trugen dagegen die optisch schlichten Lancia Thema 8.32 ab 1986 unter der Haube. Die Kunde von den transplantierten 308-GTB-Achtzylindern kursierte bereits auf der IAA. Dennoch überraschten die nur 3.973 gebauten Italiener ein Jahr später mit einem Interieur, das zu den edelsten seiner Art zählte. Handvernähtes Leder von Poltrona Frau, afrikanisches Rosenholz und darin eingebettet acht stilvolle Rundinstrumente, das machte Preise auf BMW M5-Niveau verständlich. Dessen Fahrleistungen verfehlte der 158 kW/215 PS Ferrari-Lancia auch nur knapp.

Fast schon profan im Vergleich zu diesem Hochkaräter wirkten drei Vierzylinder-Turbo-Tiere aus Frankreich und Schweden. Turbo-Pionier Saab hatte seinen neuen 9000 als bis dahin schnellsten Schweden aller Zeiten vorgestellt und eine 80.000-Kilometer-Langstrecken-Weltrekordfahrt in den USA für 1986 angekündigt. Dafür genügte dem 129 kW/175 PS starken Saab eine Vmax von knapp über 220 km/h. Nur 205 km/h schnell war das Topmodell Volvo 760 Turbo – und damit dennoch rasantester Ziegelstein des Göteborger Autobauers.

Mit 223 km/h für französische Verhältnisse extrem schnell war der Citroën CX 25 GTi Turbo. Die bereits zehn Jahre alte Baureihe trug den günstigen cw-Wert bereits auf französisch im Namen CX und brillierte nun mit einem 2,5-Liter-Vierzylinder und 122 kW/168 PS Leistung. Anders als heute wurde damals das gallische Autobahnlimit von 130 km/h noch nicht streng überwacht, weshalb sich so mancher CX-Pilot von Renault-25-Fahrern herausgefordert sah. Gegen die er allerdings chancenlos war, sofern sie in ihrem R25 den Turbo-V6 mit 133 kW/182 PS dem verbreiteten Vierzylinder vorzogen, der als Diesel nur 46 kW/63 PS abgab. Vorreiter der fünftürigen Oberklasse a´la Renault 25 war ab 1976 der Rover 3500 V8 mit zuletzt 142 kW/193 PS. Ein avantgardistischer Angelsachse, der auf seine alten Tage Zeichen setzte in der Europäischen Tourenwagenmeisterschaft und als Rover Vitesse auch auf den Straßen Flagge zeigte.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller/SP-X

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