Morgens um sieben ist die Welt in Partenen noch in Ordnung. Die Bergkühe käuen tapfer wieder, die Wirte stellen die Tische fürs Frühstück raus und von den die ersten Horden kunterbunter Wandertouristen abgesehen, liegt ein tiefer Frieden über dem Dorf im Montafon. Aber nicht mehr lange. Denn nur ein paar Stunden später starten von hier aus bald 200 Oldtimer zur Silvretta Classic und lassen dabei die Berge beben: Die Hauptstraße versinkt im Dunst von Benzin, der Geruch von heißem Öl liegt in der Luft und es knattert, sprotzt und röhrt in allen Ecken, dass es eine wahre Freude ist.
Mittendrin im Pulk fährt ein Jaguar MKII, der auf dieser Rallye doppelt gut aufgehoben ist. Denn einerseits haben die Engländer eine natürliche Affinität zu den Alpen und zählen nicht umsonst bei vielen Gipfeln zu den Erstbesteigern. Und zweitens holt Jaguar die kleine Limousine aus den Fünfzigern in diesen Tagen ganz besonders gerne aus der Sammlung, weil sie den Briten als gedanklicher Vorläufer des neuen Einstiegsmodells XE gilt.
Im Pulk mit den unvermeidlichen Mercedes SL, mit vielen Porsche 911 und natürlich mit E-Type und XJ-S aus dem gleichen Stall wirkt der von 1959 bis 1969 gut 80 000 Mal gebaute MKII auf den ersten Blick zwar ein bisschen fehl am Platz. Schließlich ist er kein Sportwagen, sondern eine ebenso bequeme wie repräsentative Reiselimousine, die in ihrer Zeit bei Bänkern und Brokern hoch im Kurs stand. Doch erstens ist das ja nur eine Rallye und kein Rennen, und zweitens darf man sich von diesem vorschnellen Eindruck nicht täuschen lassen. Schließlich wurde der MKII nicht umsonst als Sportlimousine beworben, war der beliebteste Dienstwagen der britischen Polizei und ein gern genommenes Fluchtauto ihrer Gegenspieler, hat so manchen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt und sich auf der Rennstrecke ob seiner Durchschlagskraft den Ehrentitel von der stählernen Faust im seidenen Handschuh erworben. Doppelt so stark wie seinerzeit der stärkste Porsche hat er deshalb nicht nur die Tradition sportlicher Jaguar-Limousinen begründet, sondern im Grunde sogar den Weg für die eiligen Business-Limousinen geebnet, mit denen AMG, die M GmbH und die Quattro GmbH derzeit so dicke Profite machen. Denn was heute ein E 63, ein M5 oder ein RS6 ist, das war in den Fünfzigern der MKII.
Jetzt allerdings bleibt die stählerne Faust erst einmal in der Tasche und es geht ganz gemächlich die Bielerhöhe hinauf. Bei drei Dutzend Spitzkehren wird nicht nur dem Motor warm, sondern auch dem Fahrer, so kräftig muss er ins spindeldürre Lenkrad greifen, das natürlich auch noch auf der falschen Seite montiert ist. Immerhin schalten sich die vier Gänge butterweich, die Tachonadel zittert sich tapfer über 40, 50, zwischendurch sogar mal 60 Meilen und wie gut die Bremsen noch sind, werden wir auf dem Rückweg schon sehen. Fehlt nur noch, dass einer „Im Frühtau zu Berge“ anstimmt.
Wobei das natürlich glatt gelogen wäre. Denn es ist so bullenheiß, dass der Frühtau längst abgedampft ist und es im Innenraum des Jaguars so langsam kuschelig wird wie in einer Sauna. Aus der Lüftung hechelt nur eine laue Briese und nach fünf Minuten klebt das Hemd an den tiefen, weichen Ledersesseln. Doch stillvoller als in so einem Ambiente lassen sich die Gipfel kaum stürmen. Selbst wenn die Klimaanlage im XE auch den heißesten Sommertag erträglicher machen würde, will man beim besten Willen nicht tauschen. Stattdessen kurbelt man lieber nach alter Väter Sitte die Fenster herunter, öffnet reihum die Dreiecke zum Ausstellen und gibt irgendwann einfach ein bisschen mehr Gas.
Das liegt dem MKII ohnehin besser als die Schleichfahrt im Pulk, selbst wenn er dabei bisweilen verführerisch sein Heck kommen lässt und mit dem Hintern wackelt wie Pippa Middleton bei der Hochzeit ihrer Schwester Kate. Nicht umsonst steckt unter der Haube ein 3,8 Liter großer Sechszylinder mit 220 PS. Wer dem ordentlich die Sporen gibt, der merkt schnell, dass der MKII nicht nur ein elegantes, sondern auch ein ausgesprochen engagiertes Auto ist. Immerhin hat der MKII sein Vier-Augen-Gesicht damals in rund neun Sekunden auf Tempo 100 katapultiert und als schnellste Limousine ihrer Zeit der versammelten Konkurrenz nur die schicke Kehrseite gezeigt. Denn wo er mühelos auf 200 Sachen kam, war für einen BMW 502 oder einen Mercedes 220 Sb bei etwa 170 Schluss.
Wenn auch nicht mehr ganz so lichterloh – aber dieses Feuer brennt noch heute. Da kann die Zeitkontrolle noch so knapp sein: Hier und da ein schnelles Überholmanöver, die Verkehrsregeln etwas großzügiger ausgelegt (wozu hat man schließlich einen Meilen-Tacho) und die letzte Kurve im Drift – rums, schon hat man den Stempel der Zeitkontrolle pünktlich auf die Sekunde im Roadbook. Und dass man am Ziel der offiziellen Zeitnahme ein paar Minuten abgenommen hat, versteht sich von selbst: Arrive in Style, lautet das Motto und wer stilvoll aussteigen will, der sollte dabei keinen gehetzten Eindruck machen.
Sechs Stunden nach dem Start ist der Gipfelsturm vorbei, das letzte Auto hat das Ziel erreicht und bis auf das Knistern der heißen Maschinen kehrt so langsam wieder Ruhe ein im Montafon. Zumindest für ein paar Stunden. Schließlich machen sie die ersten schon wieder Gedanken über die Startaufstellung für den zweiten Tag.
Text: Spot Press Services/Benjamin Bessinger
Fotos: Stefan Baldauf SB Medien/SP-X