Buchtipp – Rowohlt: In Schlucken-Zwei-Spechte/Gottes Segen und Rot-Front

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2

Als ich vor ihm stand, brachte ich, vor lauter Respekt, kaum ein Wort heraus. 2001 muss das gewesen sein, im Vorfeld einer seiner berühmten Lesungen. Die Harry Rowohlt Schausaufen mit Betonung nannte. Es wurde trotzdem das geplante Interview, auch wenn er es mir – gegengelesen – per Fax quasi um die Ohren schlug. Aber wenn Harry Rowohlt ins Erzählen kam, war es fast unmöglich, zuzuhören und aufzuschreiben. Man hatte genug mit Zuhören zu tun – und damit, sich möglichst viel zu merken. Egal, ob er nun mit einem Zuhörer oder vor mehreren Hundert sprach. Ich kam mir trottelig vor beim Lesen des Fax. Dass es seinem Verleger Klaus Bittermann (Edition Tiamat) so ging wie mir, lässt sich in seinem Nachruf lesen (www.edition-tiamat.de) und relativiert den Trottel.

Seinem Freund Ralf Sotscheck hat er aus dem eigenen Leben erzählt. Und in Buchform jeden teilhaben lassen, der das wollte. In Schlucken-Zwei-Spechte, eine Anspielung auf eine der bekanntesten Rowohlt-Übersetzungen In Schwimmen-Zwei-Vögel wurde ein Bestseller. Was Wunder.

Von seinen Eltern hat er nicht viel gehalten, mochte der Vater, Ernst Rowohlt, ein noch so berühmter Verleger sein. Umso herzlicher war das Verhältnis zu seinem Bruder, Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt, der immerhin 37 Jahre älter war. Das geplante Anglistikstudium hielt er etwas über zwei Stunden aus, keine Sekunde länger. Und schon früh entdeckte er die Liebe zum Übersetzen. Was auch hieß, vor einer Neu-Übersetzung Fehler in bis dato erhältlichen Übersetzungen von Kolleg(inn)en zu finden. Mochte jemand noch so bekannt sein und sich ggf. mit einem Doktortitel schmücken – Fehler konnten erkennbar Rowohlts Zorn heraufbeschwören. Und wer hörte oder las, wie Rowohlt etwa den Unterschied im Englischen zwischen beef und cow erklärte, bekam eine Ahnung davon, wie sorgfältig dieser Mann arbeitete.

Harry Rowohlt war aber auch ein passionierter Briefschreiber. Das belegt das Büchlein Gottes Segen und Rot-Front mit dem Untertitel Nicht weggeschmissene Briefe II (Teil I ist offenbar nur noch als Download erhältlich). Der Junge, der verschiedenes zu Pu der Bär wissen wollte, bekam eine umfassende, freundliche Antwort, klar, einleuchtend und trocken-witzig. Wer sich aber um seiner Popularität willen erkennbar an Rowohlt heranwanzen wollte, um irgend einen Gefallen zu erbitten, bekam eine Replik, die kürzer nicht hätte sein können. Und auch nicht klarer. Der lebenslange Computerverweigerer schrieb übrigens mit der Schreibmaschine.

Im Interview damals outete er sich als Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel. Einen Daihatsu Wildcat besaß er zwar, fuhr ihn aber nicht. Jahre später fuhr er mit mir in derselben Straßenbahn, auf dem Weg zur Leipziger Buchmesse. So voll konnte die gar nicht sein, dass man ihn nicht sofort ausmachte. Langer Vollbart und Zottelmähne – das war keine Nachlässigkeit. Wer in jungen Jahren ausgesehen habe wie ein Hippie, solle in späteren Jahren nicht aussehen wie der frühere deutsche Außenminister und GRÜNEN-Chef, hat Harry Rowohlt mal gesagt. Gerne hätte ich ihm auch etwas gesagt bei der zweiten Begegnung: Dass ein Zuviel an Respekt einem Interview nicht gut tut. Die Lektion jedenfalls habe ich bis heute behalten. Sagen konnte ich es ihm nicht, weil er ruckzuck im Gedränge des Aussteigens aus meinem Blickfeld verschwand.

Am 15. Juni 2015 ist Harry Rowohlt verstorben, wenige Monate nach seinem 70. Geburtstag. Auch wenn er die mit seiner bekanntesten Rolle verbundene Popularität eher lästig fand, sei sie trotzdem erwähnt: Als Penner Harry hat er über Jahre hinweg die Lindenstraße im Ersten um etliche Bonmots bereichert.

Harry Rowohlt/Ralf Sotscheck: In Schlucken-Zwei-Spechte. Edition Tiamat; 15 Euro.

Harry Rowohlt: Gottes Segen und Rot-Front. Nicht weggeschmissene Briefe II. Kein und Aber Verlag; 19,90 Euro.

Nach oben scrollen