Der Dienstag der Rennwoche in Le Mans wird häufig als der Tag beschrieben, an dem es für die Mechaniker und Ingenieure gilt, von 99 auf 100 Prozent zu bringen, sprich auf den berühmten Punkt zu bringen. Warum? Notwendig werden dieser Vorgang durch den Transport des Boliden zur technischen Abnahme in die Stadt. Alle Details werden ein letztes Mal gecheckt, nichts dem Zufall überlassen. Darüber hinaus werden gern noch ein letztes Mal die entscheidenden Handgriffe in der realen Umgebung eingeübt. Boxenstopp-Trainings werden solange wiederholt, bis der Team-Chef zufrieden ist. Die Choreographie aus Fahrertausch, Reifenwechsel, tanken, Scheiben und Scheinwerfer putzen oder ein Abreiß-Visier an der Frontscheibe entfernen muss perfekt stimmen. Denn jede Sekunde, die in der Box verloren wird, muss gegebenenfalls der Fahrer – meist mit erhöhtem Risiko – auf der Strecke wieder hereinfahren. Ein Vorgang, der sich ziehen kann, oder aber bereits nach der zweiten oder dritten Wiederholung als erledigt erachtet wird. Gleiches gilt für die Boxeneinrichtung. Liegt alles griffbereit an seinem vorgesehenen und markierten Platz? Wenn dies so ist, wird auch hier die entsprechende Liste abgehakt.
Für die Fahrer stehen in der Regel die Besprechungen mit der Teamleitung auf dem Programm. Welche Strategie soll im freien Training am Mittwochnachmittag und im ersten Qualifying am Abend beziehungsweise in der Nacht verfolgt werden? Diese wird meist in Zusammenarbeit mit den Wetterfröschen definiert. Obwohl man auch hier meist nicht nur einen Plan A oder B sondern auch C endgültig festlegt. Beispiel: Plan A – es bleibt trocken und die Temperaturen von Luft und Strecke im prognostizierten Rahmen. Plan B – es fängt an zu regnen und man muss die Abstimmung des Renners anpassen. Die Top-Teams wechseln dann ganz gern beim Boxenstopp auch die Nase des Renners, um die Fahrbarkeit des Renners auf nasser Strecke zu optimieren. Plan C ist der, der eigentlich am wenigsten beliebt ist. Bei diesem muss dann nämlich ganz kurzfristig reagiert werden, weil irgendein Zwischenfall auf der Strecke einen außerplanmäßigen Boxenstopp erfordert. Ein Ausritt ins Kiesbett oder eine Kaltverformung nach einem Leitplanken- oder Mauerkontakt zählt zu diesem wenig beliebten Bereich. Wesentlich angenehmer für die Fahrer ist dagegen ihr letzter Programmpunkt dieses Tages: Die große Autogramm-Session. Sie wird nicht irgendwo abgehalten, sondern in der imposanten Boxengasse zelebriert. Die Zuschauer und Fans haben dann Zutritt und können sich ihre Unterschriften auf allem was sich dafür eignet quasi abholen. Die Piloten sitzen dafür vor ihren jeweiligen Boxen und erfüllen beinahe jeden Wunsch, bevor man am Mittwoch-Nachmittag mit dem freien Training zum eigentlichen Renngeschehen kommt. Procedere und Abläufe, an die sich alle halten, auch die Werksfahrer wie der KÜS-Markenbotschafter Timo Bernhard.
Text und Bilder: Bernhard Schoke