Gut eine Woche danach lassen sich die Beiträge zum Eurovision Song Contest 2015 entspannt hören. Der Punktekrimi ist eh vorbei, das Mitfiebern entfällt – eine gute Gelegenheit, die Wettbewerber mal ganz unwettbwerbsmäßig zu genießen. Denn zu genießen ist vieles, zum 60. Geburtstag der mittlerweile weltweit größten Musikshow traten nicht wenige Länder mit richtig starken Teilnehmern an.
Wobei inzwischen eingestandenermaßen auch die Show zählt, anders als ursprünglich. Da sollte es rein um die Musik gehen, genau genommen standen sogar Texter und Komponisten im Vordergrund. Sängerinnen und Sänger waren lediglich Transporteure. Heute hört das Ohr, aber das Auge will und soll auch verwöhnt werden.
Hätte nach diesen ursprünglichen Richtlinien Mans Zelmerlöw so souverän den Sieg abgeräumt? Zweifel sind erlaubt. Heroes ist ein Ohrwurm, keine Frage, aber Ähnliches hat man oft genug schon gehört. Beim Nachhören fällt dagegen die Originalität des jungen Belgiers Loic Nottet besonders auf. Und die im Halbfinale gescheiterte Trintje Osterhuis, in ihrer Heimat ein gefeierter Star, wurde anschließend bisweilen für ihr Semifinal-Outfit gescholten. Rein akustisch geht das Scheitern dagegen zweifellos als unverdient durch. Und wenn vom Scheitern die Rede ist, muss leider auch die Rede auf Deutschland kommen. Black Smoke, vorgetragen von der bis vor Monaten noch völlig unbekannten Ann Sophie, ist sicher mehr als Schall und Rauch. Aber leider auch ein Song, dessen Nachwirkung schnell verpufft ist, zu wenig eingängig einerseits, unoriginell andererseits. Das gleicht dann auch ein anmutiger Auftritt nicht mehr zwingend aus.
Geheimtipps? Reichlich. Ungarn etwa, auf eine sparsam instrumentierte Ballade zum Thema Frieden setzend (während die russische Interpretin sich demselben Thema mit weit mehr Effekthascherei widmete). Oder Armenien, an einen Völkermord erinnernd – und dafür, um falsch verstandene Botschaften zu vermeiden, sogar den Titel des Songs kurzfristig änderte. Nicht zu vergessen Australien als Gastland, eingeladen zum 60. wegen jahrzehntelanger Treue zum Wettbewerb, mit Guy Sebastian zwischen Pop und Jazz balancierend. Und der, in seiner Heimat ein Superstar, legte einen charmanten Auftritt hin, ohne dass da einer unbedingt um Platz 1 buhlen sollte. Ein Auftritt, der einfach nur gute Laune machen sollte. Und machte.
Denn: Gesellschaftliche Botschaften beim ESC – eine zweischneidige Sache. Das kann klappen – niemand weiß das besser als Nicole seit ihrem Sieg 1982 mit Ein bißchen Frieden. Das kann im unteren Mittelfeld enden wie bei Rumänien – oder, sogar gegen alle Buchmacher, schon im Halbfinale wie bei den finnischen Teilnehmern. Vielleicht hätte man im Vorfeld weniger deren Behinderungen thematisieren sollen und dafür den Fokus mehr aufs Lied richten. Erstens als kürzester Beitrag in 60 Jahren (1:30 Minuten), zweitens als absolute Stilpremiere: Denn wirklichen, echten Punk – das gab's hier noch nie.
Eurovision Song Contest: Vienna 2015 (Universal)