Tradition: Der Borgward-Konzern (1919-1961)

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Es ist eine Geschichte großer Träume und noch größerer Tragik, ein Epos, wie es ein Hollywood-Drehbuch nicht besser hätte schreiben können: Kühner Konstrukteur schmiedet in Rekordzeit einen global erfolgreichen Automobilgiganten, der es sogar mit den Detroiter „Big Three“ General Motors, Ford und Chrysler aufnehmen kann, was die Modellvielfalt betrifft. Ein Konzern, der auf den Automobilsalons der 1950er Jahre die aufregendsten Showcars in den Schatten stellt durch eine formvollendete und dennoch relativ bezahlbare Vorzeigebaureihe mit dem verführerischen Namen Isabella. Ein Unternehmen, das Bremen in den Jahren 1949 bis 1961 zu Deutschlands nördlichster Autometropole macht und damit zu einem Symbol für das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit wird – und dennoch auf tragische Weise an widrigen Umständen untergeht. Carl F. W. Borgward heißt der geniale Ingenieur und gescheiterte Visionär, der den Konkurs seines Mehrmarken-Imperiums aus Borgward, Goliath, Hansa und Lloyd nicht überlebt. Für Fans in aller Welt bleibt Borgward aber bis heute unvergessen – als Marke, die sogar Mercedes Paroli bot. Kein Wunder deshalb, dass sich immer wieder Prinzen fanden, die die schöne Bremerin aus ihrem Dornröschenschlaf holen wollten. Den vielleicht ernsthaftesten Versuch unternimmt jetzt Christian Borgward, der Marke und Modellen seines Großvaters neues Leben einhauchen will.

Ein Comeback, das in diesem Jahr auf dem Genfer Automobilsalon gefeiert wird. Christian Borgward und sein Partner Karlheinz Knöss, früher Manager bei Mercedes und Saab, gehen ähnlich leidenschaftlich vor wie der einstige Patriarch Carl F. W. Borgward, der in seinen drei Bremer Fahrzeugfabriken Borgward, Goliath & Hansa sowie Lloyd weit über eine Million Fahrzeuge produzierte. Dies damals übrigens fast ganz ohne Fremdkapital. Nur in den Anfangsjahren 1925 bis 1937 nutzte Unternehmens-Gründer Carl F. W. Borgward, der 1924 sein erstes Lastendreirad „Blitzkarren“ lanciert hatte, eine Partnerschaft mit dem Kaufmann Wilhelm Tecklenborg. Dieser Kompagnon – und die Absatzerfolge seiner Dreiräder – ermöglichten ihm den Erwerb gleich mehrerer anderer Marken samt Werksanlagen sowie im Jahr 1931 die Gründung der Hansa-,Lloyd- und Goliath-Werke Borgward & Tecklenborg oHG. Einen raketengleichen Aufstieg zum größten Einzelkaufmann unter den deutschen Autobauern erlebte der von Kreativität, Erfindungsgeist und Innovationsfreude getriebene Borgward aber erst nach Tecklenborgs Ausscheiden 1937.

Der frisch gebackene Allein-Entrepreneur eröffnete 1938 das neu errichtete Werk Sebaldsbrück, das endlich die ersten Limousinen mit Borgward-Logo produzierte. Kurz nach Kriegsende startete in seinen bombenzerstörten Werken die Lkw-Fertigung, denn die Amerikaner bedachten ihn bereits 1945 mit einem Auftrag. Direkt nach der Währungsreform beginnt 1948 in Bremen das bundesdeutsche automobile Wirtschaftswunder. Carl Borgward startet unter den drei Marken Lloyd, Goliath und Borgward die Automobilproduktion. „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“, spottete der Volksmund über die kleinen Lloyd, die anfangs mit Sperrholzkarosserie ausgeliefert wurden. Machte nichts, denn die sogenannten Leuko-Plastbomber waren billiger als der VW Käfer und besser als die aufkommenden Rollermobile und konnten deshalb bis 1961 in über 350.000 Einheiten ausgeliefert werden.

Geld verdiente Borgward auch mit den Goliath-Transportern und den kompakten Goliath-Limousinen und Kombis GP 700/GP 900, die er optional sogar mit revolutionärer Benzineinspritzung auslieferte. Eine weltweit beachtete Sensation war der 1949 vorgestellte Borgward Hansa 1500, die erste deutsche Limousine in Pontonform. Schon damals ging es Schlag auf Schlag, Borgward arbeitete, konstruierte und designte wie ein Besessener – über 70 verschiedene Typen bis 1960. Dabei wäre weniger oft mehr gewesen, denn die Kassenlage war klamm. Drei getrennt geführte Marken ohne zentralen Einkauf und zentrale Entwicklung, das war zu teuer.

Trotzdem: Dank Lloyd lag die Borgward-Gruppe Anfang der 1950er Jahre nach VW und Opel auf dem dritten Platz der deutschen Zulassungscharts und auch zum Ende des Jahrzehnts war der norddeutsche Riese noch absatzstärker als Mercedes. Borgward war Bremens Stolz und einer der bedeutendsten Arbeitgeber Nordeuropas. Vor allem als der Konzernchef 1954 mit der Isabella zum ganz großen Schlag gegen Mercedes ausholte. Als sportliche Mittelklasselimousine gehobenen Anspruchs fand die feminin geformte Familie aus zweitürigem Stufenheck, lifestyligem Combi (unter den Lasteneseln damals eine Sensation), Cabriolet und Coupé eine freie Marktnische, die sogar von Mercedes und BMW vernachlässigt worden war. Tatsächlich nutzte BMW den 1961 eingeleiteten Borgward-Konkurs sofort, um seine IAA-Messefläche zu erweitern und dort den „Neue-Klasse“-Typ 1500 vorzustellen.

Mit einer Vmax von 152 km/h konnte es die 55 kW/75 PS-Topversion TS der Isabella auf deutschen Autobahnen sogar mit manchen Oberklassemodellen aufnehmen. Prominente wie Hollywoodstar Paul Newman, Mediengigant Axel Springer, Kreiskolben-Konstrukteur Felix Wankel, SPD-Urgestein Herbert Wehner oder TV-Krimipionier Jürgen Roland, sie alle fuhren die schnelle Bremerin. Und tatsächlich verkaufte Borgward Ende der 1950er Jahre zeitweise mehr Isabella als Mercedes 180er mit Benzinmotor. In 130 Länder wurde die Isabella exportiert, mit den USA als wichtigstem Abnehmer. Dort kippte die Autokonjunktur aber Ende der 1950er Jahre und die Isabella stand ab 1960 auf Halde.

Noch schlimmer: Isabellas gerade geborene kleine Schwester, die Arabella, stand sich ebenfalls die Reifen platt. Kinderkrankheiten schädigten den Leumund dieses größten aller Lloyd-Modelle. Ein Desaster, das rasche Nachbesserungen und der Namenszug Borgward milderten, aber nicht mehr abwendeten. Borgward musste die Arabella-Halden mit Preisen unter den Produktionskosten abbauen. Für einen Kaufmann, der seine Investitionen stets nur mit Lieferantenkrediten absicherte, eine Katastrophe.

Die Limousine P 100 wurde Borgwards ganz großer und allerletzter Wurf. Ein Luxusfahrzeug der Repräsentationsklasse, das es mit der Mercedes S-Klasse aufnehmen konnte. Dennoch trug auch das Flaggschiff zum Konkurs-Kollaps des Konzerns bei. Unvergleichlich war etwa die kompressorregulierte Vierrad-Luftfederung mit automatischer Niveauregulierung des 2,3-Liter-Sechszylinders, leider aber auch die Qualitätsprobleme. Die auch deshalb entsprechend niedrigen Stückzahlen des P 100 konnten die immensen Entwicklungskosten nie kompensieren. Allerdings sollte ausgerechnet diese letzte Neuentwicklung von der Weser 1967 wiederauferstehen – im fernen Mexiko. Dorthin wurden die Produktionsanlagen nach dem 1961 eingeleiteten und von vielen Mythen und Dolchstoßlegenden umrankten Borgward-Konkursverfahren verkauft. Am Ende konnten übrigens alle Borgward-Gläubiger befriedigt werden, der geniale Unternehmensgründer erlebte dies allerdings nicht mehr: Er zerbrach am Untergang seines Lebenswerkes.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Autodrom, Borgward, SP-X

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