Der glitzernd schrille Las-Vegas-Boulevard ist die Hauptschlagader der Casinometropole mitten in der Wüste. Am Vorabend der CES, der größten Elektronik-Messe der Welt, kam sie kurz vor Mitternacht ins Stocken. Kein neues iPhone von Apple, auch kein Datenhelm von Google und erst recht kein neues Windows von Microsoft. In der Stadt, die noch weniger schläft als New York, sorgte ein großes silbernes Auto für den temporären Stau. Ein Mercedes, wie es noch nie einen gab, mit blau leuchtendem Stern im Grill, der von zuckenden gleichfarbigen LED-Balken umrahmt ist. Das langgezogene Kuppeldach reicht von Achse zu Achse, die breiten Türen öffnen sich gegenläufig wie ein Kleiderschrank. Das Wichtigste aber: Er ist das erste Modell eines Autoherstellers, das für das autonome Fahren entwickelt wurde, das also keinen Fahrer mehr braucht.
Der F 015 ist für Mercedes so wichtig, dass Daimler-Chef Dieter Zetsche ihm seine sogenannte „Keynote“ widmete, die schon traditionelle Schlüsselbotschaft eines Konzernchefs vor der CES-Eröffnung. „Viele glauben, dass das Auto in Zukunft weniger attraktiv sein wird und es seine besten Tage schon hinter sich hat“, sagte Zetsche, als das Luxusmobil fahrerlos auf die Bühne rollte. „Doch es hat seine beste Zeit noch vor sich. Der F 015 ist der Beweis dafür.“ Denn die Mercedes-Studie würde schließlich belegen, dass das Automobil der Zukunft über seine Rolle als Transportmittel hinauswächst und sich zum privaten Rückzugsraum wandelt. „Wenn der Mensch zudem von seinen Aufgaben als Fahrer entbunden wird, bleibt ihm Zeit zum Entspannen, Genießen oder zu Gesprächen mit den Mitfahrern“, betonte Zetsche. Daimlers Motto: Der Fahrer chillt, der Roboter fährt.
Am sogenannten autonomen Fahren arbeiten und forschen natürlich auch andere Hersteller. Die Autos „sehen“ mit Radaraugen, Rundumkameras und empfindlichen Sensoren. Hochleistungscomputer an Bord setzen die Bilder zusammen und reagieren dann schneller und effektiver als es Menschen können. Wie zum Beispiel bei Audi, das einen A 7 vom Silicon Valley bei San Franzisco gut 900 Kilometer weit bis zum CES-Messegelände nahezu ohne menschliches Eingreifen fahren ließ. Auch Volvo hat schon solche Fahrten unternommen. Die immer weiter verbesserten Assistenzsysteme sind heute schon lieferbare Vorboten für die Entlastung des Fahrers.
Doch so konsequent wie Daimler hat wohl noch kein Hersteller die an sich schon alte Idee des selbstfahrenden Autos weitergedacht und alles im F 015 zusammengefasst. So also könnte eine S-Klasse des Jahres 2030 aussehen. Lounge-Charakter durch vier drehbare Sessel, so dass sich die vier Insassen unterwegs auch gegenüber sitzen können. In die Armaturentafel sowie die Rück- und Seitenwände sind sechs Displays integriert, auf denen durch Gesten, Bewegen der Augen oder durch Berührung viele Funktionen abgerufen werden können. Natürlich ist das Internet an Bord allgegenwärtig. Mobiles Posten bei Facebook, Twittern oder Surfen im Web wird ungefährlich, denn schließlich denkt und lenkt der Computer.
Der F 015 soll aber auch ein freundliches Luxusauto werden – etwa zu Fußgängern: Als Beispiel präsentierte Zetsche einen Passanten, der vor dem haltenden Mercedes bei Dunkelheit die Straße überqueren will. Laserlicht aus der Frontpartie heraus zeichnet einen virtuellen Zebrastreifen vor dem Fußgänger und fordert ihn durch bewegtes LED-Licht und eine Computerstimme zum Losgehen auf.
Als Antrieb stellen sich die Daimler-Ingenieure eine mit Wasserstoff befeuerte Brennstoffzelle vor, die für das Laden der Batterie verantwortlich ist. Der Akku kann aber auch per Steckdose gefüttert werden. Zwei Elektromotoren im Heck liefern 200 kW/272 PS, die Geschwindigkeit wird bei 200 km/h abgeriegelt, der Spurt auf 100 km/h soll nach 6,2 Sekunden bewältigt sein. Der Verbrauch wird bei 0,6 Kilo Wasserstoff auf 100 Kilometer liegen, was etwas einem Konsum von zwei Litern Dieseln entspricht. Die Reichweite liegt bei 1.100 Kilometern.
All das sind natürlich nur vorläufige Daten, denn bis ein Auto in der Art des F 015 auf die Straße kommt vergehen noch gut 15 Jahre. Zeit genug also, die vielen offenen Fragen zu klären: Haftet bei einem Unfall der nicht aktive Mensch an Bord oder der Autohersteller? Wie ist das mit dem Datenschutz? Nach derzeitigem Gesetz in allen Ländern muss ein Mensch immer die Kontrolle über Auto und Computer haben. Nur auf die Frage, ob bei der schönen neuen Technik nicht der Fahrspaß auf der Strecke bleibt, hat Dieter Zetsche schon eine Antwort: „Wer selbst ans Steuer will, kann das jederzeit entscheiden – wie in einem heutigen Auto.“ Dazu wird der zunächst verborgene an ein Steuerhorn erinnernde Volant elektrisch in Position gebracht. Elektrische Lenkradeinstellung: Immerhin das erinnert im F 015 an ein normales, aktuelles Auto.
SPX/Peter Maahn