Liebe Leserin!
Lieber Leser!
In den Anfangstagen meines Autofahrer-Daseins habe ich mich – wie etliche andere meiner damaligen Altersgenossen auch – ab und zu mal auf Schrottplätzen herumgetrieben, wenn ein Ersatzteil für den eigenen Gebrauchten nötig war. Ein bisschen Schrauben und Basteln, dafür reichte der automobile Sachverstand schon vor gut 40 Jahren, und mehr war in der Regel ja auch nicht gefragt. An Bremsen, Lenkung oder Eingriffe in das Antriebssystem wagten wir uns ohnehin nicht.
Bei derlei Versuchen sah man natürlich ausrangierte Autos in den verschiedensten „Aggregat-Zuständen“ von noch einigermaßen erhalten bis Blechklumpen. Aber bei den meisten Zeugen der Verkehrsgeschichte aus den 1960er Jahren war noch etwas für die Karosserie des eigenen Automobils zu gebrauchen. Dass man sich einen solchen Teile-Friedhof aber auch einmal als Rehabilitations-Adresse für die Psyche vorstellen könnte, darauf wäre unsereins dann damals nicht gekommen. Bei aller Liebe nicht.
Doch ein Schrotthändler unmittelbar in der Nähe meiner Heimatstadt im äußersten Westen der Republik hat da wohl eine Marktlücke entdeckt und bietet jetzt ein „Car-Crashing-Event“ an. Da können alle jene, die nicht wissen wohin mit ihren Aggressionen, sich Vorschlaghammer-bewehrt auf unschuldige, meist schon ziemlich ausgehöhlte Blech-Leichen stürzen und nach Herzenslust drauf hauen. Von der sitzen gelassenen Hausfrau und gehörnten Ehemann bis zum gestressten Manager oder durchgefallenen Abiturienten: Wer es nötig hat, zu seinem persönlichen Wohlbefinden mal so richtig „die Sau raus zu lassen“, der darf dort nach Herzenslust toben und draufschlagen, was die Muckis hergeben. Der pfiffige „Schrotti“ kann sich – so berichtet unsere Tageszeitung in ihrer Online-Ausgabe, über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. Offensichtlich gibt es genügend Männlein und Weiblein, die ihrem reichlich angespannten Nervenkostüm mal richtig ungehemmten Auslauf gönnen wollen und müssen, um wieder zurück in die richtige Alltags-Spur zu finden. Mittlerweile verkauft der gute Mann sogar – zeitlich limitierte – Geschenkgutscheine, damit sich die Beschenkten an den wehrlosen Fahrzeugen austoben dürfen. Einer jungen Dame, so berichtet die Zeitung, habe man eine halbe Stunde „Auto zerdeppern“ zum Geburtstag geschenkt, weil sie ihr Freund verlassen habe und sie danach in ein tiefes, seelisches Loch gefallen sei. Sogar Junggesellen-Abschiede seien auf diese sehr brachiale Art schon gefeiert worden.
Mit Schutzbrillen, Arbeitshandschuhen und – auf Wunsch – mit Sicherheits-Schuhen, deren Kappen besonders verstärkt sind, komme der Besitzer sogar einer Sorgfaltspflicht für seine Kunden nach. Zudem würden bei den entsprechenden Fahrzeugen die Airbags gezündet und sämtliche Betriebsstoffe abgelassen. Und dennoch, so der findige Geschäfte-Macher ganz ehrlich, „tun mir die Autos ein wenig leid, wenn ich dabei zusehen muss“.
Wenn Sie mich fragen, liebe Leserinnen und Leser: Mir tun diejenigen leid, die draufhauen.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.Ihr Jürgen C. Braun