Mehr Mercedes geht nicht, meinen noch heute alle Fans der Stuttgarter Technologieträger mit dem Typenzeichen 450. Schließlich sollten die neuen Spitzenversionen der S-Klasse vor 40 Jahren das automobile Maximum an Macht demonstrieren. Ganz besonders als 1975 ein 6,9-Liter-V8 mit 210 kW/286 PS Leistung unter die chrombewehrte Motorhaube passte und die Presse den 450 SEL 6.9 zum besten Benz aller Zeiten erklärte. Dank Hubraumerweiterung, Trockensumpfschmierung wie bei einem Rennwagen und modifizierter Motorelektronik fuhr dieser automobile Superlativ sogar dem bis dahin schnellsten viertürigen Trio der Welt davon. Ob Jaguar XJ12, Maserati Quattroporte oder De Tomaso Deauville, keiner dieser 230-km/h-Renner konnte es über längere Vmax-Strecken mit dem Sechs-Neuner aufnehmen, der sich gleichermaßen vollgas- wie trinkfest zeigte.
Zwar entsprachen Verbrauchswerte von 20 bis 30 Liter bei starken V8 noch dem Standard, wirkten aber bereits als Provokation in einem Jahrzehnt, das von gleich mehreren Ölkrisen gekennzeichnet war. Was allerdings europäische Fachjournalisten nicht davon abhielt, den kaum sparsameren 450 SE mit 4,5-Liter-V8 mit dem Titel „Auto des Jahres 1973“ zu ehren während amerikanischen Medien die ganze „450 class“ zum „Best Sedan in the world“ erklärten. Über 108.000 Einheiten konnten von diesen kostspieligsten S-Klasse-Typen der Baureihe W116 in knapp acht Jahren verkauft werden – auch das war rekordverdächtig im Luxussegment.
Was hatten Fußballkaiser Franz Beckenbauer, Schlagerstar Costa Cordalis, Leinwandheld Alain Delon, Bundespräsident Walter Scheel, die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl sowie der Tankstellensachverständige Helmut Riedel gemeinsam? Sie alle liebten das Alphatier der S-Klasse, den Typ 450, die massige, bis zu 2,4 Tonnen wiegende Limousine mit massiv wirkendem Blechkleid und modernster Technik. Ein Muscle Car, das durch regelmäßige, revolutionäre Updates keine Konkurrenz fürchten musste und es auf Laufleistungen jenseits der 500.000-Kilometer-Marke brachte. Der Tankstellensachverständige brachte es in einer Mercedes-Anzeige auf den Punkt: „Was bedeuten schon sechs Stunden am Lenkrad, Stress? Für mich nicht. In den 450 SE setze ich mich rein und bin am Zielort frisch. Das gibt mir kein anderer Wagen.“
Alles beste Voraussetzungen für die Stuttgarter Achtzylinder im Kampf um den Königsthron der besten Limousine der Welt, den sie in den Verkaufszahlen sofort für sich entschieden: Gegen die S-Klasse mit der Kennziffer 450 hatten die Rivalen von BMW (3.3), Opel (Diplomat V8), Lincoln (Continental), Jaguar (XJ12) oder Bentley (T) und Rolls-Royce (Silver Shadow) keine Chance. Ob auf der Londoner Mall, der New Yorker Fifth Avenue, der Ginza in Tokio oder dem Berliner Kurfürstendamm, die bis dahin größte Stuttgarter Sonderklasse war omnipräsent. Ab 1973 als knapp fünf Meter messender 450 SE und Chauffeurlimousine 450 SEL mit zehn Zentimeter Extraradstand sowie als Roadster 450 SL und als Coupé 450 SLC, zwei Jahre später mit dem 450 SEL 6.9 als Kronjuwel aller Limousinen. In den USA durfte der provozierende big Benz erst 1977 starten, dort hatte schon sein Vorgänger als 300 SEL 6.3 Schlagzeilen in den bunten Blättern gemacht.
Die Folgen der Ölkrise hatten die Amerikaner noch heftiger getroffen als andere westlichen Staaten, da war ein schwächlicher 88 kW/120 PS Sechszylinder in der US-Version des 280 S willkommenes Feigenblatt. Endlose Schlangen vor geschlossenen Tankstellen, rigorose Emissions- und Verbrauchsvorschriften, striktes 55-Meilen-Tempolimit, dazu hohe Preisaufschläge für deutsche Importe wegen des schwachen Dollar, das alles waren keine guten Voraussetzungen für eine amerikanische Bestsellerkarriere des Sechs-Neuners. Dann die Überraschung: Um das knappe Kontingent von anfangs angeblich nur 500 Einheiten pro Jahr für die Neue Welt entbrannte beinahe eine Bieterschlacht. Zeitschriften berichteten begeistert über (illegale) Highspeed-Highway-Tests des Mercedes mit hydropneumatischen Fahrwerk anstelle der beim Vorgänger eingesetzten Luftfederung und schon war es den Schönen und Reichen gleichgültig, dass nur Insider die Optik eines 280 S vom 450 SEL 6.9 differenzieren konnten.
Für die Erfolgsstory in Europa übrigens ein entscheidender Faktor, hierzulande war der „Entfall Typenbezeichnung auf Heckdeckel“ sogar die beliebteste Ausstattungsoption aller 450er. So getarnt deklassierte der 450 SE seinen kleineren und deutlich preiswerteren Bruder 350 SE mit 3,5-Liter-V8 durch eine fast doppelt so hohe Produktionszahl. Die Mehrzahl der Kunden wählte übrigens die prestigeträchtige Langversion. Die Überlegenheit der bis zu 165 kW/225 PS leistenden 450 SE/SEL gegenüber den nominell nur 25 PS schwächeren 350 SE/SEL lag in der Mühelosigkeit der Kraftentfaltung, die fast vollkommen harmonierte mit der serienmäßigen Dreigang-Automatik. Mit einem Sprintwert von 9,2 Sekunden bis zum Passieren der 100-km/h-Marke distanzierte der schwergewichtige 450 SEL sogar manchen Porsche. Was nichts war im Vergleich zum Autobahnjet 450 SEL 6.9, der in den USA nach nur sechs Sekunden die Highway-Schallmauer von legalen 55 Meilen (88 km/h) durchbrach und auch vielen Ferrari davon stürmte.
Die meisten Kunden suchten allerdings den Schutz der Trutzburg, die alle 450er boten. Kinderkrankheiten und Qualitätsmängel kannten die abgesehen vom staatstragenden 600er kostspieligsten Sterne nicht. Auf Wunsch gab es die Sonderklasse sogar in Sonderschutzausführung, in den 1970er Jahren angesichts der RAF-Terroranschlägen auch in Deutschland eine gefragte Extraausstattung. Ansonsten war die Ausstattung des Stuttgarter Kunstwerks für die Reichen und Mächtigen typisch Mercedes, also schwäbisch-sparsam.
So kostete der 6.9 bei Marktstart zwar bereits knapp 70.000 Mark, und dennoch waren Selbstverständlichkeiten wie Aluräder aufpreispflichtig. Teuerstes Einzelextra mit rund 20.000 Mark im 450 SE war das damals modernste Autotelefon. Noch innovativer waren 1978 das weltweit erste elektronische Serien-ABS und der erste Serien-Tempomat bei Mercedes. Zukunftsweisende Technik, die die wuchtig wirkenden Luxusliner vom Großserienfließband sogar in Großbritannien begehrenswerter machte als handgefertigte Bentley und Rolls-Royce. Als auf der IAA 1979 die schlanke und schlichte S-Klasse der Reihe W126 das Ende der schweren Chromkreuzer ankündigte, beschleunigte dies wider Erwarten sogar noch einmal den Absatz der 450er. Die beständigen Bestseller parkten bis Ende der achtziger Jahre Seite an Seite mit ihrem Nachfolger in den Fuhrparks der Reichen und Mächtigen.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Autodrom Archive, Daimler/SPS