Opel: 50 Jahre Kadett A

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„Mission impossible“, konstatierten die amerikanischen GM-Chefs am Ende der kurzen und dennoch großen Karriere des kleinen Kadett A. Detroit hatte der Rüsselsheimer Tochter Weisung erteilt, einem lästigen Wolfsburger Krabbeltier per Kammerjäger den Garaus zu bereiten. Tatsächlich war es dem Käfer im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegsjahre gelungen, nicht nur deutscher Volkswagen zu werden, sondern auch in Amerika für Furore zu sorgen. Mit neuen Compacts wollten die US-Konzerne Chrysler, Ford und GM kontern. Besonders gründlich vorbereitet wurde der Gegenstoß von GM in Deutschland, immerhin war der Opel Kadett schon in der Vorkriegszeit ein Vorreiter moderner Kompaktklasseautos und eines der ersten erschwinglichen Familienfahrzeuge. Über 100.000 Einheiten der kleinen Vierzylinder-Limousine liefen bis 1940 vom Band, während in Wolfsburg die Volkswagen erst in den Nachkriegsjahren in nennenswerter Stückzahl das Krabbeln lernten. Besonders pikant: Heinrich Nordhoff, damals technischer Berater bei Opel, war nun Vorstandsvorsitzender von VW und der Marketingslogan „Opel der Zuverlässige“ diente jetzt als Vorlage für Volkswagens „Er läuft und läuft und läuft…“. Für die Väter der zweiten Kadett-Generation, intern Kadett A genannt, nur Ansporn, erneut nach der Krone der Kompaktklasse zu greifen.

So lief der kantig gezeichnete Opel mit neu konstruiertem, drehfreudigem 1,0-Liter-Vierzylinder in einem eigens errichteten Werk in der vom Strukturwandel getroffenen Bergbauregion Bochum vom Band. Als einer der ersten Kleinen präsentierte sich der Kadett in großer Karosserievielfalt: Die klassische Limousine, das Coupé, der „Caravan“ und der Lieferwagen „Caravan Combi“ waren Vorboten einer neuen Ära, die drei Jahre später beim Kadett „B“ bereits eine wahre Flut an Varianten hervorbrachte. Nicht nur das, der Kadett Caravan war außerdem einer der ersten kompakten Kombis und zusammen mit dem größeren Rekord Caravan so erfolgreich, dass Mitte der 1960er Jahre jeder zweite in Deutschland verkaufte Kombi ein Opel war. Rund 650.000 Kadett der Serie A produzierte Opel insgesamt bis 1965. Viel für einen Neuanfang in der Kompaktklasse und doch wenig im Vergleich zum Käfer.

Die Jagd auf die Wolfsburger Volkswagen eröffnet hatte eine Direktive aus Detroit, die Opel-Chefentwickler Karl Stief im Jahr 1957 erhielt. In aller Heimlichkeit wurde ein deutscher Käfer-Killer entwickelt. Ein europäischer Kleinwagen, der sich vom amerikanischen Käfer-Rivalen, dem Chevrolet Corvair, in jeder Hinsicht distanzierte. Kein Corvair-Design mit umlaufender Karosseriekante wie beim NSU Prinz und auch kein Heckmotor. Dafür klassische Kanten und klare Bauhaus-Linien von 3,92 Meter Länge sowie ein konventionelles Antriebslayout, also Motor vorn und angetriebene Hinterräder. Alles nach dem Motto „Keine Experimente“, so wie es der Zeitgeist der Ära unter Bundeskanzler Konrad Adenauer bevorzugte. Innovativ war dafür der neu entwickelte, drehfreudige und überquadratische Kurzhub-Benziner (Bohrung/Hub 72/61 mm). Der 29 kW/40 PS oder optional 35 kW/48 PS leistende 1,0-Liter-Vierzylinder beschleunigte den gerade einmal 670 Kilogramm wiegenden Kadett auf fast sportliche Fahrleistungen, die denen des größeren Rekord kaum nachstanden. Gekoppelt wurde der Motor an ein gleichfalls neues, bereits vollsynchronisiertes Viergang-Getriebe mit sportiver Knüppelschaltung statt konservativem Lenkradschalthebel. Zum Vergleich: Sogar die Fahrer des Rekord mussten sich bis 1970 in der Basisversion mit drei Gängen bescheiden.

Der Kadett sollte „Jung und voll Schwung“ sein, wie die Werbung zum Marktstart verkündete. Und gleichzeitig dem damals noch untadeligen Ruf hoher Zuverlässigkeit aller Opel-Modelle Ehre machen. „Opel Kadett – kurz gesagt O.K.“ lautete denn auch das selbstbewusste Motto einer Anzeigenkampagne zur Markteinführung. Immerhin hatte Opel mit 30 Erlkönigen über 1,5 Millionen Testkilometer auf Prüfgeländen bei Rüsselsheim und Milford (Michigan, USA), aber auch am Polarkreis zurückgelegt. Insgesamt 50 Millionen Mark, eine damals gigantische Summe, ließ sich GM die Entwicklung dieses Kleinwagens kosten, für den sogar ein neues Werk errichtet werden musste. Die Rüsselsheimer Kapazitäten waren durch die Bestseller Rekord und Kapitän längst erschöpft, hinzu kam der akute Arbeitskräftemangel. Nicht so im vom Strukturwandel betroffenen Ruhrgebiet, wo ehemalige Kumpel auf Umschulungen warteten und Bergbaubrachen neuen Nutzungen zugeführt wurden.

Die 1960 erfolgte Grundsteinlegung in Bochum gab der Öffentlichkeit und auch der Konkurrenz erste Hinweise auf eine neue Kleinwagen-Modellreihe im Zeichen des Blitzes. Die Details blieben allerdings weiterhin geheim bis kurz vor der Pressepräsentation des Kadett im August 1962. Vielleicht lag es an diesem Überraschungsmoment, dass der Opel-Frischling im Kleinwagenrevier deutlich lautstarker gefeiert wurde als der fast parallel vorgestellte Ford 12M mit Frontantrieb. „Fanfarenstoß in Richtung Wolfsburg!“ lauteten die dicksten Schlagzeilen zum Kadett. „Eigene neue Produktionsstätte macht entsprechende Stückzahlen und volkstümlich knapp kalkulierten Preis möglich.“ Hatte mancher Kritiker einen verkleinerten Rekord erwartet – immerhin diente seit 1960 eine ausgelaufene Rekord-Generation mit der Typenbezeichnung 1200 als Einstiegsmodell ins Opel-Programm – überraschte der erste Nachkriegs-Kadett jetzt mit völliger Eigenständigkeit. Auch amerikanische Einflüsse waren nicht erkennbar, anders als beim Ford 12M mit Frontantrieb, der ursprünglich als Cardinal die USA erobern sollte. Die Kunden dankten es dem klar konturierten Kleinwagen aus der ehemaligen Zechenstadt Bochum mit einem Bestelleingang, der anfänglich die Kapazitäten des Werks weit überstieg.

Lieferzeiten von fünf Monaten wurden die Regel. Kein Wunder: Mit einem Basispreis von 5.075 Mark kostete der Kadett nur 95 Mark mehr als der VW 1200 Export, bot aber dennoch mehr Kofferraum, Komfort und Kraft. „Geht ab wie die Feuerwehr“ oder „Gang, Gas – vorbei“ schrieben die Opel-Werber. Immerhin belegte der Kadett sogar bei der Rallye Monte Carlo den dritten Platz in der GT-Klasse. Bei der legendären Langstreckenrallye Tour d’ Europe war die zweitürige Limousine von 1963 bis 1965 sogar beständig auf Sieg abonniert. Heinrich Nordhoffs Werbetexter berührte das nicht: „Der schnellste Käfer der Welt“, konterte VW die Tempo-Offensive der Konkurrenz. Ungeschlagene Sieger blieben die Volkswagen in ihrer Klassenlosigkeit. Mit dem Käfer fuhr der Arbeiter zum Fußballstadion, während der Direktor seinen VW vor der Oper einparkte. Dagegen verkörperte der Kadett A den bezahlbaren Traum vom Kleinwagen für aufstrebende Angestellte, die auf Weißwandreifen ins Wochenende fahren wollten.

Zum Absatzmillionär wurde deshalb erst der noch variantenreichere Kadett B, der schon 1965 in Produktion ging und wie der Vorgänger unter dem Markennamen Buick sogar in den USA verkauft wurde. Viel wichtiger war damals ein Königsmord: Der Kadett B stieß den Käfer vom Thron der Zulassungsstatistik. Ein vorübergehender Erfolg. Heute ist der Käfer der King unter den H-Kennzeichen-Dekorierten, der Kadett A dagegen selten wie eine blaue Mauritius.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Autodrom Archiv, Opel, SPS

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