
Seit 1999 ist Steven Heine als Schiedsrichter unterwegs, doch die Do-or-Die-Spiele kann er an einer Hand abzählen: Ein Finale im Landespokal. Ein Endspiel bei „Jugend trainiert für Olympia“. Ein Relegationsspiel der 1. Frauen-Bundesliga. Ein Halbfinale beim Final4 um den DHB-Pokal der Frauen 2023. Solche Partien, in denen es um alles oder nichts geht, die schon alleine von der Spannung der Ausgangslage leben und deren Ergebnis zu einer unmittelbaren Konsequenz führt, gibt es nicht oft – und sie sind für Mannschaften wie Schiedsrichter etwas ganz besonderes.

Und manchmal gibt es solche Do-or-Die-Spiele nicht nur im Pokal oder der Qualifikation bzw. Relegation, sondern auch im Ligabetrieb. Während der laufenden Saison spricht man gerne von Vier-Punkte-Spielen, die besonders wertvoll sind, doch was Heine/Standke am 28. April 2018 erlebten, war ein wachechtes Do-or-Die-Spiel im regulären Spielbetrieb. Es ist ein Einsatz, der sich den beiden Schiedsrichtern im Gedächtnis eingebrannt hat.
Das Duo aus dem Bundesligakader wurde damals in der 3. Liga West angesetzt, es war das entscheidende Match zwischen dem TuS Volmetal und dem OHV Aurich. Es ging für beide Kontrahenten um den Klassenerhalt – und der Verlierer, so viel war aufgrund der Tabellenkonstellation rechnerisch sicher, muss in die Abstiegsrunde, während sich der Sieger seinen Platz für die kommende Saison in der 3. Liga sichern würde. Das Hinspiel hatte der OHV mit einem Tor gewonnen (26:25) und sich damit die leicht bessere Ausgangslage für den direkten Vergleich (der in der Tabelle entscheidend sein könnte) gesichert.

Entsprechend der Bedeutung der Partie war die Atmosphäre extrem aufgeladen: Die kleine Halle in dem Hagener Stadtteil Volmetal – offiziell für rund 400 Zuschauer ausgelegt – war bis auf den letzten Platz gefüllt; „pickepackevoll“, wie Heine es nennt. Der Gastgeber hatte aus Paletten extra eine Stehplatztribüne gebaut, der Fanblock erschien komplett in schwarz-grün und mit Fahnen ausgestattet. Auch der OHV wurde von zahlreichen Gästefans begleitet.
Das Spiel erwies sich diesem Rahmen als würdig. „Es war absolut ehrlicher Handball, von Spannung und Emotionen geprägt“, beschreibt Heine. „Es ging hin und her und das Spiel war sehr intensiv, ohne unfair zu sein. Die Mannschaften haben einfach um buchstäblich jeden Ball und jeden Zentimeter gekämpft.“

Lange lag der OHV vorne, doch Volmetal blieb stets in Schlagdistanz. Aurich schien jedoch am Ende auf der Siegerstraße und hatte keine Minute vor dem Ende bei einer 20:19-Führung und eigenem Ballbesitz die Entscheidung in der Hand. „Der OHV hat aber zwei Angriffe weggegeben, unter anderem durch einen verworfenen Gegenstoß“, erinnert sich Heine. „Und mit der Schlusssirene wirft Volmetal das 21:20.“
Während Aurich unter Schock stand („die haben sich gefragt, wie sie das Ding noch aus der Hand geben konnten“) stürmten die Volmetaler Anhänger das Spielfeld und feierten ausgelassen. In der Menschenmenge wurden Heine und Standke getrennt; erst in der Kabine trafen sich die beiden Schiedsrichter wieder. „Trotz all den Emotionen und der dramatischen Schlussphase“, erinnert sich Heine, „wollte nach dem Spiel keiner etwas von uns. Volmetal hat gejubelt, Aurich war einfach nur geschockt.“
Obwohl Heine und Standke zu jenem Zeitpunkt bereits in der 2. Bundesliga Männer und 1. Bundesliga Frauen pfiffen, „war es eins der prägenden Spiele in unserer Karriere“, betont Heine. „Dass es von der Liga her ‚niedriger’ war, hat absolut keine Rolle gespielt. Alle in der Halle wussten, worum es geht und entsprechend ernst haben wir diese Aufgabe genommen. Das ist eins der Spiele, die wir nie vergessen werden.“
Fotos: Marko Wolf