In meinen Worten: Adrian und Jürgen Kinzel

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Die knapp 300 Unparteiischen eint die Leidenschaft für das Pfeifen, und doch bringt jeder seine eigenen Erfahrung, seine eigenen Antrieb, seine eigene Geschichte mit. In der Interviewserie „In meinen Worten“ widmet sich ein Unparteiischer - oder auch ein Schiedsrichter-Team - einem speziellen Thema. In diesem Monat sprechen Erstliga-Schiedsrichter Adrian Kinzel und sein Vater Jürgen Kinzel über ihr doppeltes Karriereende und ein ganz besonderes Spiel zum Abschluss.

Adrian, Jürgen, ihr beide habt vor wenigen Wochen eure Karriere beendet – Adrian nach zwölf Jahren in der 1. Bundesliga mit deinem Gespannpartner Sebastian Grobe, Jürgen nach insgesamt 50 Jahren an der Pfeife. Warum habt ihr euch jeweils dafür entschieden? 

Adrian Kinzel: 

Es ist für Basti (Gespannpartner Sebastian Grobe, Anm. d. Red.) und mich der richtige Moment. Wir hätten sicherlich noch weitermachen können, aber zwei anspruchsvolle Jobs, unsere Familien und das Pfeifen nicht nur unter einen Hut zu bringen, sondern auch allen Seiten gerecht zu werden, ist extrem komplex und kräftezehrend. Wir durften in den letzten Jahren so manches Topspiel pfeifen und haben dieses Jahr eine unsere besten Serien gepfiffen – und das macht es zum richtigen Moment, bevor es eines Tages nicht mehr funktioniert und wir abtreten müssen, weil wir die Leistung nicht mehr bringen. 

Jürgen Kinzel: 

Ich muss sagen: Nach 50 Jahren muss auch mal Schluss sein (lacht). Die Spiele werden immer schneller, da muss man dem Alter Tribut zollen. Ich habe aber auch genug anderen Ehrenämter und werde dem Handball weiter zur Verfügung stehen. 

Adrian, wie hast du den letzten Einsatz von Sebastian und dir in der 1. Bundesliga erlebt? Es ging für euch nach Mannheim, zum Spiel Rhein-Neckar Löwen gegen SC Magdeburg. 

Adrian Kinzel: 

Es war ein hochemotionaler Abend. Basti und ich wollten alles ganz bewusst genießen. Ich bin ganz ehrlich: Als wir in der Schiedsrichter-Kabine angekommen sind, hat es nicht lange gedauert, bis das erste Mal Tränen geflossen sind. Das letzte Mal zum Warmmachen gehen, das letzte Mal das Headset einschalten, das letzte Mal auf das Spielfeld gehen: Das sind ganz spezielle Momente gewesen.

Mit welchem Gefühlt blickst du jetzt auf euer Karriereende? 

Adrian Kinzel:

Bei der Anreise nach Mannheim habe ich im Auto gefragt, was überwiegt: Vorfreude oder Wehmut? Basti hat gesagt: Es ist eine Kombination, aber auch eine gewisse Leichtigkeit. Wir haben das Pfeifen mit ganz viel Liebe und Leidenschaft zum Sport getan, aber ich freue mich jetzt riesig auf die Zeit mit der Familie. 

Apropos Familie: Jürgen, dein letztes Spiel hast du gemeinsam mit deinem Sohn geleitet. Wie hast du das erlebt? 

Jürgen Kinzel: 

Es war ein tolles Gefühl, dass ich mein letztes Spiel mit meinem Sohn pfeifen konnte – auch, weil ich sein allererstes Spiel mit ihm zusammengepfiffen habe. Ich war damals Schiedsrichteransetzer im Kreis Salzgitter und habe eine Ansetzung zurückgekriegt. Statt lange herumzutelefonieren, habe ich mir Adrian geschnappt, der bald seinen Schiedsrichterschein machen wollte. Es war ein Herrenspiel und er frage mich: Meinst du wirklich? Ich habe gesagt: Klar, du bist groß genug, du wirst dich durchsetzen!

Adrian Kinzel: 

Mein Vater hat dann viel mit meinem Bruder gepfiffen, aber die letzten Jahre auch immer gesagt: Ein Spiel möchte ich noch einmal mit dir pfeifen! Und da mein Bruder aufgrund eines schweren Unfalls das letzte Spiel meines Vaters nicht mit ihm pfeifen konnte, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, meinem Vater diesen Gefallen zu tun. 

Ich habe Jutta (Jutta Ehrmann-Wolf, Leiterin des Schiedsrichterwesens im Deutschen Handballbundes, Anm. d. Red.) angerufen und zu ihr gesagt: Vom Prinzip her kannst du nein sagen, weil du meine Chefin bist, aber ich würde da gerne zu einem Spiel in der Regionsliga Frauen… (schmunzelt). Am Vorabend haben Basti und ich noch Gummersbach gegen Wetzlar gepfiffen und dann stehe ich da auf einmal in einer völlig anderen Halle… 

Jürgen Kinzel:

Ich fand es leicht verrückt (lacht). Adrian fragte mich vorher, wann wir uns treffen und ich sage: So eine halbe Stunde vorher reicht. Er nur: Was? Wann ist denn dann die technische Besprechung? Und ich meinte nur: So etwas gibt es bei uns nicht. 

Adrian Kinzel: 

Es gab auch keine Schiedsrichterkabine – wir mussten warten, dass die Mannschaft raus war. Für mich war das ein echtes „Back to the roots“-Erlebnis, aber es war wirklich lustig und hat riesig Spaß gemacht. (lacht).

Jürgen Kinzel:

Und du musstest die Schiedsrichterkarte selbst ausfüllen… 

Adrian Kinzel:  

Das mache ich sonst auch, aber ich hätte die Tore mitschreiben müssen! Das hat nicht funktioniert (lacht). 

Jürgen Kinzel:

Es war aber auch ein richtig schönes Spiel. Beide Mannschaften haben bis zuletzt alles gegeben. Wir hatten erst gedacht, dass es ein klares Spiel für die Gäste wird, sie hatten das Hinspiel deutlich gewonnen, aber es lief genau andersherum. Und hinterher haben alle gesagt, dass es eine ganz besondere Sache war, denn sie werden es nie wieder erleben, von einem Bundesligaschiedsrichter gepfiffen zu werden. Das war für alle ein Highlight. 

Wie lief es denn auf dem Feld zwischen Vater und Sohn? 

Adrian Kinzel:  

Es lief gut, wir hatten ein blindes Verständnis. Für mich war es ohne Headset ungewohnt. Ich hatte das meinem Vater vorgeschlagen, aber er sagte, das würde hier keiner – und er auch nicht – verkraften. Wir haben also die altbewährten Handzeichen ausgegraben, um uns abzustimmen, wann wir den Arm heben und die Position wechseln. 

Jürgen Kinzel:

Es gab nur eine Situation, wo du andersherum gezeigt hast als ich. Da lachte das Publikum, weil ich sagte: „Schluss jetzt, wir spielen in die Richtung weiter.“ 

Adrian Kinzel:  

Stimmt, da kann ich nur sagen: Er war halt Feldschiedsrichter – und wollte kein Timeout, um das zu besprechen. Mein Vater hat sich einfach durchgesetzt, ich hatte keine Chance

Jürgen Kinzel:

50 Jahre Erfahrung zählen da mehr (lacht).

Es gibt gerade im Amateurhandball viele Schiedsrichter, die schnell wieder aufhören. Wie hast du die 50 Jahre durchgehalten? 

Jürgen Kinzel: 

Der Handballsport hat mir sehr viel gegeben und ich wusste immer, dass ich dem Handballsport viel zurückgeben möchte. Ans Aufhören habe ich nie gedacht. Ich war als Spieler immer froh, wenn Schiedsrichter da waren und ich war froh, dass ich einen Übungsleiter hatte, der Training gibt. Also habe ich dann teilweise drei Mannschaften trainiert, parallel zur Pfeiferei und dem eigenen Spielen – und auch die Kinder haben von Anfang an viele Hallen kennengelernt (lacht). Es hat immer Spaß gemacht. Und in den letzten Jahren wusste ich: Ich will die 50 Jahre noch vollmachen.

Was waren für dich das Highlight in deiner Karriere? 

Jürgen Kinzel:

Dass ich mit all meinen Kindern als Schiedsrichter auf der Platte stand. Adrian, Pascal und Kira haben alle den Schiedsrichterschein gemacht. Auch meine Frau hat gepfiffen. Als wir uns kennenlernten, war ich Spieler, Trainer und Schiedsrichter und sie fragte irgendwann, ob ich das so weitermachen wolle. Ich habe ganz klar gesagt: Ja, da ändert sich nichts. Nach zwei Jahren hat sie dann auch ihren Schein gemacht und gesagt: „Dann sehe ich dich öfter.“ Wir haben dann auch immer wieder mal zusammen gepfiffen, das war richtig schön. Wir sind eben eine handballverrückte Familie.

Adrian Kinzel:   

Ich ziehe persönlich meinen Hut – nicht nur vor den 50 Jahren als Schiedsrichter, die mein Vater auf dem Buckel hat, sondern vor alle, die an der Basis jedes Wochenende die Pfeife in die Hand nehmen. Ohne Menschen wie meinen Vater und all die anderen Basisschiedsrichter gäbe es den Handball in der Breite nicht mehr. Denn wenn keiner bereit ist, die Spiele zu leiten, gibt es keinen Spielbetrieb. 

Adrian, wie hat dein Vater als Schiedsrichter deine Karriere begleitet?

Adrian Kinzel:   

Mein Vater und Bastis Vater sind damals auf die Schnapsidee gekommen, Basti und mich zusammen pfeifen zu lassen – und der Rest ist Geschichte. Mein Vater hat jedes Spiel im Fernsehen gesehen und wenn er es nicht live gucken konnte, hat er es aufgenommen und in der Nacht geguckt. Dann hat er auf der Rückfahrt angerufen, sobald er durch war. Das ist zu einem Ritual geworden, es war immer das erste Feedback. Das war wichtig für uns. Am Anfang gab es natürlich noch viele Verbesserungen, aber man hat die Entwicklung gemerkt (lacht). Es war für uns das größte Lob, wenn er wenig zu kritisieren hatte. 

Wie stolz bist du auf deinen Vater? 

Adrian Kinzel:

Was er den Handball zurückgegeben hat, erfüllt mich mit unheimlich viel Stolz. Diese Leidenschaft, diese Passion für das Ehrenamt, hat uns ganz viel gezeigt, worauf es im Sport ankommt. Ich glaube, er hat in vielen Momenten gar nicht wahrgenommen, wie viel Einfluss er auf mich hatte. Ich wollte dieses letzte Spiel unbedingt mit ihm pfeifen, das war eine Selbstverständlichkeit, weil ich ihm einfach unglaublich dankbar bin.

War es ein würdiger Abschluss? 

Jürgen Kinzel: 

Es war ein absolut würdiger Abschluss von der Schiedsrichterei! Es war auch schön, dass die Region mir die Goldene Ehrennadel überreicht hat –  und gleich einen neuen Job für mich hatte (lacht). Ich werde Koordinator der Schiedsrichterbeobachter. Sie haben gesagt: Jetzt hast ja nicht mehr so viel in den Hallen zu tun, also kannst du das doch gut von zu Hause machen. Es wird aber auch schön, wenn wir einfach die Enkelkinder besuchen können, weil der Kalender nicht mehr so voll ist. Das kann man sehr viel einfacher regeln und nicht mehr auf zwei Ansetzungspläne achten. 

Adrian Kinzel:

Da freuen wir uns auch sehr drauf. Es klingt vielleicht banal, aber gemeinsame Wochenenden waren rar gesäht, denn wir wohnen 300 Kilometer entfernt und ich war ja häufig weg. 

Jürgen Kinzel: 

Genau, entweder musstest du pfeifen oder ich. Ich bereue dennoch keine Minute. Der Sport hat mir viel gegeben und mich menschlich unheimlich vorangebracht. Ich habe es nicht gemacht, weil es 20 Euro Aufwandsentschädigung gab, das ist ein Witz. Es geht um die Freude haben. Den Spaß habe ich immer noch und werde ihn hoffentlich noch viele, viele Jahre haben – wenn auch jetzt nicht mehr beim Pfeifen.

Fotocredit: privat

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