Meine Geschichte – Marc Fasthoff: Mut zur Veränderung 

Ob Titelkampf oder Kellerduell in der LIQUI MOLY HBL, ob Spitzenspiel oder Abstiegsthriller in der Handball Bundesliga Frauen, ob ein Nachbarschaftsderby in der 3. Liga oder die Finalrunde der Deutschen Jugend-Meisterschaft: Seit 2020 können die Schiedsrichter*innen des Deutschen Handballbundes (DHB) bei ihren Einsätzen auf die Unterstützung der KÜS bauen. Jede*r von ihnen investiert viel Zeit und Herzblut in die große Leidenschaft - und das oft auch noch nach der aktiven Karriere. Der ehemalige Spitzen-Schiedsrichter Marc Fasthoff ist seit Sommer 2023 Leiter Organisation im Schiedsrichterwesen des Deutschen Handballbundes - und das hier ist seine Geschichte.
Halberstadt, 30. Juli 2023: DHB – 23/24 – Schiedsrichter Lehrgang Elitekader

Im Spätherbst 2011 stand die Schiedsrichter-Karriere von Marc Fasthoff und Gespannpartner Peter Behrens auf der Kippe. Wenige Monate zuvor war das Duo noch – für alle völlig überraschend, doch dazu später mehr – in den Elite-Anschlusskader des Deutschen Handballbundes aufgestiegen und nun hatten die beiden Unparteiischen zu kämpfen. Sie kämpften mit sich, mit dem unglaublichen Druck, mit den Spielen. „Wir hatten uns unseren Traum erfüllt, mit Headset pfeifen zu dürfen, aber unser im Bundesligakader erprobtes System hat einfach nicht richtig funktioniert“, erinnert sich Fasthoff, denn gerade in der 1. Handball Bundesliga der Frauen „bekamen wir kein Bein an den Boden“. 

Und so kam der besagte Abend, an dem die Karriere (kurz) auf der Kippe stand: Nach einem Spiel in der 1. Frauen-Bundesliga saßen die beiden Schiedsrichter in nächtlicher Dunkelheit dreieinhalb Stunden bei Behrens vor der Haustür im Auto und sprachen darüber, wie es weitergehen soll. „Der Druck auf uns“, beschreibt Fasthoff, „wurde so hoch, er wurde einfach immer größer. Wir haben offen darüber gesprochen, ob wir aufhören oder zumindest zu unserem Schiedsrichterwart gehen und sagen: Wir würden gerne wieder im Bundesligakader pfeifen, das können wir wenigstens.“ 

Dieses Gespräch im Auto („ich weiß nicht, warum wir nicht einfach reingegangen sind.“) war im Rückblick einer der entscheidenden Punkte in ihrer Karriere. Denn statt des einfachen Wegs „haben wir uns gesagt: Wir ziehen das jetzt durch! Wir geben alles und sind bereit, uns zu verändern“, sagt Fasthoff. Auf dem Halbzeitlehrgang wenige Wochen später fand sich das Gespann aus Nordrhein-Westfalen dennoch auf dem letzten Platz des Kaders wieder, mit weitem Abstand auf die Kollegen. „Das war hart, aber wir haben nicht aufgegeben“, sagt Fasthoff. Sie suchten den Rat der Verantwortlichen und setzten sich gezielt mit ihrer Schwäche bei Frauen-Spielen auseinander. „Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, warum wir auf dem Spielfeld nicht klarkommen und was wir anders machen müssen“, erinnert sich Fasthoff. 

Und die Arbeit zahlte sich aus: In der zweiten Saisonhälfte gelang der Sprung ans rettende Ufer. Behrens/Fasthoff gingen jedoch nicht nur dem Abstieg in den Bundesligakader aus dem Weg: Ein Jahr später folgte sogar der Aufstieg in den Elitekader. „Wenn du dich in diesen hohen Kadern verbessern willst, wenn du weiter aufsteigen willst, musst du dich in deiner Persönlichkeit verändern“, beschreibt Fasthoff. „Du musst den Mut haben, dich zu verändern. Bei uns hat es funktioniert – und wir haben den Schritt gemacht, den wir nie erwartet hätten.“ Im Alter von 40 Jahren war Fasthoff plötzlich im höchsten Kader des Deutschen Handballbundes angekommen. 

Als der Neusser 14 Jahre zuvor seine Schiedsrichterausbildung absolvierte, war damit nicht zu rechnen, denn eigentlich wollte Fasthoff gar nicht pfeifen. Der 26-Jährige war damals Student an der Sporthochschule in Köln und zugleich Trainer – und der Besuch des Schiedsrichterlehrgangs eigentlich eine erzieherische Maßnahme mit seiner C-Jugend. „Die Jungs waren so undiszipliniert, dass ich ihnen irgendwann im Training gesagt habe: Ihr pfeift euch im Abschlussspiel ab jetzt selbst, ich habe da keinen Bock mehr drauf“, erinnert sich Fasthoff. Und damit das auch funktionieren würde, verdonnerte er sein Team zur besagten Schiedsrichterausbildung. 

Drei Jahre später verletzte sich einer seiner damaligen Spieler – inzwischen in der A-Jugend angekommen – im letzten Saisonspiel schwer; er musste operiert werden. „Er war total geknickt“, erinnert sich Fasthoff. „Ich habe damals am Krankenbett zu ihm gesagt: Pass auf, wenn du nicht mehr Handball spielen kannst, dann pfeifen wir eben zusammen.“ 

Gesagt, getan: Gemeinsam mit seinem Spieler Dominic Nisius, den seine Knieverletzung tatsächlich zum Aufhören zwang, startete Fasthoff die Schiedsrichterkarriere. Was folgte, war ein rasanter Aufstieg. Das Duo sprang von Förderkader und Förderkader und kam innerhalb weniger Jahre in der Regionalliga – der damaligen 3. Liga – an. Dafür gab der B-Lizenz-Inhaber sein Engagement als Trainer auf. „Das Pfeifen hat mich irgendwann mehr fasziniert als der Trainerjob“, erinnert Fasthoff sich. Die Ambitionen als Spieler waren zu diesem Zeitpunkt schon längst ad acta gelegt („als Torhüter hast du mit 1,72 Meter nur eine begrenzte Chance.“). 

Nach zwei Jahren in der Regionalliga musste Gespannpartner Nisius aufgrund seiner Knieverletzung jedoch auch das Pfeifen aufgeben; es ging einfach nicht mehr. Nach einer Saison als Springer mit verschiedenen Partnern gab ein Anruf von Peter Behrens der Schiedsrichterlaufbahn von Fasthoff eine neue Richtung. Die beiden Regionalligareferees hatten sich im Sommer zuvor auf einem Vorbereitungsturnier kennengelernt („wir haben uns von Anfang an gut verstanden, es war ein sehr lustiges Turnier.“) und als Behrens nun ebenfalls einen neuen Teampartner brauchte, fiel ihm daher Fasthoff ein. „Es war ein reiner Zufall, aber im Nachhinein eine glückliche Fügung.“ 

Das neu zusammengestellte Duo durfte aufgrund der Erfahrung seiner beiden Einzelteile direkt in der Regionalliga an den Start gehen – und überzeugte. „Das Reglement verbot für neu zusammengesetzte Gespanne den Aufstieg im ersten Jahr und das hat uns gutgetan, weil wir ein druckfreies Jahr hatten, in dem wir uns keine Gedanken machen mussten“, erinnert sich Fasthoff. In der nächsten Saison gelang auf Anhieb der Schritt in den Bundesligakader. 

Der Sommer 2010 war jedoch der wohl ungünstige Zeitpunkt für diesen Aufstieg: Am Ende ihrer ersten Saison würde, die bis dato zweigleisige 2. Bundesliga zusammengelegt werden. Die Zahl der Mannschaften im Unterhaus würde sich halbieren – und ebenso (logischerweise) die Anzahl der Schiedsrichterteams im Bundesligakader, denn weniger Teams bedeuten weniger Spiele. „Jedes Gespann wusste: Du musst dich beweisen“, beschreibt Fasthoff die Stimmung.

Entsprechend hart war die Begrüßung auf dem Vorbereitungslehrgang. „Der damalige Verantwortliche hat zu uns gesagt: Es ist als Aufsteiger eigentlich unmöglich, unter die besten 20 Teams zu kommen. Er würde uns dennoch eine tolle Saison wünschen – und wenn er dann noch einmal ein Gespann bräuchte, könnten wir ja aushelfen“, erinnert sich Fasthoff. „Peter und ich dachten uns also: Komm, machen wir uns ein lustiges Jahr in der 2. Bundesliga und dann geht es wieder in der Regionalliga weiter.“ 

Beim Halbzeitlehrgang kam es jedoch anders: Als die Verantwortlichen die Tabelle des Kaders an die Wand warfen, standen Behrens/Fasthoff auf dem siebten Platz. „Unglaublich“, kommentierte der Verantwortliche. Am Ende des Jahres war das Duo sogar Dritter – und stieg nach nur einem Jahr im Bundesligakader zum vermeintlich ungünstigsten Zeitpunkt direkt in den Elite-Anschlusskader auf. „Wir konnten es selbst kaum glauben“, sagt Fasthoff heute. Er sei „stolz wie Oskar“ gewesen, als er sich bei einem Spezialisten das Ohrteil für das Headset anpassen ließ. 

Mit 38 Jahren war Fasthoff damals für einen Aufsteiger in den Anschlusskader – und damit die 1. Männer-Bundesliga – verhältnismäßig alt. „Es hat davor selten so alte Aufsteiger gegeben und danach erst recht nicht, denn die Zeiten haben sich geändert“, sagt er. Ihr Alter sei angesichts der wahnsinnig schnellen Aufstiegs – innerhalb von drei Jahren ging es aus der Regionalliga bis in die deutsche Beletage – ein Vorteil gewesen, glaubt Fasthoff heute. „Die Veränderungen, die junge Schiedsrichter parallel zu ihrem Aufstiegen in der Schiedsrichterkarriere im Berufs- und Privatleben durchmachen – sei es der Einstieg in den Job oder die Familiengründung – war bei uns abgeschlossen. Wir waren gesettled, unser Alltag gefestigt, wir hatten ein stabiles Umfeld. Diese Lebenserfahrung hat uns auf dem Spielfeld geholfen.“ 

Nach dem Abschluss seines Sportstudiums ging Fasthoff zu einem Sanitätshaus, wo er bis heute für Laufanalysen und Einlagentechnik zuständig ist. „Die Firma hat mir das Pfeifen ermöglicht, sie hat mir immer den Freiraum gegeben“, zeigt er sich dankbar. „Jetzt zahle ich das zurück.“ Dass er inzwischen nahezu ausschließlich im Außendienst direkt bei den Kunden tätig ist, hat er der Schiedsrichterei zu verdanken. „Wenn man mir das am Anfang gesagt hätte, hätte ich nur gelacht“, schmunzelt Fasthoff. „Ohne die persönliche Entwicklung, die ich beim Pfeifen durchgemacht habe, wäre das nicht möglich gewesen. Als Schiedsrichter bist du ja quasi ständig im „Außendienst“, das hat mir beruflich wahnsinnig geholfen.“ 

Parallel zum Beruf und der eigenen Schiedsrichterkarriere war Fasthoff zudem durchgehend im Schiedsrichterwesen des Landesverbandes engagiert. „Eine Hängematte“, nennt er das heute. „Wenn es in der Bundesliga für mich nicht lief, konnte ich mir Kraft im Amateurhandball holen. Das war für mich ein Teil meiner Problemlösung.“ Denn der eingangs beschriebene Kampf im Eliteanschlusskader war nicht der einzige Tiefpunkt für Behrens/Fasthoff. In ihrem zweiten Jahr im Elitekader traf es das Duo erneut. „In jedem Spitzenkader“, glaube Fasthoff, „gibt es einen Einschlag, aus dem man lernen muss.“

In ihrem Fall war das ein Spiel in der 1. Männer-Bundesliga, das im Herbst 2014 völlig aus dem Ruder lief – und das vor den Augen von Beobachterchef Thorsten Zacharias. „Er war völlig fassungslos“, sagt Fasthoff offen. „Es war wirklich ein Super-Gau, das hat richtig wehgetan.“ Die indiskutable Leistung katapultierte Behrens/Fasthoff auf den letzten Platz des Rankings. „Wir waren wieder im Abstiegskampf“, beschreibt Fasthoff, „und Abstiegskampf ist auch als Schiedsrichter nie leicht. Du setzt dich ständig selbst unter Druck und hinzu kommt der Druck von außen. Wir hatten wirklich richtig Druck.“ 

Ein Satz aus dem Beobachtungsgespräch mit Zacharias blieb dem Duo jedoch hängen. „Er hat uns gesagt: Ihr müsst euch überlegen, wie euer Plan B aussieht, denn Plan A hat nicht funktioniert“, erinnert sich Fasthoff. „Das saß, denn wir wussten keine Antwort. Wir hatten einen Weg, wie wir uns als Schiedsrichter sehen, aber manchmal ist das Spiel eben nicht so, wie du es als Schiedsrichter gerne hättest – und dann musst du hinterherkommen.“

Viel Zeit zum Tüfteln an Plan B blieb dem Duo nicht: Nur wenige Tage nach ihrem Blackout erhielten sie die Ansetzung für die Partie THW Kiel gegen den HSV Hamburg, zur damaligen Zeit ein echter Knaller. „So ein Spiel zu diesem Zeitpunkt: Wir mussten erst einmal durchatmen“, sagt Fasthoff. Die beiden Unparteiischen beschäftigten sich intensiv mit sich und dem Spiel – und schafften die Wende: Nach einer wackligen Anfangsphase war die Sicherheit zurück und es lief wieder – auch über das Spiel hinaus. Das Gespann Behrens/Fasthoff hatte neben Plan A auch seinen Plan B gefunden. „Danach“, sagt Fasthoff, „sind wir nie wieder in die Bredouille gekommen.“ 

Im Gegenteil: Es ging stetig bergauf und nach zwei Halbfinal-Nominierungen für das Final Four der Frauen 2015 und 2017 folgte 2018 die absolute Krönung: Behrens/Fasthoff wurden für ein Halbfinale beim REWE Final Four um den DHB-Pokal nominiert und kurz darauf sogar als „Schiedsrichter der Saison 2017/18“ ausgezeichnet – eine Ehrung, die davor und danach nur internationale Gespanne erhielten. Bis heute betrachtet Fasthoff diese Würdigung mit einer gewissen Ambivalenz. „Natürlich bin ich irgendwie stolz, aber Peter und ich haben uns nie so gesehen. Wir wollten – überspitzt gesagt – nie Stars sein, sondern wir waren ein bodenständiges Gespann und das war unsere Stärke“, beschreibt er. Getreu seinen widersprüchlichen Gefühlen hat Fasthoff den Pokal für die Auszeichnung zwar in seiner Wohnung aufgestellt, aber („darf ich das überhaupt sagen?“) versteckt im Badezimmer. 

Als „Schiedsrichter des Jahres“ durften Behrens/Fasthoff den PIXUM SuperCup 2018 leiten – es sollte ihr letzte Spiel auf einer großen Bühne sein. Ein halbes Jahr später beendete das Duo seine Karriere. Während Behrens sich sofort im Lehrstab des Deutschen Handballbundes engagierte, zog sich Fasthoff zurück und fokussierte sich auf seine Arbeit im Landesverband und Schiedsrichter-Coach. 2022 stieg er als Mitarbeiter im Bereich Entwicklung ein, ein Jahr später übernahm er die Leitung der Organisation. Seitdem laufen bei ihm nicht nur die organisatorischen Fäden des Schiedsrichterwesens – von der Ausstattung der Schiedsrichter über Details zur Fahrtkostenabrechnung bis zur Organisation der Lehrgänge – zusammen, sondern er kümmert sich auch um den Perspektivkader des Deutschen Handballbundes. 

Er genießt die Arbeit mit den Nachwuchsschiedsrichtern, die in der Jugendbundesliga zum Einsatz kommen – und will ihnen mit seiner eigenen Erfahrung helfen; auch, wenn sich das Pfeifen verändert hat. „Die Art und Weise von Peter und mir ist nicht mehr modern, sie passt nicht zu der Geschwindigkeit des Spiels“, sagt Fasthoff offen. „Aber ich kann den jungen Leuten andere Dinge für ihren Weg mitgeben. Ich sage ihnen: Wenn du nach oben willst, musst du mit negativen Erfahrungen arbeiten. Du wirst an irgendeiner Stelle einen richtigen Schlag kriegen – und dann hängt es davon ab, wie du damit umgehst, ob du bereit bist, wieder aufzustehen und dich mit dir selbst zu beschäftigen. Ob du den Mut zur Veränderung hast. Wenn du dich darauf einlässt, dann kannst du es schaffen, nach ganz oben zu kommen.“ Denn dass es so funktionieren kann, weiß keiner besser als Fasthoff selbst – spätestens seit einem Herbstabend vor zwölf Jahren. 

Steckbrief Marc Fasthoff   

Alter: 50 
Beruf: Diplom-Sportwissenschaftler, tätig in einem Sanitätshaus  
Familienstand: ledig 
Schiedsrichter von 1999 bis 2019 
Gespannpartner: Peter Behrens
Leiter Organisation im Schiedsrichterwesen des DHB seit 2023

Karriere-Highlights: 
Das erste Spiel mit Headset im Elite-Anschlusskader, der Aufstieg in den Elitekader, Nominierung für das Final Four der Frauen 2015 und 2017, Halbfinale beim REWE Final Four 2018, Schiedsrichter des Jahres 2017/18, PIXUM Super Cup 2018

Ein Traum, der (noch) offen ist: 
Ein Gespann, das unter mir in der Jugendbundesliga angefangen hat, sehr erfolgreich im Elitekader pfeifen zu sehen. 

Fotocredit: Marco Wolf / Ingrid Anderson-Jensen / Sanitätshaus Brockers GmbH

Scroll to Top