Die Corvette und die Stars, daran lässt sich amerikanische Gesellschaftsgeschichte ablesen. Präsident Joe Biden lebt seine Vorliebe für die Corvette übrigens seit langem aus. Nicht nur dass dem Demokraten eine grüne Corvette Sting Ray (C2) gehört, er ließ es sich schon als Vize-Präsident nicht nehmen, bei Meilensteinen in der Corvette-Historie zugegen zu sein. Etwa als General-Motors-CEO Mary Barra die Corvette Z06 des Modelljahres 2015 vorstellte, ein Leistungsträger, der den Corvette-Gesamtabsatz Richtung rekordverdächtiger Zwei-Millionen-Marke antrieb. Die Corvette wurde von Prince („Little Red Corvette“) oder Jean & Dean („Stingray“) in Popsongs gefeiert, in zahllosen Hollywood-Produktionen („Stingray“, „Corvette Summer“ etc.) propagiert, und ihrem furiosen Temperament konnten auch viele Helden aus Amerikas Luft- und Raumfahrthistorie nicht widerstehen. Überschall-Jet-Pionier Chuck Yeager pilotierte ebenso eine Corvette wie Alan Shepard, der 1961 als erster Amerikaner in den Weltraum flog, um danach in eine offene Corvette C1 zu steigen. Die Apollo-12-Astronauten Bean, Conrad und Gordon wechselten 1969 nach erfolgreicher Mondmission in eine Corvette Stingray 427 (C3) mit 7,0-Liter-Bigblock-V8. Derweil bekräftigen prominente Frauen wie Marylin Monroe, Künstlerin Shirley Bassey oder Model Kendall Jenner, dass die Corvette entgegen vieler Vorurteile nicht nur Männer fasziniert.
Dennoch gaben männliche Sportwagenfans und deren Vorliebe für britische Roadster im Jahr 1950 den Anstoß zur Entwicklung der Corvette. Warum fahren Hollywoodstars wie Clark Gable und Tyrone Power englische Jaguar und kein glitzerndes US-Produkt im Dreamcar-Style, fragte sich Harley J. Earl, jener Automobildesigner und GM-Manager, der seit 1927 die globale Karosseriemode via Designstudien, Pontonform und Heckflossen beeinflusste. Harley Earl stellte deshalb einen Jaguar XK 120 als Inspirationshilfe ins GM-Studio und ließ 1953 einen strahlend weißen, offenen Zweisitzer bauen. Das Projekt lief unter dem Codenamen „Opel“ – 15 Jahre später sollte die Corvette wiederum die Entwicklung des Opel GT initiieren. Als der seriennahe Prototyp am 17. Januar 1953 auf der General Motors Motorama Show in New York seine Weltpremiere zelebrierte, wurde der bis dahin sportlichste Chevrolet vom Publikum sofort begeistert gefeiert. Endlich hatte Amerika einen eigenen Sportwagen, noch dazu mit der Weltneuheit einer aufregend geformten Fiberglas-Karosserie für die Großserie.
Allerdings sollte ausgerechnet die Kunststoffkarosserie albtraumhafte Probleme bereiten, denn die im Sommer gestartete Produktion zeigte, wie aufwändig und kostspielig die Verarbeitung des glasfaserverstärkten Kunstharzes war. Hinzu kam ein müder 112 kW/152 PS leistender Chevy-Sechszylinder. Damit konnte die Corvette (C1) nicht punkten – zumal Erzrivale Ford nicht ruhte, ehe der zweisitzige Thunderbird mit 156 kW/212 PS starkem V8 das amerikanische Sportwagen-Verkaufsranking ab 1955 dominierte. In jenem Jahr verließen nur noch knapp 700 Corvette die Produktionsanlage, aber es nahte Rettung: Ingenieur Zora Arkus-Duntov, ein früherer Rennfahrer, zeigte, was der Corvette fehlte. Mit einem 145 kW/197 PS freisetzendem V8-Triebwerk beschleunigte Duntov die Corvette in Daytona auf eine Vmax von 150 Meilen (241 km/h), die Basis für einen erfolgreichen Neustart des CFK-Flitzers. Schon 1958 stiegen die Verkaufszahlen auf 9.000 Einheiten. Parallel dazu spendierte Chevrolet der Corvette mehr Chrom und futuristische Prototypen, die auf den Sting Ray (C2) von 1963 hinwiesen.
Für viele Fans ist diese Sting Ray die ultimative Corvette, besonders als Coupé mit geteiltem Rückfenster. Fast schon spektakulär waren die Leistungswerte der bereits im ersten Jahr über 21.000-mal verkauften Sting Ray. Offiziell setzten die bis zu 7,0-Liter großen V8 maximal 331 kW/450 PS frei, inoffiziell sollen aber bis zu 441 kW/600 PS möglich gewesen sein. Und mit 276 km/h erzielte die zweite Corvette-Generation 1967 einen Geschwindigkeitsrekord in Le Mans. Überhaupt Le Mans, die Indy 500 und andere Motorsport-Events: Hier zeigt die Corvette bis heute Flagge, nicht selten auf dem Podest.
1967, jenem Jahr von Flower Power und Hippies stand die Corvette (C3) in den Startlöchern, erstmals im zeitgeistigen „Coke-Bottle“-Design, das sich an der GM-Studie Mako Shark II orientierte. Noch im hohen Alter von elf Produktionsjahren war diese dritte Corvette für Überraschungen gut: 1979 wurden zum ersten Mal über 50.000 Zulassungen als Jahresergebnis erzielt. Auch die vierte Corvette blieb über einen außergewöhnlich langen Zeitraum aktuell. In zwölf Jahren wurde sie rund 360.000-mal gefertigt. Ihren 50. Geburtstag beging die Corvette bereits mit einem Sondermodell der fünften Generation. Dabei beeindruckte diese intern C5 genannte Corvette der Jahre 1997-2004 mehr mit außergewöhnlichen Fahrleistungen als mit PS-Power. So kratzten die schnellsten Corvette erstmals an der 300-km/h-Marke und der Sprint auf Tempo 100 gelang in 4,7 Sekunden. Noch besser beherrschten die Corvette C6 (2004 bis 2013) und C7 (2013 bis 2019) diese Disziplinen. Zum Aufschrei unter vielen Hard-Core-Vette-Fans kam es 2019: Chevrolet präsentierte die heute aktuelle Corvette (C8) mit Mittelmotor und ohne die ikonische, gigantische Motorhaube. Inzwischen ist das Feuer verraucht, und dieses amerikanische Speedsymbol steht neben Ferrari und Porsche auf Racetracks, vor Grand Hotels und in Sammlergaragen – künftig auch als E-Ray mit Hybridantrieb.
Fotos: Chevrolet