Leser fragen – Experten antworten: Pflicht zum Spurwechsel an Autobahnauffahrten?

Neulich hat mich auf der Autobahn ein Fahrzeug auf dem Beschleunigungsstreifen angehupt, weil ich auf der rechten Spur geblieben bin. Muss ich auf die linke Spur wechseln, um anderen das Einfädeln zu erleichtern?

Antwort von Thomas Schuster, KÜS: Mittlerweile kann man auf deutschen Autobahnen häufig erleben, wie Fahrzeuge vor und parallel zu Auffahrten von der rechten Spur spontan nach links wechseln. Damit wird auf dem Beschleunigungsstreifen befindlichen Fahrzeugen das Einfädeln erleichtert, zudem muss sich der Spurwechsler nicht ärgern, von einem einfahrenden und oftmals langsameren Fahrzeug ausbremst zu werden. Grundsätzlich besteht allerdings keineswegs eine Pflicht dazu, einfahrenden Verkehrsteilnehmern das Einfädeln per Spurwechsel nach links zu erleichtern. Wer sich auf dem Beschleunigungsstreifen befindet, sollte deshalb einen solchen Spurwechsel nicht erwarten oder gar einfordern. Oftmals wird die Situation am Beschleunigungsstreifen mit dem Prinzip des Reisverschlussverfahrens verwechselt. Doch selbst bei zähfließendem Verkehr und Stop-and-Go muss der Auffahrende dem Verkehr auf der Autobahn Vorfahrt gewähren, denn dieser ist in jedem Fall vorfahrtsberechtigt. Sollte sich keine passende Lücke mit ausreichend Sicherheitsabstand auftun, müssen Fahrzeuge auf dem Beschleunigungsstreifen deshalb nötigenfalls sogar halten und so lange warten, bis sich eine größere Lücke für das regelkonforme Einfahren mit ausreichend viel Sicherheitsabstand eröffnet.

Weil allerdings Fahrer auf der Autobahn auffahrenden Fahrzeugen häufig Platz per Spurwechsel machen, wird ein Verweilen auf der rechten Spur oftmals als unhöflich oder stur gewertet. Allerdings halten sich diese vermeintlich starrsinnigen Fahrer an das Rechtsfahrgebot auf der Autobahn und vermeiden dabei zudem eine Störung des Verkehrs auf den linken Spuren. Dieser wird durch viele spontane Spurwechsler oftmals stark ausgebremst. Bei hohem Verkehrsaufkommen kann das zum Beispiel Staus provozieren. Gelegentlich führt der kurzfristige Wechsel nach links zudem zu Auffahrunfällen, vor allem, wenn Fahrzeuge auf der linken Spur mit bedeutend höherer Geschwindigkeit unterwegs sind wie die Fahrzeuge auf der rechten Spur. Insofern liegt mitnichten ein Fehlverhalten vor, sollte man auf der rechten Spur verweilen. Sofern es für auffahrende Fahrzeuge für ein regelkonformes Einfädeln zu eng wird, können Fahrer auf der vorfahrtsberechtigten Spur statt per Spurwechsel durch leichtes Bremsen ein Einfädeln erleichtern. Eine solche Höflichkeits-Bremsung sollte allerdings nicht nachfolgende Autos behindern. Auch hier könnte es zu Auffahrunfällen kommen. Sollte die linke Spur hingegen leer sein, spricht natürlich nichts dagegen, alternativ auch per Spurwechsel Platz zu machen, sofern eine Gefährdung anderer ausgeschlossen werden kann. Vor allem langsamen Fahrzeugen wie schweren Lkw erleichtert man so das Einfädeln. Wobei es bei wenig Verkehr für einfahrende Kfz ohnehin kein Problem sein sollte, sich entspannt einzufädeln.

In jedem Fall bleibt das auffahrende Fahrzeug in der Pflicht. Wer sicher und regelkonform von der Einfädelspur auf die Autobahn wechseln will, sollte auf dem Beschleunigungsstreifen den Blinker setzen, den fließenden Verkehr über die Rückspiegel beobachten und bei ausreichender Länge der Möglichkeit zum Einfädeln kräftig beschleunigen. Dabei dürfen Fahrzeuge des fließenden Verkehrs sogar überholt werden. Erst wenn ausreichender Sicherheitsabstand besteht, wechselt man nach einem kurzen Schulterblick die Spur. Auf gar keinen Fall sollte man sich jedoch zwischen Fahrzeuge drängeln und damit eine Lücke erzwingen. Entsprechend ist es für einfahrende Fahrzeuge auch ratsam, sich mit einem Spurwechsel Zeit zu lassen und den Beschleunigungsstreifen in seiner gesamten Länge auszunutzen.

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