Opel: 60 Jahre Rekord P2

Das Wirtschaftswunder stürmte zu neuen Höhen und Opel galt weiterhin als automobiler Erfolgsausweis. Wer auf der beruflichen Karriereleiter nach oben kletterte, kaufte 1960 in aller Regel zuerst VW Käfer und dann Opel Rekord, das mit Abstand meistverkaufte Auto der Mittelklasse und die Nummer zwei der bundesdeutschen Zulassungscharts.

Opel kannte vor 60 Jahren nur ein Problem: zu kleine Produktionskapazitäten und zu wenig verfügbare Arbeitskräfte im Raum Rüsselsheim, weswegen das Werk für den geplanten Opel Kadett im strukturschwächeren Bochum gebaut werden sollte. Traumhafte Zeiten für die Marke mit dem Blitz also, zumal der Opel Kapitän damals sogar die Stuttgarter S-Klasse von Vorstandsparkplätzen verdrängte.

Klar, dass dieser Erfolg viele Konkurrenten auf den Plan rief und so musste sich der im Sommer 1960 vorgestellte Rekord P2 in völlig neuem Ornat zeigen, um weiter als König der Mittelklasse zu glänzen. Während Erzrivale Ford beim stromlinienförmigen Taunus 17M eine „Linie der Vernunft“ bewarb und neue Importerfolge wie Fiat 1500/1800 oder Peugeot 404 in Pininfarinas angesagter Trapezform mit markanten Heckflossen vorfuhren, wagte der Rekord P2 einen mutigen Tanz auf dem Trapez. Mixte Opel doch Designelemente der Golden Fifties mit sachlicher 60er-Jahre-Architektur zu einem allerdings kurzlebigen Cocktail, der für den Massengeschmack ähnlich unwiderstehlich war, wie die Reise nach Bella Italia: In nur zweieinhalb Jahren verkaufte Opel fast 800.000 Rekord P2.

1960, was für ein Jahrgang! Das neue Jahrzehnt schien fast alles neu zu machen: In den USA verlieren Straßenkreuzer ihre Chromflossen, der erst 43-jährige John F. Kennedy wird als jüngster US-Präsident zum Hoffnungsträger einer ganzen Generation und in Deutschland fordert der kaum ältere Willy Brandt, wenn auch vorerst erfolglos, den Kanzler des Wirtschaftswunders, Konrad Adenauer, heraus. Nie wurden in einem Jahr mehr junge Bundesbürger geboren (fast eine Million), das erste TV-Gerät, der Urlaub im Süden und das repräsentative Auto sind die angesagten Statussymbole. Und die Mode? Mary Quandt experimentierte bereits mit dem Minirock, aber die sogenannten Taillenbetonten Tulpen- oder Tropfenröcke ließen noch etwas vom Flair der Fifties ins neue Jahrzehnt wehen, genau wie die Wohnkultur Nierentische und Gelsenkirchener Barock zunehmend zum Sperrmüll der Zeitgeschichte schickte und lichte skandinavische Designs oder Nussbaum-Noblesse bevorzugte. Was das alles mit dem Opel Rekord P2 zu tun hat? Ganz einfach, der erste Opel für die 1960er Jahre traf auf geniale Weise diesen Zeitgeist und das weitaus besser als alle Konkurrenten, inklusive der vollkommen neuen, avantgardistischen Kölner „Badewanne“ Ford Taunus 17M und des großen Käfer-Bruders VW 1500 (Typ 3).

Tatsächlich nahm der Rekord P2 mit dem ersten Coupé der Baureihe, einem Kombi in frühem Lifestyle-Chic und mit kräftigem 1,7-Liter-„S“-Motor sogar die Käufer der sportiven Premium-Limousinen Borgward Isabella und BMW 1500/1600 ins Visier. Unter dem Motto „Aus Freude am Fahren“ bewarb BMW diese „Neue Klasse“, aber erst nachdem Opel den Slogan „Aus Freude am Luxus“ in den Köpfen der Mittelklasse-Käufer verankert hatte. Es war der repräsentative Kapitän, der nun auch den kompakteren Rekord mit Luxus auflud, angefangen vom zeitgeistigen „Leitfarben-Tacho“, dessen Leuchtband bis Tempo 50 in grün, bis 100 km/h orange und darüber rot leuchtete, bis hin zum Doppeltonhorn für lautstarke – und dennoch legale – Überholvorgänge auf inzwischen vollen Autobahnen, verchromten Liegesitzbeschlägen (statt Ruhesitzen) und dem lange ersehnten Viergang-Getriebe (statt Dreigang-Schaltung) im Rekord L.

„Revolution in Rüsselsheim“ kommentierte ein Fachjournalist das Design des Rekord P2, der aus der Reihe seiner Vorgänger und der konventionellen Trapez-Mittelklasse tanzte. Ganz wie der Detroiter GM-Jahrgang 1961 reduzierte die deutsche GM-Tochter Opel die großen Heckflossen zu winzigen Finnen und die weit um die Karosserie herumreichenden Front- und Heckscheiben mutierten zu einer neuen Panoramaverglasung (interner Typencode P2), die dank filigraner Dachsäulen noch mehr Fensterfläche bot, ohne beim Viertürer den Fondeinstieg zu beeinträchtigen. Stattdessen offerierte das neu designte Interieur bei unverändertem Radstand ein deutlich größeres Raumgefühl – ganz so wie in lichten Neubauwohnungen des jungen Jahrzehnts.

Farbenfroh wie die Mode der Swinging Sixties zeigte sich die Lackpalette des Rekord P2, die nicht nur einen farblich abgesetzten Dachpavillon umfasste, sondern nicht weniger als 28 unterschiedliche Farbkonfigurationen zur Wahl stellte, darunter erstmals edle Metallic-Töne. „Nach wie vor hält Opel an der konsequenten Konzentration auf wenige Grundtypen fest, verbindet diese aber mit einer Vielzahl an Varianten“, ließ Opel die Presse wissen. Tatsächlich gab es den Rekord P2 in einer damals sensationell großen Typenvielfalt. Während die zweitürigen Limousinen, Caravan-Kombis und die damals europaweit schnellsten Lieferwagen viel Raum zu konkurrenzlos kleinem Preis boten (wie beim Vorgänger ab 6.385 Mark) und vor allem Vielfahrern eine Zuverlässigkeit wie sonst nur der VW Käfer garantierten, lag es am Viertürer mit der Spitzenmotorisierung 1700 S (laut Werbung „60-PS-Spezialmotor“) gegen BMW oder Premium-Importe wie Peugeot 404 und Volvo Amazon anzutreten.

Damit nicht genug an hessischen Spezialitäten. Der Opel-GT-Slogan „Nur Fliegen ist schöner“ erschienen zwar erst Ende der 1960er Jahre, aber der erste Wegbereiter für schnelle Coupés mit dem Blitz blinkte 1961 auf. Vielleicht auch als Antwort auf den formal spektakulären Ford 17 M kam nun erstmals ein Opel Rekord Coupé nicht vom Karossier, sondern direkt ab Werk. Entwickelt wurde dieses frühe Großseriencoupé auf simple Art: Die zweitürige Limousine erhielt einen verkürzten, nach hinten abfallenden Dachpavillon und fertig war der „rasende Kofferraum“ – so der Spitzname für die eigenwilligen Kreationen mit überlangem Heck. Die Kunden waren dennoch zufrieden und freuten sich über den höheren Prestigewert des Coupés gegenüber der klassischen Limousine. Raritäten blieben dagegen die Rekord Cabriolets, die weiter bei den Karossiers Autenrieth und Deutsch entstanden und mit Preisen von bis zu 12.000 Mark fast doppelt so viel kosteten wie ein Rekord in Standardausführung. Sogar zum automobilen Helden auf afrikanischen Pisten hatte der Rekord das Talent: Als fast unzerstörbar solider Pick-up, designed und gebaut in Südafrika, kam der South-African-Opel zu Kultstatus.

Der Rekord P2 war die Nummer zwei auf dem Markt, direkt hinter dem Käfer und sogar noch weit vor dem 1962 lancierten Kadett, warum also folgte nach nur zweieinhalb Rekord-Jahren eine neue Generation? Opel antwortete 1963 mit einer Gegenfrage, die so amerikanisch ausfiel wie der nachfolgende Rekord A: „Gibt es eine Auto-Mode, die in Mode bleibt? Wir würden sagen: Nein.“  Aber der übernächste Rekord (C) zeigte dann doch, dass auch Opel-Modelle lange in Mode bleiben können.

Fotos: Opel

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