Porsche: 70 Jahre 356er

Heute ist es der elektrische Taycan, mit dessen Produktion Porsche am Stuttgarter Stammsitz ein neues Kapitel Werksgeschichte aufschlägt. Vor 70 Jahren symbolisierte die erste Neuwagenabholung eines Porsche 356 in Stuttgart-Zuffenhausen weit mehr: Der allererste deutsche Serien-Sportwagen der Nachkriegszeit stand für die Sehnsucht nach einem besseren Leben und den Aufbruch ins Wirtschaftswunder, das nach einer dunklen Dekade von Not und Zerstörung nicht nur die Massenmotorisierung für alle versprach, sondern auch Freude an schnellen Straßenrennern.

Natürlich konnten sich solche Pulsbeschleuniger nur Besserverdienende leisten: Den in Fischsilber lackierten ersten Porsche 356 übernahm ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Aber glamouröse Sportwagen im oft noch durch Trümmer tristen Straßenbild beflügelten den Traum vom ersten eigenen Auto. Das dann mit hoher Wahrscheinlichkeit als erschwinglicher Volkswagen Käfer vorfuhr, jenem globalen Bestseller, der vor dem Krieg von Ferdinand Porsche entwickelt worden war und der jetzt dem als Coupé und Cabriolet bestellbaren Porsche 356 die technischen Gene lieferte. Gerade diese Verwandtschaft mit dem Wolfsburger Krabbeltier sollte sich als entscheidender Vorteil erweisen, zumal der Vertrieb des Porsche über VW-Großhändler erfolgte. Und so gelang dem anfangs lediglich 29 kW/40 PS leistenden Porsche 356 Unglaubliches: Eine Großserie von fast 78.000 Einheiten und eine magnetische Anziehungskraft sogar auf Schöne und Reiche.

Es ging bergauf in den Golden Fifties und Großindustrielle, Filmstars oder Majestäten zeigten sich wie einst an mondänen Sehnsuchtsorten in der Schweiz, in Nizza, Monaco oder an der Amalfiküste. Unverzichtbares Accessoires der Hautevolee: Schnelle und luxuriöse Automobile, meist mit amerikanischen V8 oder italienischen V12 unter der Haube – und dazwischen wieselte plötzlich ein 3,87 Meter kleiner Flitzer der jungen Sportwagenmarke Porsche mit nachgeschärftem VW-Käfer-Vierzylinder. Vielleicht waren es die frühen Motorsporterfolge des Porsche 356 in Le Mans (1951), bei der Rallye Monte Carlo (1953), die zahllosen Meistertitel in US-Rennserien oder der Porsche-Triumph bei der traditionsreichen Targa Florio (1956), vielleicht auch die verblüffende, VW-ähnliche Alltagstauglichkeit der robusten Racer, jedenfalls zeigten sich im ersten Zuffenhausener sowohl Superreiche wie Aristoteles Onassis, als auch Hochadel wie Prinz Bertil von Schweden, Fürst Rainier III von Monaco mit Gracia Patricia oder coole Hollywood-Legenden wie Steve McQueen und James Dean. Nicht zu vergessen Rock- und Blues-Idole wie Janis Joplin in ihrem psychedelisch bunten Porsche 356 der Swinging Sixties.

Wie Ferdinand Porsches Sohn Ferry Porsche einmal erklärte, wollte er mit dem Typ 356 einen Sportwagen nach seinem persönlichen Geschmack bauen. Und sein Vater Ferdinand Porsche bestätigte ihn darin, alles richtig zu machen. Schließlich hatte er mit dem „Berlin-Rom-Sportwagen“ 1939 die Grundlage für die Idee eines Sportwagens mit dem Namen Porsche gelegt. Für das Design des Typs 356 zeichnete Erwin Komenda verantwortlich, der schon an den Formen des VW Käfers gearbeitet hatte. Realisiert wurden die ersten Porsche 356 ab 1948 in einer Manufaktur im österreichischen Gmünd. Nach rund 50 gebauten Porsche 356 ging es 1949 zurück nach Stuttgart-Zuffenhausen, wo allerdings vorläufig noch amerikanische Streitkräfte das Porsche-Stammwerk besetzten. Deshalb kam es zu einer Produktions-Kooperation mit der Stuttgarter Firma Reutter, die die Karosserien fertigte und 1950 begann auch die Montage in der sogenannten Sheddach-Halle, die heute Teil des Werks 2 ist.

Ein Sportwagen vom Konstruktionsbüro, das den Käfer hervorgebracht hatte, dafür bezahlten Enthusiasten 1950 bereitwillig 10.200 Mark – der Preis von gleich zwei Volkswagen oder drei Lloyd Kleinwagen. Trotzdem gab es bald mehr Bestellungen als Lieferkapazitäten, vor allem nachdem es im Herbst 1950 zur Kooperation zwischen Ferdinand Porsche und dem nordamerikanischen Sportwagenimporteur Max Hoffman kam. Fortan waren die USA wichtigster Exportmarkt. In Deutschland blieb der eigene Porsche zwar für die Allermeisten ewiger Traum (kein Wunder bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 280 Mark) und dennoch war der Typ 356 im Alltag fast omnipräsent. Das Fernsehen steckte in den Kinderschuhen und so war es das Kino, das dem rundlichen Porsche in rund 700 Filmen Platz gewährte als aufregender automobiler Verführer, dies in Heimatfilmen wie „Hubertusjagd“ oder das „Alte Försterhaus“, Sehnsuchtszielen wie „Komm mit zur blauen Adria“, Jugendklassikern à la „Pünktchen und Anton“ und Heinz-Erhardt-Komödien bis zu Krimis wie „Banditen der Autobahn“ und tempogeladenen Streifen wie „Roadracers“ oder „Rivalen am Steuer“. Auch auf dem Blech-Spielzeugmarkt brachten es 356 Coupés und Cabriolets zum Kultstatus.

Positives Image bescherten überdies Porsche-Modelle im Polizeidienst und das sogar international. So legte der Stuttgarter Sportwagenbauer noch 1966 – ein Jahr nach offiziellem Produktionsende – eigens eine Cabrio-Sonderserie auf für die niederländische Reichspolizei. Und im Deutschland der 1950er bescherten zur Weihnachtszeit im Konvoi vorfahrende Porsche die damals unentbehrlichen Verkehrspolizisten. Es waren eben andere Zeiten, in jeder Hinsicht. Während Sepp Herberger die bundesdeutsche Nationalmannschaft vorbereitete (den WM-Sieg 1954 wagte noch niemand zu erträumen), wurde der VFB Stuttgart 1950 deutscher Meister. Und der Stuttgarter Stürmer mit Nummer 356 wurde Autotesters Liebling, so sehr lobten Fachmedien die Heckmotorkonstruktion nicht nur wegen des „Gewinns aller Schönheitskonkurrenzen“, sondern auch wegen ihres „sicheren, extrem steifen Fahrwerks mit massivem Stahlblech-Kastenrahmen“.

Tatsächlich zählten die Unfallzahlen damals zu den Schreckensnachrichten. Über 6.300 Menschen starben 1950 auf deutschen Straßen bei nur einer halben Million zugelassener Pkw. Zum Vergleich: 2019 waren es halb so viele Verkehrstote – bei 47 Millionen registrierten Pkw. Sicherheit war Porsche wichtig und so bot der Hersteller im Modelljahr 1951 leistungsstarke Duplexbremsen. Vor allem differenzierten größere Motoren – ab 1952 ein 1,5-Liter – den Sportler noch nachdrücklicher vom Käfer. Mit jährlich bis zu 420 Rennsiegen war Porsche Mitte der 1950er Jahre auch in der Spitze des Sports angekommen und feierte dies mit einer kontinuierlichen Erweiterung und Pflege des Modellportfolios. Speedster, Spyder und später Convertible D, Hardtop sowie die bis 85 kW/115PS starken Carrera-Sportversionen rundeten das Programm ab.

Da war für jeden der richtige Renner dabei, befanden bis zum Herbst 1959 insgesamt 21.045 Käufer. Aber auch die Evolutionsstufen Carrera B (1959-1963) und Carrera C (1963-1965) ließen das Feuer lodern und das weit über das Debüt des Porsche 911 hinaus. Wie lange wohl die Spannung des jüngsten Stars aus Zuffenhausen, des Taycan in die Zukunft tragen wird?

Fotos: Porsche

Scroll to Top