Erfunden wurde das Drive-in-Konzept 1933 in den USA, wo es in den 50er- und 60er-Jahren für Millionen Jugendliche nicht zuletzt ungestörte Zweisamkeit abseits des puritanischen Elternhauses bedeutete. Auch die deutschen Teens und Twens wussten das bald zu schätzen — das erste Autokino der Bundesrepublik eröffnete 1960 in Frankfurt. 1978 schrieben Drafi Deutscher (als Jack Goldbird) und Peter Orloff dem jungen Dennie Christian „Autokino Samstag um halb zehn“ auf den Leib. Arrangeur war Stefan Klinkhammer, damals groß mit Boney M. im Geschäft. Die Cover-Rückseite verzeichnete fast 20 Adressen bundesweit, wo man in die Tat umsetzen konnte, was die Überschrift riet: Mach dir ein paar schöne Stunden im Autokino.
Doch der Stern der Pkw-Lichtspielhäuser begann hier wie dort bald zu sinken: Die großen Grundstücke am Stadtrand wurden versilbert und mit einträglicheren Immobilien bebaut, gleichzeitig machten Fernsehen und Videorecorder das Kinogeschäft allgemein schwieriger. Vielleicht noch wichtiger: Mit dem Verschwinden der Lenkradschaltung verschwand auch die durchgängige vordere Sitzbank aus dem Auto, was romantischen Treffen zunehmend den Raum nahm.
Anfang 2020 gab es in ganz Deutschland gerade noch eine Handvoll permanenter Autokinos. Hinzu kam ein Dutzend saisonaler Kfz-Lichtspiele, manche für wenige Monate, einige sogar nur an einzelnen Event-Tagen. Ein großes Geschäft war der Kinobetrieb bis vor wenigen Wochen nicht mehr. Die Zuschauerzahlen gingen seit Jahren zurück, längst waren die Betreiber auf Nebeneinnahmen angewiesen, etwa über Floh- und Automärkte auf dem Kinogelände.
Doch dann kam die Wende: Wer aktuell eine vorsichtige Zählung vornimmt, kommt deutschlandweit auf mehr als 70 solche Cinemas. Auf Messegeländen, Flughäfen und Großparkplätzen schauen Hunderte Pkw-Insassen aus ihren Fahrzeugen heraus auf riesige Projektions-Leinwände oder LED-Bildschirme. Neben aktuellen und älteren Kinofilmen hat sich mittlerweile auch eine weitere Art der Vorführung etabliert: In Düsseldorf etwa treten Popmusiker und Comedians auf der Autokinobühne am Fortuna-Stadion auf, während die Fans im Auto sitzen und feiern. Selbst Auto-Gottesdienste fanden in einigen Kinos schon statt.
Während normale Kinos jüngst wochenlang schließen mussten und müssen, durften Autokinos schon nach kurzer Zwangspause wieder öffnen. Einige Vorsichtsmaßnahmen sind nötig und werden von den Kommunen und Ländern streng überwacht. So sind die Karten in der Regel nicht mehr an einer Abendkasse, sondern ausschließlich online zu haben, das Aussteigen ist nur bei dringenden Bedürfnissen erlaubt und Essen sowie Getränke müssen selbst mitgebracht werden. Außerdem sind die Fenster geschlossen zu halten, Cabrios müssen das Verdeck aufziehen.
Die Kunden lassen sich von den leichten Unannehmlichkeiten nicht schrecken: Sie strömen in die Autokinos, deren Zahl immer noch weiter steigt. Den Boom bekommt mittlerweile auch die Bundesnetzagentur zu spüren. Mehr als 40 Radiofrequenzen für Autokinos hatte die Behörde Mitte April bereits neu freigegeben. Noch einmal die doppelte Zahl an Anträgen wartete auf Bearbeitung. Die Kinos nutzen die UKW-Technik, um die Tonspur des Films in die Autoradios ihrer Kunden zu übertragen – die Netzagentur muss sicherstellen, dass es dadurch nicht zu Störungen kommt.
Geradezu geballt sind die Autokinos zwischenzeitlich in Essen aufgetreten. Mit dem seit 1968 bestehenden „Drive In“-Autokino im Stadtteil Bergeborbeck war die Ruhrmetropole schon lange eines der Zentren in Deutschland. Mit dem Beginn des Lockdown explodierte die Nachfrage. Von „überdurchschnittlichen Zahlen“ berichtet Heiko Desch vom Betreiber DWJ, der bundesweit fünf Autokinos unterhält. Unter den Besuchern gab es seiner Einschätzung nach auch viele Neukunden, Karten waren trotz einer Kapazität von rund 1.000 Plätzen zwischenzeitlich kaum mehr zu bekommen.
Erleichterung brachten in der näheren Umgebung zwei Pop-up-Autokinos: Eine Marketingagentur und das Team des bundesweit renommierten Essener Premieren-Kinos Lichtburg eröffneten auf dem Gruga-Parkplatz in der City sowie auf dem Flughafen Mülheim/Kettwig am grünen Rand der Stadt gleich zwei temporäre „Motor Movie“-Autokinos. Beide mit Hunderten von Plätzen und LED-Wand statt Projektionsfläche, so dass auch tagsüber Vorstellungen möglich sind. Dort lohnt der Besuch dann auch für Familien mit kleineren Kindern, die eine Dunkelheits-Aufführung um 21 oder 22 Uhr nicht durchstehen würden. Bislang gab es rund 50 Vorstellungen mit 3.000 Autos und 6.400 Besuchern.
Das Filmegucken auf den LED-Bildschirmwänden klappt in der Praxis erstaunlich gut. Auch bei hellstem Sonnenschein ist das Bild klar und deutlich zu erkennen, wie ein Test-Besuch auf dem Feld des Luftschiff-Flughafens zeigt. Allerdings heizt sich das Auto schon bei eher frühlingshaften Temperaturen mit der Zeit stark auf, so dass man sich fragt, ob man im Sommer nur noch mit laufendem Motor und kühlender Klimaanlage schauen kann. Und noch eine weitere Einsicht kommt einem vor der LED-Leinwand: Man sollte sein Auto möglichst gut kennen. Denn gerade neuere Modelle sind häufig nicht unbedingt Autokino-freundlich konzipiert. DAB-Radios etwa sehen manchmal gar nicht mehr vor, dass man eine UKW-Frequenz noch von Hand eingibt. Wer das Einstellen nicht vor dem Filmbeginn übt, verpasst möglichweise die ersten Minuten, während er sich hektisch durch verschachtelte Digital-Menüs tippt.
Außerdem tendieren einige der heutigen Pkw-Exemplare dazu, die Zündung bei ausgeschaltetem Motor nach einigen Minuten ebenfalls zu deaktivieren, wodurch dann auch das Autoradio ausfällt. Meist verrät das Handbuch aber eine Möglichkeit, diese Störung zu vermeiden. Dass das Dauerlaufenlassen des Radios zu leeren Batterien führt, ist aber unzweifelhaft. Zu erkennen war das beim Ortsbesuch an mehr als einem Havaristen, der nach Filmende nicht mehr aus eigener Kraft den Motor starten konnte. Viele Kinobetreiber halten aus diesem Grund Fremdstart-Kits oder zumindest Starthilfekabel vor. Gleiches gilt für Scheinwerferabdeckungen. Denn bei einigen Autos brennt das Tagfahrlicht permanent, was nachts Sicht und Stimmung stört.
An viele dieser Stolpersteine muss man sich als Autokino-Neuling erst einmal gewöhnen. Wie viel Zeit man dazu hat, ist im Einzelfall ungewiss. Denn ob das Revival über den akuten Lockdown hinaus Bestand hat, bleibt erst einmal abzuwarten. Heiko Desch von DWJ ist vorsichtig optimistisch: „Wir hoffen, einige Neukunden gewinnen zu können. Letztendlich wird die Zukunft zeigen, ob uns das gelungen ist.“
Gar nicht erst auf Dauer angelegt sind die Pop-up-Cinemas in Essen. Das temporäre Autokino in der Essener Innenstadt ist bereits wieder geschlossen. Eines im benachbarten Mülheim läuft noch einige Zeit weiter – die Genehmigung reicht bis Ende Oktober. Ob es so lange geht, hängt aber auch vom weiteren Verlauf ab, erläutert Martin Spicker vom Betreiber TAS. Denn wenn die normalen Kinos wieder aufmachen, wollen die Autokino-Organisatoren ihnen keine Konkurrenz machen. Die Idee hinter dem Autokino sei nicht gewesen, Geld zu verdienen, sondern den Leuten in schwierigen Zeiten eine Abwechslung zu bieten.
Fotos: Holger Holzer, SP-X/Jochen Tack